OLG Hamm, 20.08.2003 - 20 U 18/03, AUB, 88, 7 I (1) Abs. 2, Unfallversicherung, Invaliditaet, Feststellungsfrist, 15, Monate, Nichteinhaltung, Anspruchsvoraussetzung, Spaetschaeden, Eintrittspflicht, angemessen,
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AUB 88 § § 7 I (1) Abs. 2
- Stand: 15. Dezember 2003 - Volltextsuche - Datenschutz - Sicherheit - News and more! - Suchmaschinen - Google (Test 2/2003 - gut - 2,1)
OLG Hamm, Urteil vom 20.08.2003 - 20 U 18/03 *
Tatbestand: Der Kl. nimmt die Bekl. auf Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch. Vereinbart sind die AUB
88. Der Kl. erlitt im August 1998 im Urlaub in Italien eine cerebrale Blutung. Dokumentiert ist eine Aufnahme ins Krankenhaus von
Rimini am 8. 8. 1998. Auf eigenen Wunsch wurde der Kl. dort am 11. 8. 1998 entlassen und suchte in Deutschland die Klinik für
Neurologie in G. auf, wo er vom 14. 8. 1998 bis zum 28. 8. 1998 stationär behandelt wurde. Es schloss sich eine REHA in den
A-Kliniken -S. vom 1. 9. 1998 bis zum 20. 10. 1998 an. Der Kl. hat behauptet, am 7. 8. 1998 einen Badeunfall erlitten zu haben. Er
sei in der Adria von einer "riesigen Wasserwelle" überrollt worden, die ihn im Kopf-, HWS-, BWS- und Schultergürtelbereich
getroffen und nach vorn geschleudert habe. Er hat eine Invaliditätsleistung von 94 589 Euro eingeklagt. Das LG hat die Klage
wegen Fehlens der ärztlichen Feststellung der Invalidität gem. § 7 I (1) Abs. 2 AUB 88 abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte
keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe: Zu Recht hat das LG Ansprüche des Kl. auf eine Invaliditätsentschädigung verneint, weil jedenfalls die
Anspruchsvoraussetzung der fristgemäßen ärztlichen Feststellung (§ 7 I [1] Abs. 2 AUB 88) fehlt.
1. Es kann daher dahinstehen, ob der Kl. überhaupt am 7. 8. 1998 einen Badeunfall erlitten hat, was nach dem Inhalt der
vorliegenden ärztlichen Berichte sowohl des Krankenhauses in Rimini als auch der Klinik für Neurologie in G. und der A-Kliniken
S. durchaus zweifelhaft ist, da keiner der Berichte von einem Unfallgeschehen ausgeht und der Kl. den erstbehandelnden Ärzten
danach nichts von dem nunmehr behaupteten Badeunfall mitgeteilt hat.
2. Der Unfall des Kl. soll sich am 7. 8. 1998 ereignet haben, so dass die 15-Monatsfrist des § 7 I (1) Abs. 2 AUB 88, innerhalb der
die Invalidität als Unfallfolge hätte festgestellt werden müssen, am 7. 11. 1999 ablief. Bis zu diesem Zeitpunkt ist unfallbedingte
Invalidität des Kl. nicht ärztlich festgestellt worden.
a) Das Erfordernis der ärztlichen Feststellung innerhalb von 15 Monaten stellt ebenso wie der Eintritt der Invalidität binnen
Jahresfrist eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung dar. Zweck dieser Regelung ist es,
eine Eintrittspflicht des Versicherers für regelmäßig schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden auszuschließen. Im
Interesse einer rationellen, arbeits- und kostensparenden Abwicklung sollen Spätschäden auch dann vom Versicherungsschutz
ausgenommen werden, wenn der Versicherungsnehmer die Frist unverschuldet nicht eingehalten hat (so grundlegend BGH, LM § 8
AVB f. UnfallVers. Nr. 3 = VersR 1978, 1036; ferner BGHZ 137, 174 = NJW 1998, 1069 = VersR 1998, 175).
b) Eine inzwischen gefestigte Rechtsprechung verlangt, dass die ärztliche Feststellung schriftlich erfolgen muss: Zwar enthalten
weder § 7 I (1) Abs. 2 AUB 88 noch die entsprechende Regelung in der Vorgängerversion der Bedingungen (§ 8 II [l] AUB 61) das
Wort "schriftlich". jedoch ist der BGH - wenngleich eine ausdrücklich zum Schriftformerfordernis ergangene Entscheidung bislang
nicht vorliegt schon in seinem Urteil vom 16. 12. 1987 (NJW-RR 1988, 601 = VersR 1988, 286) davon ausgegangen, dass dem
Interesse des Versicherers an einer baldigen Klärung seiner Leistungspflicht Genüge getan sei, wenn ihm eine ärztliche
Stellungnahme vorliege, die in der vereinbarten Frist erstellt ist und die die Invalidität in der Jahresfrist bestätigt. In seinem Urteil
vom 25. 4. 1990 (NJW-RR 1990, 1048 = VersR 1990, 732), in dem der BGH entschieden hat, die ärztliche Feststellung müsse dem
Versicherer nicht in der 15-Monatsfrist zur Kenntnis gelangen, hat er wiederholt, dass es genüge, wenn die ärztliche Feststellung der
Invalidität dem Versicherer später auf dessen Verlangen vorgelegt wird, "um die Einhaltung der Frist für die ärztliche Feststellung
zu beweisen".
Die zitierte Entscheidung vom 16. 12. 1987 (BGH, NJW-RR 1988, 601 = VersR 1988, 286) hat der Senat in seinem Urteil vom 27.
9. 1995 (VVGE § 8 AUB Nr. 20) dahin verstanden, dass die ärztliche Feststellung schriftlich erfolgen muss, denn eine nur intern
gefasste und nicht nach außen gedrungene Überzeugung eines Arztes von der Invalidität eines Versicherungsnehmers ist weder
"erstellt" noch ist sie "vorlegbar". Die Revision gegen das Urteil des Senats vom 27. 9. 1995 wurde vom BGH nicht angenommen
(Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, § 7 AUB 88 Rdnr. 10). Mit der Entscheidung vom 27. 9. 1995 hat der Senat seine bereits am
28. 5. 1993 dargelegte Auffassung zum Schriftformerfordernis (Senat, VersR 1993, 1262 L) bestätigt und seither weiterhin
beständig aufrechterhalten (vgl. z. B. Senat, NVersZ 2001, 270 = VersR 2002, 49).
Entsprechend halten auch andere Oberlandesgerichte den Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung der ärztlichen Feststellung für
allein maßgebend; die Berufung auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte wird hingegen als unerheblich angesehen (OLG Köln,
VersR 1989, 352; OLG Koblenz, VersR 1993, 1262; für Schriftformerfordernis auch OLG München, VersR 1995, 565; OLG
Frankfurt a. M., VersR 1996, 618; OLG Oldenburg, NJW-RR 1996, 1434; OLG Düsseldorf, VersR 2001, 449; OLG Stuttgart, r+s
2003, 211).
Lediglich das OLG Frankfurt a. M. (ZfSch 1993, 132) und - soweit ersichtlich - das OLG Karlsruhe (r+s 1996, 331) halten die
Schriftform für entbehrlich, wobei sich das OLG Frankfurt a. M. ohne nähere eigene Begründung auf Wussow/Pürckhauer (AUB, §
8 II Nr. 1) beruft, der die Schriftform für nicht erforderlich, jedoch für zweckmäßig hält. Das OLG Karlsruhe argumentiert mit dem
Wortlaut des § 7 I (1) AUB 88 sowie dahin, dass die Ausschlussregelung eine Härte für den Versicherungsnehmer darstelle; es sei
nicht gerechtfertigt, darüber hinaus eine über den Wortlaut und den Sinn der Klausel hinausreichende Auslegung zu Lasten des
Versicherungsnehmers vorzunehmen. Vielmehr sei der Versicherungsnehmer mit allen Beweismitteln zuzulassen, wozu auch der
Zeugenbeweis zähle.
Die Ausführungen des OLG Karlsruhe überzeugen den Senat nicht; sie geben ihm keine Veranlassung, von seiner oben dargestellten
ständigen Rechtsprechung abzuweichen.
Die "Härte" der Regelung - es handelt sich nicht um eine Ausschlussregelung sondern um eine Anspruchsvoraussetzung -
rechtfertigt sich mit dem berechtigten Interesse der Versicherer, zweifelhafte Spätschäden im Interesse einer arbeits- und
kostensparenden Abwicklung und zur Vermeidung höherer Prämien für die Gemeinschaft der Versicherten vom
Versicherungsschutz auszunehmen (BGH, LM § 8 AVB f. UnfallVers. Nr. 3 = VersR 1978, 1036).
Die Härte wird gemildert durch von der Rechtsprechung geschaffene erhebliche Erleichterungen: An die ärztliche Feststellung der
Invalidität sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss weder den Grad der Invalidität angeben noch sich an der
Gliedertaxe orientieren. Sie braucht nicht einmal richtig zu sein. Schließlich darf sich der Versicherer nicht auf die Frist berufen,
wenn fristgemäß festgestellt ist, dass der Unfall zu unveränderlichen Gesundheitsschäden oder nicht besserungsfähigen Teilschäden
geführt hat, die den Schluss auf Invalidität zulassen (BGHZ 137, 174 = NJW 1998, 1069 = VersR 1998, 175).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Versicherungsnehmer durch das Erfordernis der Schriftform zusätzlich unangemessen belastet wird.
Auch für das OLG Karlsruhe steht außer Zweifel, dass eine ärztliche Feststellung erforderlich ist, ohne dass allerdings in der
Entscheidung dargelegt wird, was unter einer "ärztlichen Feststellung" zu verstehen ist. Eine "Feststellung" ist nicht mit einem
erhobenen Befund gleichzusetzen. Das "Feststellen" der Invalidität setzt vielmehr einen Willens- und Entscheidungsakt voraus, eine
Schlussfolgerung, eine Prognose auf der Basis eines erhobenen Befundes sowie die kausale Verknüpfung mit dem Unfallereignis.
Der Feststellungsakt muss manifestiert sein, denn andernfalls ist er nicht zu datieren, und die Existenz der Feststellung in der Frist ist
ohne Manifestation nicht beweisbar. Deshalb reicht es nicht, wenn der Versicherungsnehmer einen Arzt als Zeugen dafür benennt,
dass dieser fristgemäß Invalidität "festgestellt" habe, wenn nicht dargelegt wird, wie und auf welche Weise die Feststellung erfolgt
sein soll. Die "Feststellung" im Sinne der Bedingungen kann nicht als ein rein interner Vorgang in der Vorstellung eines Arztes - ein
fristgerechter Vermerk in den Krankenunterlagen des Arztes würde nach der Rechtsprechung des Senats ausreichen - begriffen
werden.
Es stellt deshalb keine fristgemäße "Feststellung" i. S. des § 7 I (1) AUB 88 dar, wenn der Arzt als Zeuge im Streitfall rückblickend
aussagt, er sei bereits innerhalb der Frist von einem unfallbedingten Dauerschaden ausgegangen, denn damit würde die Feststellung
erst mit der Zeugenaussage aus der Vorstellungswelt des Arztes heraus nach außen dringen und damit (verspätet) getroffen (so
OLG Köln, VersR 1989, 352). Im Übrigen besteht die nahe liegende Gefahr, dass eine solche nachträgliche Äußerung eines Arztes
nicht unbeeinflusst von der späteren Entwicklung des Gesundheitszustandes sein würde, so dass dadurch Sinn und Zweck der
Jahresfrist unterlaufen würde, worauf das OLG Frankfurt a. M. (VersR 1996, 618) hingewiesen hat.
Hingegen entspricht es vollumfänglich dem Begriff der "Feststellung" im Sinne der Bedingungen, wenn der Arzt konkrete
gesundheitliche Beeinträchtigungen, sei es schriftlich, sei es elektronisch, aufzeichnet, sie als voraussichtlich dauerhaft einschätzt
und eine kausale Verknüpfung zum Unfallgeschehen herstellt. In diesem Sinne sind die Bedingungen auch nach dem Verständnis
eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen. im Übrigen hat der Kl. das Erfordernis der ärztlichen Feststellung auch
in diesem Sinne verstanden, denn er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mitgeteilt, er habe gewusst, dass er "etwas
Schriftliches" vorlegen müsse.
c) Die vom Kl. vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen enthalten keine fristgemäße Feststellung einer unfallbedingten Invalidität.
aa) Die in erster Instanz eingereichte Bescheinigung des Dr. L vom 13. 1. 2000 ist nicht innerhalb der Frist erstellt und lässt im
Übrigen jeden Bezug zu einem Unfallgeschehen vermissen, so dass sie auch inhaltlich den Anforderungen nicht genügt.
bb) Das Attest des Augenarztes Dr. G vom 1. 12. 2002 enthält zwar die Prognose eines unfallbedingten Dauerschadens; jedoch ist
das Attest erst drei Jahre nach Fristablauf ausgestellt worden.
cc) Der Arztbrief des Dr. R vom 13. 10. 1999, den der Kl. in der mündlichen Verhandlung dem Senat vorgelegt hat, enthält weder
die Prognose eines Dauerschadens noch einen Unfallbezug.
dd) Auch der Arztbrief des Unfallkrankenhauses B. vom 6. 7. 1999 enthält weder die Einschätzung einer irreversiblen
Gesundheitsbeeinträchtigung noch den Bezug zu dem streitigen Unfallgeschehen. Das in dem Bericht erwähnte "vorherige Trauma"
ist nicht dem behaupteten Badeunfall zuzuordnen, zumal die zeitnah erstellten ärztlichen Berichte weder dem HNO-ärztlichen
Bereich zuzurechnende Beschwerden noch eine Beteiligung der HWS erkennen lassen. Ein Zusammenhang zwischen der
(unstreitigen) Hirnblutung im Bereich der Vierhügelplatte und den in dem Arztbrief aufgeführten Beschwerden im HNO-ärztlichen
Bereich sowie der Blockierung von C2/2 ist nicht nachvollziehbar.
c) Der Bekl. ist es nicht verwehrt, sich auf den Fristablauf zu berufen. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass dem Kl. von dem
Zeugen H zugesagt worden ist, er brauche sich um nichts weiter zu kümmern; die von ihm vorgelegten Unterlagen reichten aus, und
der Zeuge werde sich um alles weitere kümmern.
aa) Schon die Anhörung des Kl. in der mündlichen Verhandlung hat seinen Prozessvortrag aus der Berufungsbegründung nicht
bestätigt.
Der Kl. hat nicht geschildert, dass er im Vertrauen auf den Zeugen H davon abgehalten wurde, eine fristgerechte ärztliche
Feststellung seiner Invalidität vorzulegen. Vielmehr hat der Kl. im Gegenteil eingeräumt, ihm sei bewusst gewesen, dass er "etwas
Schriftliches" vorzulegen hatte. Offensichtlich hat er sich um "etwas Schriftliches" auch bemüht; allerdings scheinen die von ihm
angesprochenen Ärzte keine Bestätigung der Invalidität ausgestellt, sondern einen Gutachtenauftrag der Bekl. erwartet zu haben,
obwohl sie sich der Fristenproblematik bewusst waren, da sie den Kl. entsprechend belehrt hatten. Der Kl. selbst hat geschildert,
dass der Zeuge H den (unzureichenden) Arztbrief des Dr. R vom 13. 10. 1999 hat weiterreichen wollen; dass der Zeuge den
Arztbrief für ausreichend erachtet hätte, hat der Kl. gerade nicht bestätigt. Somit ist nach der eigenen Darstellung des Kl. in seiner
persönlichen Anhörung nicht festzustellen, dass die Bekl. einen Vertrauenstatbestand gesetzt hätte, der eine Berufung auf den
Fristablauf als treuwidrig erscheinen ließe.
bb) Auf Grund der Aussage des Zeugen H ist klar widerlegt, dass der Kl., wie von ihm behauptet, den Unfall dem Zeugen sofort
gemeldet hat. ...
* Quelle: NJW-RR 2003, 1537 ff.