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Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2001 - 12 TZ 312/01
Der Antrag ist zulässig (§146 Abs. 5 VwGO), aber nicht begründet; denn mit ihm ist ein Grund der gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO die
Zulassung der Beschwerde rechtfertigen kann, nicht dargetan.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO sind dann anzunehmen,
wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Hess.
VGH, 04.04.1997 - 12 Tz 1079/97; EZAR 625 Nr.1 = NVwZ 1998,195 = HessJMBl. 1997, 768; VGH Baden- Württemberg 27.02.1998-7 8 216/98 -, VBIBW
1998, 378; OVG Berlin, 09.03.1999 - 4 SN 158.98-). Die zur Auslegung des Begriffs der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit in § 80 Abs 4 Satz 3
VwGO und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG entwickelten Grundsätze können zur Auslegung von § 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO mit der Maßgabe herangezogen
werden, dass die Entscheidung über die Zulassung der Berufung weniger eilbedürftig ist als die Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde nach § 146
Abs. 4 VwGO sowie in abgabe- und asylrechtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs 4 Satz 3 VwGO, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Das
Rechtsmittelgericht muss bei der Prüfung anhand der mit dem Zulassungsantrag vorgetragenen Beanstandungen zu der Meinung gelangen, dass das
Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg oder - anders formuliert - das erstinstanzliche Gericht unrichtig entschieden hat (vgl. Sendler, DVBl 1982,157).
Mit dieser Auslegung wird dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziel entsprochen mit Hilfe des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2. Nr.1 VwGO an die
gefestigte Rechtsprechung zu dem Begriff der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung (vgl. dazu Schenke, JZ 1996, 1155 m. Nachw. d
Rspr. u. der davon abw. Lit. in Fußn. 729, 730; zu Art. 16a Abs 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vgl. BVerfG, 14.05.1996-2 BvR 1516193-,
BVerfGE 94, 166 = EZAR 632 Nr.25) anzuknüpfen, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen (vgl. dazu Sendler, a.a.O.) und grob ungerechte
Entscheidungen zu korrigieren (vgl. dazu BT-Drs. 13/3993 S. 13). Die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung ist aber damit nicht auf solche Fälle beschränkt, die dem Rechtsmittelgericht grob ungerecht gelöst erscheinen (ähnlich Hess. VGH, 17.02.1997 -
14 Tz 385/97-); denn die für den Gesetzgeber ersichtliche maßgebliche Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO setzt eine derartige qualifizierte
materielle Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht voraus. Die ernstlichen Zweifel müssen an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen
Entscheidung bestehen; ob sich die Entscheidung trotz formeller oder materieller Fehler letztlich doch als richtig erweist, ist im Zulassungsverfahren von Amts
wegen anhand der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu prüfen (Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -,NVwZ-RR 1998, 777 DVBl. 1998, 1033 =
ESVGH 48, 223 = InfAuslR 1998, 438 m.w.N.; Hess. VGH1 15.07.1997- 13 TZ A 14 S 3451/97-, NVwZ 1908,414 VBlBW 1998, 261; a. A. VGH
Baden-Württemberg, 22.10.1997 - NC 9 S 20/97-, NVwZ 1998, 197). Veränderte oder in erster Instanz nicht vorgetragene Tatsachen oder zwischenzeitliche
Rechtsänderungen können grundsätzlich nicht zur Begründung ernstlicher Zweifel herangezogen werden (VGH Baden-Württemberg, 29.09.1999 - 7 S 1871/99
-, VBlBW 2000,109; Hess. VGH, 01.03.2000 - 6 TZ 214/00; OVG Nordrhein-Westfalen, 05.11.1999 - 15 A 2923/99 -, NVwZ 2000, 334 = NWVBl. 2000,
140; anders bei Rechtsänderung vor Ablauf der Zulassungsantragsfrist Hess. VGH, 10.11.1999 5 UZ 2876199-, NVwZ 2000, 85).
Das Vorbringen des Antragstellers trägt die Annahme ernstlicher Zweifel im vorstehenden Sinn an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht. Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht den Bescheid des Landrats des Landkreises Gießen vom 14. April 2000 als offensichtlich rechtmäßig angesehen und ist
zutreffend davon ausgegangen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau nicht bestanden hat und auch
gegenwärtig nicht besteht.
Dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen ist eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AuslG nur zu erteilen, wenn keine begründeten Zweifel an der
Ernsthaftigkeit der Absicht zur Führung einer familiären Lebensgemeinschaft bestehen (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999, § 23 AuslG Rdnr.11). Der
Nachzugsanspruch ist nur zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Familienangehörigen
gewährleistet. Auch wenn § 17 Abs. 1 AuslG nicht das Bestehen einer „häuslichen Gemeinschaft" erfordert wird in der Regel eine gemeinsame
Familienwohnung gegeben sein müssen damit von einer familiären Lebensgemeinschaft gesprochen werden kann (vgl. Fraenkel, Einführende Hinweise zum
neuen Ausländergesetz, 1991, 6.75). Familiäre Kommunikation muss tatsächlich praktiziert werden; es darf sich daher nicht nur um eine reine
Begegnungsgemeinschaft handeln (Renner, a.a.O.1 § 17 AuslG Rdnr- 11), sondern es muss ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt bestehen, der ein eheliches
Zusammenleben erst ermöglicht (vgl. Hess. VGH 27.08.1996 12 TG 3190196-, EZAR 035 Nr.15 m.w.N.). Maßgeblich ist, ob eine echte familiäre
Lebensgemeinschaft vorliegt, die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt wird (vgl.Hailbronner, AuslR, Stand: August 1991 § 17 AuslG Rdnr. 19 ff.). Die Ehe
zwischen einem Deutschen und einem Ausländer hat somit in der Regel dann kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht, wenn sie nicht eine eheliche
Gemeinschaft wirklich begründet (BVerwG, 12.06.1992-1 B 48.92-, InfAuslR 1992, 305). Bei der Feststellung des Vorliegens einer familiären
Lebensgemeinschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 AuslG besteht keine ,,Beweislast" der Ausländerbehörde; vielmehr setzt das Bestehen eines Anspruchs auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nachweisbar vorliegen (GK-AuslR, Stand: Januar 2000, § 18 AuslG
Rdnr. 60).
Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht festgesteilt werden, und zwar auch dann nicht, wenn man die
Behauptungen in den anonymen Schreiben von April und Juli 1999 außer Acht lässt. Wie der Antragsgegner und auch das Verwaltungsgericht zutreffend
gewürdigt haben, ergeben sich bereits aufgrund der Antworten des Antragstellers und seiner Ehefrau auf die am 25 November 1999 durchgeführte Befragung
gewichtige Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Das Verwaltungsgericht hat jedoch nicht allein auf die Ermittlungen des
Antragsgegners abgestellt, sondern hat am 18. Dezember 2000 durch Vernehmung des Antragstellers als Partei und seiner Ehefrau als Zeugin über das
Bestehen einer gemeinsamen ehelichen Lebensgemeinschaft Beweis erhoben. Bei dieser Vernehmung hat sich bestätigt, dass zwischen dem Antragsteller und
seiner Ehefrau keine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem
angegriffenen Beschluss Bezug genommen. Das Vorbringen des Antragstellers, der sich gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, aber
einräumt, dass er und seine Ehefrau bei der Vernehmung am 18. Dezember 2000 völlig abweichende Aussagen über den Tagesablauf des 17. Dezembers 2000
gemacht haben, rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Soweit mit dem Zulassungsantrag geltend gemacht wird, das rechtliche Gehör sei verletzt worden (§146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), kann dieser
keinen Erfolg haben. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. dazu Fritz, ZAR 1984, 189 ff.) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein
Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (§§ 86 Abs. 2 und 3,
104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO; BVerfG, 15.01.1980 - 2 BvR 920/79-, BVerfGE 53, 109; Kopp, VwGO, 9. Aufl., 1992, Rdnr.19 zu § 108, m.w.N.) und
verpflichtet das Gericht darüber hinaus, das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG,
09.02.1982 -1 BvR 1379180 -, BVerfGE 60,1; Hess. VGH, 10.03.1989 - 12 TE 1580/88 -, InfAuslR 1989, 256). Die Gerichte sind nicht dazu verpflichtet, sich
mit jedem Parteivorbringen in der Begründung ausdrücklich zu befassen; alle wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden
Tatsachenbehauptungen müssen jedoch in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden, damit festgestellt werden kann, dass das Gericht das Urrecht des
Menschen auf rechtliches Gehör beachtet und nicht etwa "kurzen Prozess" mit den Beteiligten gemacht hat (vgl. dazu: § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO; BVerfG,
15.04.1980 - 1 BvR 1365178 , BVerfGE 54, 43; BVerwG, 15.10.1985 - 9 C 3/85 -, EZAR 630 Nr.22 = ZfSH/SGB 1986, 505; Hess. VGH, 23.10.1995 - 13
UZ2713l94 -; Hess. VGH, 17.02.1995 - 12 UZ 328/95 -). Unter Beachtung dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, das Verwaltungsgericht habe das
Antragsvorbringen in Wirklichkeit nicht zur Kenntnis genommen und damit rechtliches Gehör versagt. Das Verwaltungsgericht hat sich in dem angefochtenen
Beschluss im Einzelnen und entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht selektiv mit dessen gesamten Vorbringen auseinander gesetzt. Die Rüge der
Verletzung rechtlichen Gehörs stellt sich letztlich als ein Angriff gegen die Würdigung des entsprechenden Vortrags durch das Verwaltungsgericht dar, der
jedoch so nicht Gegenstand einer erfolgreichen Zulassungsrüge sein kann. ...