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Freie Beweiswürdigung oder Begründungsmangel!?
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Stand: 30. März 2013
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Die Beweiswürdigung - Einleitung
Freie Beweiswürdigung § 261 StPO - Gesetzestext und Theorien
Kritik des ohnmächtigen Verteidigers oder der wehrlose Bürger
Lebenserfahrungstheorie
Merksätze der Unfehlbarkeit
Recht und Praxis - Entscheidungen im Kreuzverhör
Schweigen der Lämmer
Strafrechtslexikon
Subjektivistische Beweiswürdigungstheorie
Vorgang der Überzeugungsbildung
Wahrscheinlichkeitstheorie
Die Beweiswürdigung - Einleitung
Die Beweiswürdigung hat sich zu einem zentralen Problem des Strafprozesses entwickelt. Von dem Ergebnis der Beweiswürdigung des Gerichts hängt es ab, ob und in welcher Weise eine Person bestraft werden kann. Die maßgebliche Bestimmung der Strafprozessordnung (StPO) lautet wie folgt:
„§ 261 Freie Beweiswürdigung
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung."
Der Vorgang der Überzeugungsbildung wird wie folgt charakterisiert:
"Es handelt sich um einen zusammengesetzten, nicht in allen Teilen bewussten psychologischen Vorgang, bei dem nur unter anderen Dingen (z.B. der
Erfahrungen des Richters) auch die Logik eine gewisse, oft bescheidene Rolle zu spielen hat. Dieser Vorgang ist schon durch seine sehr persönliche Natur einer
Nachprüfung durch das Revisionsgericht im Großen und Ganzen entzogen. ... Nachprüfbar sind nur diejenigen Elemente der Beweiswürdigung, die aus
allgemeinen Sätzen bestehen, nämlich Denkgesetzen, allgemeinen Erfahrungssätzen, offenkundigen Tatsachen und denjenigen Rechtsnormen, welche die
Beweiswürdigung regeln. Auch diese Elemente der Beweiswürdigung kann das Revisionsgericht nur in dem Umfang nachprüfen, in dem sie aus den
Urteilsgründen zu erkennen sind. Da die Vollständigkeit der Urteilsgründe in dieser Hinsicht nicht verlangt werden kann, sind auch die
Nachprüfungsmöglichkeiten entsprechend beschränkt." (Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl., 1983, Rz. 344, 345)
Merksätze der Unfehlbarkeit:
(1) Das hohe Lied der freien Beweiswürdigung durch die unabhängige - stets obrigkeitstreue - Richterschaft: „Die Entscheidungsregel ‚in dubio pro reo' ist
nicht schon dann verletzt, wenn der Richter nicht zweifelte, obwohl er hätte zweifeln müssen, sondern erst dann, wenn er verurteilte, obwohl er zweifelte"
(BVerfG, Beschluss vom 16.05.2002 - 2 BvR 665/02, NJW 2002, 3015).
(2) Fortsetzung mit Freibrief: „Nicht jeder Verstoß gegen § 244 II StPO oder § 261 StPO und die hierzu vom BGH aufgestellten Grundsätze rechtfertigt dabei
das Eingreifen des BVerfG. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich das Tat- und gegebenenfalls das RevGer. so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in
Wahrung der Unschuldsvermutung bei jeder als Täter in Betracht kommenden Person auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen,
wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der r a t i o n a l e Charakter der Entscheidung verloren gegangen s c h e i n t und sie keine t r a g f ä
h i g e Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Freiheitsentziehung sein k a n n (BVerfG NJW 2003, 2444 ff., 2446 - „261-Persilscheine-Entscheidung").
(3) Oder aus dem Freibrief der Neuzeit: „Ein kluger Richter schreibe in sein Urteil, was er wolle, doch vermerke er weise, dass er nicht zweifele."
Kritik des ohnmächtigen Verteidigers oder der wehrlose Bürger
Der Strafverteidiger, der dies liest, überlegt zunächst, ob er überhaupt die Bezeichnung "Verteidiger" verdient. Er vergleicht nämlich diese Hinweise auf die
beschränkte Nachprüfbarkeit der Beweiswürdigung zuerst mit seinen praktischen Erfahrungen. Von daher sind ihm Beweiswürdigungen bekannt, die er gerne
als "unsinnig" bezeichnet. Der zweite Gedanke führt zu der Frage, ob solche Großzügigkeit rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Gerade in der Krise muß
sich das Recht bewähren; sonst taugt es nichts.
Der provokante Beitrag kokettiert mit dem durch viele skandalöse Fehlurteile belegten Offenbarungseid der deutschen Strafjustiz. Die alt hergebrachten
Grundsätze der „freien richterlichen Beweiswürdigung" sind insolvent. Nieder mit der heiligen Kuh, die freie Beweiswürdigung heißt! Die Begründungsmängel
mögen leben! Ganz getreu nach dem Motto: „Du kannst überzeugt sein, von was du willst. Du musst nur in der Lage sein, es richtig zu begründen. ... Nicht das,
was war, ist jetzt das Maß, sondern das, was wir daraus machen wollen, ist's."
In der Grundausbildung der Strafrichter sollten Würfelspiele zum Standardwerkzeug gehören. Das Urteil wird kurz ausgewürfelt und anschließend vernünftig
begründet. Das war es. Ein solches Verfahren spart Zeit und Kosten. Dabei darf so gar geschickt gegen §§ 244 II, 261 StPO verstoßen werden, ohne dass in der
Praxis ein Eingreifen des BVerfG droht (BVerfG NJW 2003, 2444 ff., 2446).
Werter Leser, nehmen sie zur Kenntnis, dass diese Säule des Rechtsstaates wankt. Ob und in welche Richtung der Fall folgt, ist nicht sicher voraussagbar, wohl
wahr die Götter des Unrechts derweil zuversichtlich gesinnt sind.
Die Kritik am Status quo kann nicht deutlich genug ausfallen. Ja, sie muss sogar kabarettistisch überzeichnet werden, damit die grundlegenden Missstände
deutlich werden. Wer meint, die „freie Beweiswürdigung" habe sich in der Praxis bewährt, kann sich irren. Vielleicht hält seine Ansicht einer strengen
historisch-wissenschaftlichen Analyse nicht stand. Das Prinzip der freien Beweiswürdigung stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (KK-Pfeiffer,
StPO, 4. A., Einl. Rz. 14). Seither hat sich dieses Prinzip nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Ausführungen dazu spart die gängige Kommentarliteratur aus.
Schweigen der Lämmer
Kritische Stimmen werden leider nur selten laut. Eine davon soll auszugsweise zitiert werden:
„ ... Von allen Befugnissen, die die Strafprozeßordnung dem Tatgericht einräumt, trifft den Angeklagten am nachhaltigsten das Recht der freien
Beweiswürdigung. Denn es verleiht dem Richter die Macht, ohne an gesetzliche Beweisregeln gebunden zu sein, über die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu
entscheiden und festzustellen, ob ein Sachverhalt, bei dem sich der Angeklagte strafbar gemacht hätte, als bewiesen anzusehen ist oder nicht und welcher
Sachverhalt gegebenenfalls der Strafzumessung zugrunde zu legen ist. Nicht immer wird der Tatrichter der mit dieser Aufgabe verbundenen Verantwortung
gerecht. Der von der Rechtsprechung erhobene Anspruch, daß die Urteilsgründe das Ergebnis der Hauptverhandlung zur Schuld- und Straffrage verbindlich -
also auch zutreffend - dokumentierten, wird vielfach nicht eingelöst.
Ob Divergenzen zwischen dem Inhalt der Beweisaufnahme und seiner Darstellung im Urteil Ergebnis von Wahrnehmungsstörungen und Fehlern bei der
richterlichen Informationsverarbeitung oder gelegentlich Produkt bewußter Einseitigkeit sind, kann dahinstehen. So oder so wirken sich Verzerrungen bei der
richterlichen Tatsachenfeststellung erfahrungsgemäß zuungunsten des Angeklagten aus: Die Überschätzung der durch die Anklage indizierten und durch den
einseitigen Akteninhalt strukturierten relativ hohen Täterschaftswahrscheinlichkeit, das Festhalten an einmal getroffenen Vor-Entscheidungen, insbesondere in
Form des Eröffnungsbeschlusses und die systematische Überbewertung von das einmal gebildete Vorurteil bestätigenden, also belastenden Tatsachen, gehen
auch unbewußt zwangsläufig zu Lasten des Angeklagten.
Dies läßt sich an Hand typischer »Einbruchstellen« für solche Sachverhaltsfeststellungen in tatrichterlichen Urteilsgründen exemplarisch belegen, die dem
Hauptverhandlungsverlauf nicht entsprechen: Nicht selten wird die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung sinnentstellend, verzerrt, einseitig,
abwertend und selektiv wiedergegeben. Hat sich der Angeklagte im Verlauf des Verfahrens mehrfach geäußert, kommt es vor, daß Widersprüche und
Ungereimtheiten zwischen den verschiedenen Aussagen stilisiert und konstruiert werden. Ähnlich kann es Entlastungszeugen ergehen, deren Angaben in den
Urteilsgründen unverständlich, widersprüchlich, künstlich und damit unglaubwürdig erscheinen. Umgekehrt wird den Aussagen von Belastungszeugen
Konstanz und Glaubhaftigkeit attestiert, obwohl ihnen mit erheblichen Zweifeln zu begegnen ist, sei es, daß im Verlauf mehrerer Vernehmungen Widersprüche
hervorgetreten sind, sei es, daß sich die Unrichtigkeit einzelner Aussageteile durch eine Überprüfung in der Hauptverhandlung herausgestellt hat. Einwände, die
sich daraus gegen die Glaubwürdigkeit solcher Zeugen ergeben, werden mit Hilfe der Argumentationsfigur vom »Kern- und Randgeschehen« »entschärft« oder
in den Urteilsgründen völlig übergangen. Auch wenn eine ursprünglich nach Aktenlage belastend erscheinende Aussage von dem Zeugen in der
Hauptverhandlung bei näherem Nachfragen abgeschwächt wird, wird dies nicht immer in den Urteilsgründen dokumentiert und gewürdigt. Daß die Bestätigung
der Einlassung des Angeklagten durch Schriftstücke, Urkunden oder sonstige Beweismittel in den Urteilsgründen unerwähnt bleibt, ist ebenso zu konstatieren
wie die selektive oder sogar unrichtige Wiedergabe von in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden oder Niederschriften ganz allgemein. Das schon etwas
in die Jahre gekommene sarkastische Bonmot von Verteidigern nach der Urteilslektüre, man sei wohl in einer anderen Hauptverhandlung gewesen, ist
leider nicht nur »humoris causa« entstanden. ..." (Rechtsanwalt Dr. Reinhold Schlothauer, Bremen, Unvollständige und unzutreffende tatrichterliche
Urteilsfeststellungen - Verteidigungsmöglichkeiten in der Revisions- und Tatsacheninstanz, StV 1992, 134 ff).
Welcher engagierte Verteidiger, der nur dem Recht verpflichtet ist, mag diesen auf den profunden Erfahrungen der täglichen Praxis beruhenden Ausführungen widersprechen?
Zu den weiteren Grundlagen:
Es gibt drei Beweiswürdigungstheorien:
1. die subjektivistische Beweiswürdigungstheorie,
2. die Lebenserfahrungstheorie und
3. die Wahrscheinlichkeitstheorie.
Alle drei Theorie sind nicht in der Lage das grundlegende Problem zu lösen. Die Ansätze werden nachfolgend kurz dargestellt.
Nach der subjektivistischen Beweiswürdigungstheorie bedeutet freie Beweiswürdigung, „dass es für die Schuldfrage allein darauf ankommt, ob der
Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht; diese persönliche Gewissheit ist für die Verurteilung notwendig, aber
auch genügend ... Ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich hat der Tatrichter zu prüfen, ob er die an sich möglichen
Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht" (BGHSt 10, 208, 209; BGH NJW 1979, 2318).
Die Lebenserfahrungstheorie ist ebenfalls noch aktuell. Nach die Theorie ist ein "aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfende richterliche Überzeugung
... ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit erforderlich, aber auch genügend, dem gegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden
können" (BGH, NJW 1951, 122; NJW 1995, 2930; NStZ-RR 1999, 301, 302). Zweifel, die auf "bloß theoretischen" oder "abstrakten" Möglichkeiten beruhen,
können nach dieser Theorie eine Verurteilung nicht verhindern. Die Lebenserfahrungstheorie arbeit mit schwammigen Begriffen wie z.B. dem „unvernünftigen
Zweifel", den "übertriebenen", "überspannten", "zu hohen" Anforderungen sowie den "abstrakttheoretischen", "bloß gedanklichen", "bloß denktheoretischen"
Zweifeln. Sie ist für willkürliche und ergebnisorientierte Entscheidungen hervorragend geeignet, was nicht minder auch für die erste „kurfürstliche"
subjektivistische Theorie gilt. Mit dieser Theorie wird gerne gearbeitet, wenn es um - aus welchen Gründen auch immer - unerwünschte Freisprüche geht, was
aus rechtstaatlicher Sicht geschmack- und stillos ist.
Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie darf der Angeklagte nicht verurteilt werden, „wenn Umstände vorliegen oder (als nicht widerlegbar) zu seinen Gunsten
angenommen werden müssen, die aus rationalen (intersubjektiv vermittelbaren und einsichtigen) Gründen nicht den Schluss gestatten, dass die
Übereinstimmung von Zeugenaussage und dem tatsächlichen Geschehen in hohem Maße wahrscheinlich ist" (BGH NStZ 1988, 236 = StV 1988, 190) Danach
muss sich das Ergebnis der Beweiswürdigung als das Resultat einer rationalen, intersubjektiv akzeptablen, in hohem Maße plausiblen Argumentation
darstellen. Nach dieser Theorie kommt es zunächst auf das an, was das Tatgericht in der Hauptverhandlung wahrgenommen und davon als festgestellten
Sachverhalt im Urteil mitteilt. Erfahrene Verteidiger wissen, welche Tore sich auf dieser Basis öffnen. Ein Zeuge wird vernommen. Er sagt „A" aus. Gericht
und Staatsanwaltschaft beharren darauf, dass der Zeuge „B" gesagt habe. Im Urteil findet sich nur der angeblich vom Zeugen bekundete Sachverhalt „B"
wieder. All das ist für die Verteidigung, da vor den Landgerichten kein Wortprotokoll geführt wird, mit der Revision nicht angreifbar. Solche Verfahrensweisen
werden gerne von den „Dichtschreibern" gewählt. Dass diese Theorie rechtstaatlichen Anforderungen genügt, kann ernsthaft nicht vertreten werden. Warum es
dennoch geschieht, ist nur schwer nachvollziehbar. Die Antwort findet sich irgendwo im Dickicht der Rechtspolitik.
Recht und Praxis - Entscheidungen im Kreuzverhör
BGH - Beschluss vom 01.02.2007 - 5 StR 519/06
BGH - Urteil vom 31.01.2007 - 5 StR 404/06
BGH - Urteil vom 05.04.2006 - 2 StR 41/06
BGH - Urteil vom 22.03.2006 - 2 StR 585/05
BGH - Urteil vom 21.02.2006 - 1 StR 278/05
BGH - Urteil vom 26.01.2006 - 3 StR 375/05
BGH - Beschluss vom 25.01.2006 - 5 StR 593/05
BGH - Urteil vom 24.01.2006 - 5 StR 410/05
BGH - Beschluss vom 11.01.2006 - 5 StR 372/05
BGH - Urteil vom 14.12.2005 - 2 StR 275/05
BGH - Beschluss vom 06.09.2005 - 4 StR 386/05
BGH - Urteil des 5. Strafsenats vom 07.04.2005 - 5 StR 544/04
BGH - Urteil des 5. Strafsenats vom 06.04.2005 - 5 StR 22/05
BGH - Urteil des 4. Strafsenats vom 17.03.2005 - 4 StR 581/04
BGH - Urteil des 2. Strafsenats vom 16.3.2005 - 2 StR 487/04
BGH - Urteil des 5. Strafsenats vom 02.03.2005 - 5 StR 371/04
BGH - Urteil des 5. Strafsenats vom 15.02.2005 - 5 StR 449/04
BGH - Beschluss des 5. Strafsenats vom 07.07. 2004 - 5 StR 71/04
BGH - Beschluss vom 24. 10. 2002 - 1 StR 314/02 (NStZ 2003, 164 f)
BGH - Urteil vom 23. 10. 2002 (NStZ 2003, 165 ff)
BGH - Beschluss vom 03.04.2002 - 3 StR 33/02 (NStZ 2002, 494)
BGH - Beschluss vom 23.10.2001 - 1 StR 415/01 (NStZ 2002, 161 f)
BGH - Beschluss v. 16.01. 2001 - 1 StR 503/00 (NStZ 2001, 333)
BGH - Beschluss vom 19. 10. 2000 - 1 StR 439/00 (NStZ 2001, 161)
BGH - Urteil v. 20. 06. 2000 - 5 StR 173/00 (NStZ 2000, 550)
BGH - Beschluss vom 23.05.2000 - 1 StR 156/00 (NStZ 2000, 496 f)
BGH - Urteil vom 19.01.1999 - 1 StR 171/98 - Pistanzieneis (NJW 1999, 1562 ff.)
BGH - Beschluss vom 12.11.1998 - 4 StR 511-98 (NStZ-RR 1999, 139)
BGH - Beschluss vom 29.10.1996 - 1 StR 603/96 - (NStZ-RR 1997, 105)
BGH - Beschluss des 1. Senats vom 31.07.1996 - 1 StR 247/96 - (NStZ-RR 1997, 42)
BGH - Beschluss v. 16.07.1996 - 5 StR 370/96 - (NStZ-RR 1996, 363)
BGH - Beschluss des BGH v. 07.05.1996 - 4 StR 187/96 (NStZ-RR 1996, 300)
BGH - Beschluss v. 07.05.1996 - 1 StR 170/96 - NStZ-RR 1996, 258
BGH - Beschluss v. 24.04.1996 - 3 StR 131/96 - (NStZ-RR 1996, 233)
BGH - Beschluss v. 27.03.1996 - 3 StR 518/95 (NStZ 1996, 349)
BGH - Beschluss vom 15.02.1996 - 4 StR 442/95 (NStZ-RR 1996, 202 ff.)
BGH - Beschluss vom 13.03.1996 - 3 StR 12/96 (NStZ 1996, 401)
BGH - Beschluss des BGH vom 27.02.1996 - 4 StR 6/96 (NStZ 1996, 350)
BGH - Beschluss vom 12.01.1996 - 5 StR 756/94 (NStZ 1996, 291)
BGH - Urteil vom 28.11.1995 - 5 StR 459/95 - (NStZ-RR 1996, 335)
BGH - Beschluss v. 21.11.1995 - 4 StR 628/95 - (NStZ-RR 1996, 97)
BGH - Beschluss v. 21.09.1995 - 5 StR 441/95 - (NStZ-RR 1996, 73)
BVerfG - Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 (NStZ 1995, 600 f)
BGH - Urteil vom 24.02.1994 - 4 StR 317/93 (NStZ 1994, 295 ff)
BGH - Urteil vom 03.02.1983 - 1 StR 823/82 (NStZ 1983, 277)
In seinem Beschluss v. 21.9.1995 - 5 StR 441/95 - (NStZ-RR 1996, 73) gibt der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes einen Hinweis darauf, was unter
"freier" Beweiswürdigung zu verstehen sein könnte:
"... Die Aufgabe, sich zur angeklagten Tat auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehensverlauf zu
verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine freie Beweiswürdigung hat das RevGer. regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch
eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Die Prüfung
des RevGer. ist vielmehr auf die Frage beschränkt, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 10,
208 = NJW 1957, 1039; BGH, NStZ 1983, 277; BGH, NStZ 1984, 180; Senat, Beschl. v. 29. 11. 1994 - 5 StR 609/94). ..."
Die Beweiswürdigung ist frei von revisionsgerichtlicher Kontrolle. Sie wird nicht beanstandet, wenn das Tatgericht nach Ansicht des Revisionsgerichts eine
andere Meinung hätte vertreten können. Obergerichtliche Sanktionen sind nur zu erwarten, wenn die Würdigung der Beweise von Rechtsfehlern beeinflußt ist.
Eine von Rechtsfehlern beeinflußte Beweiswürdigung überschreitet die "Grenzen" der freien Beweiswürdigung.
Bei dieser Entscheidung ging es um einen Fall der Nötigung (BGH, Urteil vom 13.03.1997 - 1 StR 722/96, LG Konstanz, NStZ 1997, 494). Die Revision
hatte keinen Erfolg.
„ ... b) Nach der Rechtsprechung des BGH muß in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage" steht, der Tatrichter alle naheliegenden Möglichkeiten in Betracht
ziehen, die geeignet sind, seine Beweiswürdigung zu beeinflussen, und er muß erkennen lassen, dass er sie berücksichtigt hat (BGH StV 1995, 398, 399; 1996,
249f.; NStZ 1996, 98; weitere Nachw. bei Eisenberg BeweisR der StPO, 2. Aufl., Rn 1480). Dem wird das angefochtene Urteil gerecht ..."
Anmerkung: Der Tatrichter hat das Urteil erfolgreich „dicht geschrieben".
Der BGH-Beschluss vom 12.11.1998 (4 StR 511-98, NStZ-RR 1999, 139) behandelt eine erfolgreiche Revision eines wegen Vergewaltigung und
Körperverletzung Angeklagten. Der 4. Strafsenat führt aus:
„ ... Das LG stützt die Verurteilung im wesentlichen auf die Aussage der Zeugin. In einem solchen Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die
Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angekl. zu beeinflussen geeignet
sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; BGHR StGB § 177 I Beweiswürdigung 15) und auch in
einer Gesamtschau gewürdigt hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14 m.Nachw.). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Würdigung
der Hauptbelastungszeugin weist vielmehr in wesentlichen Punkten Lücken und Erörterungsmängel auf: ..."
Anmerkung: Wieder ein Fall, in dem das Urteil nicht ausreichend begründet worden ist.
Dazu ein Beispiel aus dem Beschluss des 1. Strafsenats des BGH vom 29.10.1996 - 1 StR 603/96 - (NStZ-RR 1997, 105):
"... Bei dieser Sachlage durfte das LG nicht - wie geschehen - den Zeugen S ohne eingehende Erörterung der gesamten Umstände für uneingeschränkt
glaubwürdig halten. Wenngleich durch die getrennte Verfolgung der beiden erwähnten Falschgeldgeschäfte S hier nur in der Rolle eines Zeugen aufgetreten ist,
gelten für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit dieselben strengen Maßstäbe, die der BGH für Fälle aufgestellt hat, in denen der bestreitenden Einlassung
eines Angekl. lediglich die belastende Aussage eines Mitbeschuldigten gegenübersteht (BGH, StV 1991, 451f.; BGH, StV 1992, 92f.).
Danach hat der Tatrichter alle naheliegenden Motive einer möglichen Falschbelastung in seine Erwägungen einzubeziehen, insbesondere danach zu fragen, ob
sich der den Angekl. belastende Mitbeschuldigte davon eine Milderung seiner eigenen Strafe oder einen sonstigen Vorteil, etwa die Entlassung aus der
Untersuchungshaft, versprochen haben kann oder ob es ihm darum geht, andere Hintermänner der Tat zu decken. Demgegenüber hat das LG den Zeugen S
ohne weitere Prüfung wie einen unbeteiligten Zeugen behandelt. Aufgrund seiner Aussage hat es für erwiesen erachtet, dass die Angekl. in dem Landauer
Ermittlungsverfahren gelogen habe, und daraus gefolgert, dass dies auch hier so sei. ..."
Ein Rechtsfehler kann vorliegen, wenn der Tatrichter einen Mittäter ohne eingehende Erörterung der gesamten Umstände für uneingeschränkt glaubwürdig hält.
In die Würdigung sind alle naheliegenden Motive einer möglichen Falschbelastung in die Erwägungen einzubeziehen. Hat der Tatrichter alle maßgeblichen
Umstände beachtet, so darf er dem Mittäter glauben, auch wenn es eher wahrscheinlich ist, dass er lügt!?
In dem BGH-Beschluss vom 23.05.2000 - 1 StR 156/00 (NStZ 2000, 496 f) geht es um einen „Aussage-gegen-Aussage"-Fall. Dem Angeklagten wurde der
sexuelle Missbrauch von Kindern vorgeworfen. Seine Revision hatte Erfolg. Der erste Strafsenat führt folgendes aus:
„ ... II. 2. Das angefochtene Urteil enthält durchgreifende Beweiswürdigungsfehler. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung
im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die
Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 108).
a) So ist es in Fällen der vorliegenden Art in aller Regel erforderlich, die Entstehung und Entwicklung der Aussage aufzuklären (BGH Urt. v. 17. 8. 1999 - 1
StR 293/99; BGHSt 45, 164; BGH NStZ 1995, 558; 1996, 295; StV 1998, 250; 1999, 307; NStZ-RR 1999, 108). Das gilt vor allem dann, wenn ein
Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschließen ist (BGH NStZ 1999, 45). Wenn zudem - was hier ersichtlich der
Fall ist - vor Beginn der strafrechtlichen Ermittlungen private Befragungen" zu den Tatvorwürfen erfolgt sind, so ist der Beweiswert belastender Angaben -
insbesondere vor dem Hintergrund familiärer Auseinandersetzungen und bei dem Kind möglicherweise geweckter Erwartungen zum Inhalt seiner Aussage -
besonders kritisch zu prüfen. Zur erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, sind die
Erkenntnisquellen zur Aussageentstehung auszuschöpfen (vgl. BGH NStZ 1995, 558). In solchen Fällen ist auch die Aussagemotivation kritisch zu prüfen (vgl.
BGHSt 45, 164). ..."
Wieder verweist die Entscheidung auf ältere Judikatur. Hätte das Tatgericht die Entscheidung im Sinne dieser Rechtsprechung begründet, hätte die Revision
keinen Erfolg haben können. Leider produziert auch diese Entscheidung unschöne Gefühle. Es kommt bei dieser Interpretation des § 261 StPO nämlich nicht
auf die materielle Wahrheit hat. Der Versuch, eine bestmögliche Annäherung der formellen an die materielle Wahrheit zu erreichen, ist nicht erkennbar.
An dieser Stelle wird per 26. Mai 1999 der Pistanzieneis-Fall eingefügt (BGH, Urt. v. 19.01.1999 - 1 StR 171/98 - Pistanzieneis). Mit dieser Entscheidung
hob der 1. Strafsenat ein Urteil des LG Heilbronn auf. Das Urteil wird zur Lektüre empfohlen (NJW 1999, 1562 ff.; vgl. auch BGH StV 1997, 62). Der Leitsatz
der NJW-Redaktion lautet:
„Fehlt endgültig eine objektive hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch die Angeklagte, kann von Rechts wegen eine sichere Überzeugung von der Täterschaft nicht gewonnen werden. Der BGH kann bei dieser Sachlage durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden."
In der Entscheidung hat der 1. Strafsenat in einer sehr bemerkenswerten Art dargelegt, warum die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken
unterliegt. Manch ein Verteidiger wird sich an mit viel Fleiß erstellte Revisionsbegründungen erinnern, die ohne Begründung mit dem Makel „offensichtlich
unbegründet" versehen worden sind, was dem Praktiker-Alltag entspricht. Wenn jedoch das Ergebnis nicht passt oder sich ein Landgericht aufmüpfig zeigt,
sind durchaus feinsinnige höchstrichterliche Ausführungen möglich, die sogar zum Freispruch führen können. Das ist ergebnisorientierte Judikatur von erster Güte.
Der BGH - Beschluss v. 19.10.2000 - 1 StR 439/00 (NStZ 2001, 161) enthält folgende Ausführungen:
„Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe
erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.;
vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 108). Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss der Tatrichter jedenfalls
regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben
(BGHSt 44, 153, 158; 256, 257)."
Der 1. Strafsenat hat in dieser Entscheidung in bekannter Manier geprüft, ob die ausführliche Glaubwürdigkeitsprüfung relevante Lücken erkennen lässt. Nach
dem Ergebnis der Prüfung genügte das angefochtene Urteil „gerade noch" den erhöhten Anforderungen Aussage-gegen-Aussage-Rechtsprechung, weil sich das
Tatgericht die Mühe gemacht hat, alle wesentlichen Gesichtspunkte in seinem schriftlichen Urteil niederzulegen. Die Qualität der die Entscheidung
beeinflussenden Umstände scheint dabei eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Gesamtschau der - belastenden - Indizien reichte aus, um zur
Glaubhaftigkeit der Angaben der Belastungszeugin zu gelangen. Dabei bestand die Möglichkeit einer bewusst unwahren Aussage, weil die Zeugin offenbar an
einer „histrionischen Persönlichkeitsstörung" litt. Dennoch fehlt der zitierten Entscheidung eine gewisse Überzeugungskraft nicht. Andererseits zeigt sie, dass
die Argumentationswege keineswegs gerade verlaufen. Zickzacksprünge sind notwendig, um das vom Tatrichter erzielte Ergebnis mit § 261 StPO in Einklang
zu bringen.
Im Beschluss des BGH vom 03.04.2002 - 3 StR 33/02 (LG Oldenburg) (NStZ 2002, 494) geht es um den Fall einer Vergewaltigung, in dem der Angeklagte
Revision eingelegt hat. Der 3. Strafsenat hat das Urteil mit folgender Begründung kassiert:
„2 3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die
revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die
Beweise nicht erschöpfend gewürdigt (st. Rspr.; vgl. BGHSt 29, 18, 20; KK- Engelhardt 4. Aufl., § 261 Rn 49 mwN), insbesondere bei der Auswertung von
Beweistatsachen naheliegende andere Möglichkeiten nicht erörtert werden (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 5).
3 a) Gemessen daran, begegnet die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils schon zum objektiven Sachverhalt rechtlichen Bedenken. Da sich die Zeugin
ihre Verletzungen auch bei dem vom Angekl. geschilderten Geschehensablauf zugezogen haben kann und diese daher kein objektiver Umstand von Gewicht
sind, steht in den wenigen, aber entscheidenden Punkten, in denen die Einlassung des Angekl. und die Aussage der Geschädigten voneinander abweichen,
letztlich Aussage gegen Aussage. In einem solchen Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, muss der
Tatrichter erkennen lassen, dass er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl.
BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Diesen hohen Anforderungen entspricht das Urteil nicht. So hätten die
Abweichungen in den im wesentlichen konstant gebliebenen Angaben der Zeugin M bei ihren verschiedenen Vernehmungen umfassend dargestellt und die
Äußerungen der Zeugin, mit der sie ihren entgegenstehenden Willen artikuliert hat, detailliert wiedergegeben werden müssen. Außerdem hätte erörtert werden
müssen, ob die festgestellten schwerwiegenden psychischen Probleme der Zeugin deren Aussageverhalten oder das Tatgeschehen beeinflusst haben können.
4 b) Auch zur subjektiven Tatseite erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft. Das LG erörtert nicht die hier naheliegende Möglichkeit, dass der
Angekl. den von der Zeugin artikulierten entgegenstehenden Willen als nicht ernst gemeint aufgefasst und auf Grund der Gesamtsituation von deren
Einverständnis mit sexuellen Handlungen ausgegangen ist. Wegen des Verhaltens der Zeugin, die sich nur mit einem Nachthemd bekleidet zum Angekl. ins
Bett gelegt und dessen Schläfen massiert hatte, liegt der Schluss nahe, der Angekl. sei zunächst von einem generellen Einverständnis mit sexuellen Handlungen
ausgegangen. In dieser Situation musste der Angekl. die - wenig aussagekräftigen - Äußerungen der Frau sie wolle das nicht", nicht zwingend als ernst
gemeinten Widerstand auffassen, zumal zu deren Bestimmtheit, Intensität und Lautstärke keine näheren Feststellungen getroffen sind. Außerdem waren die
vom Angekl. ausgeübte Gewalt und der von der Zeugin ausgeübte Widerstand nicht heftig und nachhaltig. Hinzu kommt, dass der Angekl. am nächsten
Morgen, als er erneut versuchte, mit der Zeugin intim zu werden, wegen deren deutlich ablehnenden Haltung davon Abstand nahm . ..."
Bei der Entscheidung des BGH vom 23.10.2001 - 1 StR 415/01 (LG Augsburg) (NStZ 2002, 161 f) geht es um einen Fall des Kindesmissbrauchs (später
Zeitpunkt der Beweisantragstellung). Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:
„... 1 II. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des LG weist rechtlich erhebliche Mängel auf (§ 337 StPO). Die
Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters und das RevGer. hat sie grundsätzlich hinzunehmen. Das gilt aber dann nicht, wenn die Beweiswürdigung in
sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, oder gegen die Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstößt. Zumal in Fällen, in denen Aussage
gegen Aussage steht, bedarf es in besonderem Maße einer Gesamtwürdigung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände (vgl. nur BGHR StPO
§ 261 Beweiswürdigung 2, 14, 17; Beweiswürdigung, unzureichende 1). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des LG nicht in jeder Hinsicht gerecht.
2 1. Bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben würdigt die StrK auch die Aussage der Mutter des
Angekl. zu einer bedeutsamen Einzelheit, nämlich zu dem Zeitpunkt eines Telefonanrufes dieser Zeugin beim Angekl. am Tage des Todes von dessen Vater.
Dieser Anruf sollte den Angekl. der Aussage der Geschädigten zufolge während der Ausführung einer der Taten erreicht haben. Nach Auffassung der
Verteidigung war dies wegen des behaupteten späten Zeitpunkts des Anrufs im Verlaufe des Vormittags und des Schulbesuchs der Geschädigten nicht möglich.
Die Kammer führt dazu bewertend aus, der entsprechende Beweisantrag auf Einvernahme der Zeugin, die im Hinblick auf ihr im Ermittlungsverfahren geltend
gemachtes Zeugnisverweigerungsrecht und ihre aktenkundige Gebrechlichkeit von der Kammer nicht geladen worden war, sei erst am ursprünglich
vorgesehenen Ende der Beweisaufnahme gestellt worden, obwohl sich dieser Entlastungsbeweis bereits seit Kenntnis der Anklageschrift aufgedrängt habe.
3 Dies lässt besorgen, dass die StrK zum Nachteil des Angekl. ein zulässiges prozessuales Verhalten berücksichtigt hat (vgl. dazu BGHSt 45, 367, 369, 370;
BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 13, 21). Das begegnet hier deshalb rechtlichen Bedenken, weil der Angekl. die Tat mit einer allgemeinen Erklärung in
Abrede gestellt hatte. Mangels Mitwirkung des Angekl. an der Aufklärung des Sachverhalts konnte das nicht als nur teilweises Schweigen gewertet werden, das
einer Würdigung zugänglich gewesen wäre (vgl. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 14). Der Angekl. darf aber nicht nur schweigen, sondern ebenso auf den
Antritt eines Entlassungsbeweises verzichten, ohne deshalb in Kauf nehmen zu müssen, dass dieses Verhalten als belastender Umstand bewertet wird und ihm
damit zum Nachteil gereicht (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 13, Überzeugungsbildung 8). Es ist grundsätzlich seine Entscheidung, wann er einen
Beweisantrag stellt (Rechtsgedanke des § 246 I StPO). Allerdings darf durchaus bei der Würdigung eines solchen, spät angetretenen Beweises in Rechnung
gestellt werden, dass eine etwa entlastende Aussage erst während des Verlaufs der Hauptverhandlung zustande gekommen ist und es dem Zeugen mithin
möglich war, seine Aussage auf das bisherige Beweisergebnis einzurichten (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21; BGH Beschl. v. 6. 9. 2001 - 3 StR
302/01). 4 Selbst wenn der Zeitpunkt einer Beweisantragstellung als solcher einer Beweiswürdigung ausnahmsweise zugänglich sein sollte (so noch Senat
BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; differenzierend auch BGHSt 45, 367, 369, 370), ist eine darauf abstellende Beweisführung nur dann lückenlos
und tragfähig, wenn naheliegende unverfängliche Erklärungsmöglichkeiten für den späten Beweisantritt erörtert und ausgeräumt werden. Zu Recht weist die
Revision darauf hin, dass der Angekl. hier aus seiner Sicht zunächst gute Gründe haben konnte, seiner - wie auch das Urteil erwähnt - gebrechlichen Mutter die
mit einer Aussage in der Hauptverhandlung gegen ihren Sohn verbundenen Belastungen verschiedener Art zu ersparen. Zudem hatte die Mutter sich im
Ermittlungsverfahren auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen, was letztlich ihre eigene Entschließung war. Unter diesen Umständen erweist es sich als
rechtlicher Mangel der Beweiswürdigung, dass das LG - wenn auch nur neben anderen Umständen - auf den erst späten Zeitpunkt der Beweisantragstellung
abhebt, ohne naheliegende Erklärungsmöglichkeiten dafür in den Blick zu nehmen.
5 2. Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht hinreichend erkennen, dass die StrK eine Gesamtwürdigung und -abwägung aller für und gegen die
Täterschaft des Angekl. sprechenden Indizien vorgenommen hat. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Tatopfers darf sich der Tatrichter
nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen könnten, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt
voneinander zu prüfen, und festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubhaftigkeit in Zweifel zu ziehen (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung
14; Beweiswürdigung, unzureichende 1). Die StrK hat zwar die Bekundungen der Zeugin B. B (Ehefrau des Angekl. und Mutter des Tatopfers) sowie der
Zeugen A. B (Bruder des Angekl.) und M. B (Sohn des Angekl. und Bruder des Tatopfers) jeweils für sich bewertet; dazu gehörten neben zahlreichen anderen
Punkten auch die Angaben von Bruder und Mutter der Geschädigten, von dem jahrelangen sexuellen Missbrauch (im selben Haushalt) nichts bemerkt zu
haben. Es fehlt jedoch eine Gesamtschau und Gesamtabwägung aller Beweise; dass diese vorgenommen worden wäre, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
Das wäre indessen hier geboten gewesen, weil die Anzeigeerstattung erst viele Jahre nach den in Rede stehenden Taten erfolgt ist und zum Tatgeschehen -
beim Fehlen objektiver Tatspuren - Aussage gegen Aussage steht. ..."
Dem 1. Strafsenat des BGH ist zuzugestehen, dass er in bestimmten - sorgsam ausgewählten - Fällen bereit ist, nicht jede bittere Pille zu schlucken, die ihm
von den Tatgerichten präsentiert wird. Es ist gar eine Tendenz hin zu einer kritischeren Würdigung von Beweisergebnissen zu erkennen. Es ist allerdings eine
Selbstverständlichkeit, dass der Zeitpunkt einer Beweisantragstellung im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht zum Nachteil des Angeklagten
gewertet werden darf. Dies folgt schon daraus, dass die Verteidigung noch während des Schlussvortrages Hilfsbeweisanträge, die sich auf alle entlastenden
Umstände beziehen dürfen, stellen kann.
Der BGH - Beschluss v. 16.01.2001 - 1 StR 503/00 (NStZ 2001, 333) - fasst in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zum Umfang der
Überprüfung zusammen. Weiter heißt es dann:
„Im Übrigen kommt allein der - im Ergebnis jedoch nicht durchgreifende - Gesichtspunkt etwaiger Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung in Betracht, weil das
Urteil - wie den Bf. zuzugeben ist - insofern knapp ist. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen besonders nahe liegt,
dass der Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer zu Tode kommen könne, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder
fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 3, 37 m.w. Nachw.). Andererseits ist angesichts der
hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder darauf
vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, NStZ 1983, 407 m.w. Nachw.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 5). Diesen
Gesichtspunkten hat das LG jedoch mit folgenden Erwägungen noch hinreichend Rechnung getragen ..."
Diese Entscheidung enthält m.E. für den Bereich äußerst gefährlicher Gewalthandlungen die dort genannten Beweisregeln, an die der Tatrichter gerade nicht
gebunden sein soll. Überzeugend sind diese nach der Logik der Strafsenate des BGH unzulässigen Regeln nicht. Danach droht einem Täter eine Verurteilung
wegen der Begehung einer vorsätzlichen
Tat auch dann, wenn ihm, was in der Praxis durchaus nicht selten der Fall ist, die äußerste Gefährlichkeit seiner Gewalthandlung
zur Zeit der Tatausführung gar nicht bewusst war. Wie unverantwortlich er gehandelt hat, erfährt der Täter oft erst durch seinen viel später auftretenden
Verteidiger. Dies hat wiederum nichts mit der Frage zu tun, ob der Täter die Gefahr erkannt oder auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut hat.
Aufgrund dieser zweifelhaften Regeln sind der tatrichterlichen Manipulation nach Gutdünken Tür und Tör geöffnet. Das weitere Leben des Täters hängt allein
davon ab, ob der Berichterstatter des Tatgerichtes die Kunst des revisionssicheren Schreibens eines Strafurteils beherrscht, in dem er die Beachtung der Regeln
im Text des Urteil zum Ausdruck bringt. Seine wirkliche Überzeugung und seine Denkungsart kann und darf dort nicht auftauchen. Eine solche
Beweiswürdigung ist eines Rechtsstaates nicht würdig.
Nach dem Beschluss des 4. Strafsenates vom 06.09.2005 - 4 StR 386/05 liegt ein „durchgreifender Erörterungsmangel" vor, wenn der Tatrichter nicht alle
Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Würde dieser weise Satz konsequent berücksichtigt,
wäre es um die deutsche Strafjustiz der Gegenwart nicht so miserabel bestellt. Die Praxis zeigt, dass dies nicht mehr als ein pauschales Lippenbekenntnis ist.
Krankheitsbedingte Realitätsverkennungen werden von Tatrichtern in der Regel in Kauf genommen, weil man ja trotz dieser Eigenschaften von der Richtigkeit
der Aussagen solcher Belastungszeugen überzeugt sei, schon weil die staatliche Autorität nicht angekratzt werden dürfe. In Gießen gelten zum Beispiel Zeugen
mit 3,8 Promille Alkohol im Blut als aussagetüchtig. Solche Zeugen leiden nicht an alkoholbedingten Realitätsverkennungen. Auf die Aussagen solcher Zeugen
werden Verurteilungen gestützt, die beim OLG Frankfurt ohne Skrupel kurzerhand nach § 349 II StPO erledigt werden. Was folgt, ist keinesfalls die Regel:
„... Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung an einem durchgreifenden Erörterungsmangel leidet. Wenn, wie hier, Aussage gegen Aussage
steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter
alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261,
Beweiswürdigung 23). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
Das LG hat die ‚kurz nach der Tat' aufgetretene psychotische Störung der Nebenkl. lediglich im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob die Erkrankung
Folge der Tat war und hat dies verneint. In diesem Fall lag es jedoch angesichts des massiven Krankheitsbildes nahe, dass die - nicht tatbedingte -
schizophrene Psychose bereits im Tatzeitraum vorlag und sich krankheitsdingte Realitätsverkennungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit der Nebenkl.
hinsichtlich der Geschehnisse in der Tatnacht ausgewirkt und den Inhalt ihrer Aussagen beeinflusst habe können. Hiermit hat sich das LG nicht auseinander
gesetzt. Nähere Ausführungen dazu waren jedoch veranlasst. So war der Tochter der Nebenkl. bereits am Morgen nach der Tat die schlechte körperliche
Verfassung ihrer Mutter aufgefallen. Ob dieser Zustand bereits Ausdruck der psychischen Erkrankung der Nebenkl. war, bzw. wann genau erste Anzeichen
einer akuten schizophrenen Psychose auftreten, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Es verhält sich auch nicht dazu, ob und gegebenenfalls in welchem
Zusammenhang vergleichbare Auffälligkeiten bei der Nebenkl. bereits in der Vergangenheit beobachtet worden waren. Eine Einschränkung der
Wahrnehmungsfähigkeit der Nebenkl. zur Tatzeit ist deshalb nach den bisherigen Feststellungen nicht hinreichend sicher ausgeschlossen.
Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden. Es wird sich in Anbetracht der festgestellten psychischen Auffälligkeiten der
Nebenkl. empfehlen, in der neuen Hauptverhandlung einen geeigneten Sachverständigen hinzuzuziehen zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der
Nebenkl. unter Berücksichtigung einer möglicherweise im Tatzeitraum vorliegenden psychischen Beeinträchtigung. ..."
Nachtrag dazu: Nach den im Landgerichtsbezirk Gießen geltenden „Beweiswürdigungsregeln" beginnt der Oberkörper 2 cm unterhalb des Bauchnabels, um
den benötigten Tötungsvorsatz konstruieren zu können.
Der 2. Strafsenat des BGH führt im Urteil vom 14.12.2005 - 2 StR 275/05 - aus, er habe nur einzugreifen, wenn die Beweiswürdigung des Tatrichters
„fehlerhaft" sei. Dem wird widersprochen. Fehlerhafte Urteile erkennt der BGH in der Regel nicht, weil er sich damit begnügt, § 349 II StPO nach der
„Pi-mal-Daumen-Regel" extensiv anzuwenden. Die Dunkelziffer der infolge „revisionssicherer", aber unrichtiger Beweiswürdigung rechtskräftig gewordener
Fehlurteile ist hoch. Nur in ganz wenigen Fällen kommt es später zu einer Korrektur der falschen Urteile. Staatlicher Autorität wird stets der Vorrang vor
materieller und formeller Gerechtigkeit eingeräumt. Das ist die Realität des bundesdeutschen Strafprozesses, der sich um Wahrheit in jeder nur denkbaren
Interpretationsform - es gibt verschiedene Wahrheitsbegriffe - nicht scheren muss. Widersprüche und Verstoße gegen Denkgesetze u.s.w. liegen vor, wenn die
Berichterstatter der Revisionsgerichte - die Damen und Herren der Strafsenate bei den Oberlandesgerichten dürfen sich als mit erfasst betrachten - solche
erkennen wollen, weil ihnen das Urteil nicht gefällt. Mit einer rechtsstaatlichen Geschäftsbesorgung hat das nichts zu tun, mag auch ein Teil der Betroffenen
von der Richtigkeit ihres Tun tatsächlich überzeugt sein. Insoweit gilt das Gleiche wie im Zusammenhang mit der Erfindung des der Obrigkeit dienlichen
Rechtssatzes, dass es keine Gleichheit im Unrecht gebe. Dieser Grundsatz erlaubt es der Strafjustiz, hochangesehene Wirtschaftskriminelle ohne Strafe
davonkommen zu lassen, während selbst geständige Ladendiebe als Ersttäter - natürlich meist Ausländer - bis zu sechs Monaten in Untersuchungshaft bleiben
müssen und sich auf die „Lex Hartz" nicht beziehen können:
„... Das LG hat nicht mit einer zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit die Überzeugung gewinnen können, dass der Angekl., die die abgeurteilte
Körperverletzung eingeräumt hat, die ihm zur Last gelegten weiteren Taten gegen die Nebenkl. begangen hat. Die Revisionen wenden sich gegen die
Beweiswürdigung des LG. Sie rügen namentlich, dass der Tatrichter angesichts der Beweislage, in welcher ‚Aussage gegen Aussage' gestanden habe, nicht alle
Umstände, die die Entscheidung beeinflussen konnten, in seine Überlegungen einbezogen habe. So seien bei der Würdigung der nach Auffassung des LG
mangelnden Konstanz in den Aussagen der Nebenkl. zu dem Vergewaltigungsgeschehen nahe liegende Möglichkeiten nicht erörtert, durch welche die
festgestellten Abweichungen erklärt werden könnten. Unzureichend erörtert sei auch die Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage der Nebenkl.,
namentlich auch der Umstand, dass deren Freundin als Zeugin ausgesagt hat, die Nebenkl. habe ihr schon alsbald nach dem Vorfall, als sie sich im
Krankenhaus befunden habe, von der Tat berichtet. Überdies rügt die Revision, das LG habe eine Version des Geschehens festgestellt, die weder mit der
Einlassung des Angekl. noch mit der Aussage der Nebenkl. übereinstimme; hierfür fehle es an einer hinreichenden Begründung.
2. Die Einwendungen der Revision gegen die Beweiswürdigung sind im Ergebnis unbegründet:
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das RevGer. kann nicht eine eigene Bewertung der in der tatrichterlichen Hauptverhandlung erhobenen
Beweisergebnisse vornehmen. Eingriffe durch das RevGer. sind vielmehr nur dann zulässig und geboten, wenn die Beweiswürdigung des Tatrichters
fehlerhaft ist und das Urteil darauf beruht.
Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss nach ständiger Rechtsprechung des BGH die wesentlichen Gesichtspunkte enthalten, auf
welche der Tatrichter seine Überzeugung gestützt hat.
Sie darf insbesondere nicht in sich widersprüchlich sein, keine Verstöße gegen Denkgesetze enthalten und nahe liegende abweichende Möglichkeiten der
Beweiswürdigung erkennbar außer Betracht lassen. Es kann andererseits vom Tatrichter nicht verlang werden, alle nach den Beweisergebnissen nicht ganz
fern liegenden Möglichkeiten der Würdigung umfassend zu erörtern und die Erwägungen, welche ihn zu einer bestimmten Überzeugung bewogen haben, in
ihrer Gesamtheit in den schriftlichen Urteilsgründen erschöpfend darzustellen.
b) In Anwendung dieser im Grundsatz unstreitigen Maßstäbe kann vorliegend ein von den Revisionsführerinnen behaupteter Rechtsfehler nicht festgestellt werden.
Das LG hat der Frage der Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der Nebenkl. in den Urteilsgründen breiten Raum eingeräumt und die wesentlichen für und
gegen den Angekl. sprechenden Umstände nicht übersehen. Es hat dabei namentlich nicht die gravierende indizielle Bedeutung der unstreitig festgestellten
Verletzung der Nebenkl. verkannt; ebenso wenig die für die Glaubwürdigkeit der Nebenkl. sprechende Aussage der Zeugin N, einer engen Freundin der
Nebenkl. Das LG hat aber darauf hingewiesen, dass andere, dem Angekl. nahe stehende Zeugen ‚exakt gegenteilige' Bekundungen gemacht haben und dass
die Aussagen eher neutraler, außen stehender Zeugen insgesamt zu widersprechenden Beweisergebnissen geführt haben. Soweit die Revision beanstandet, das
LG habe sich mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin N nicht im Einzelnen auseinander gesetzt, deckt dies einen Rechtsfehler nicht auf. Das LG hat sich auf der
Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung außerstande gesehen festzustellen, welchen der einander widersprechenden Zeugenaussagen es glauben solle.
Es drängt sich auf dieser Grundlage nicht auf, detaillierte Glaubwürdigkeitsanalysen einzelner dieser Aussagen in die Urteilsgründe aufzunehmen. Das gilt im
Ergebnis gleichermaßen für sonstige Beweisanzeichen und Beweisergebnisse.
Es ist auch nicht rechtsfehlerhaft, dass das LG eine Version des tatsächlichen Geschehens für wahrscheinlich gehalten hat, welche weder mit der vom Angekl.
noch mit der von der Nebenkl. geschilderten übereinstimmt. Dies folgte hier aus den vom LG ausführlich erörterten Besonderheiten des Tatgeschehens: Es
erscheint einerseits nicht nahe liegend, dass sich die Nebenkl. die im Krankenhaus festgestellte Verletzung, einen Riss im oberen Scheidenbereich, selbst
mittels der vom LG beschriebenen Kunstpreis beigebracht hat, wie es die Einlassung des Angekl. unterstellt. Gegen die Version der Nebenkl. spricht hingegen
ihre Schilderung des anatomisch und medizinisch kaum nachvollziehbaren Geschehens, wonach der Angekl. gegen die auf seinem linken Oberschenkel
sitzende Zeugin einen Faustschlag geführt und hierbei ‚bis zum Ellbogen' in ihre Scheide eingedrungen sein soll. Dass am Scheideneingang keinerlei
Verletzungen festgestellt wurden, spricht zwar, wie sich aus den Gutachten der Sachverständigen ergibt, nicht schon für sich allein zwingend gegen ein solches
Geschehen; es legt dieses aber auch nicht nahe. Gleiches gilt für den von Zeugen bestätigten Umstand, dass die Nebenkl. im Bekanntenkreis den Vorfall als
‚Sex-Unfall' geschildert hat. Auch das indizielle Gewicht der Besonderheiten in der Biographie der Nebenkl., in den besonderen Umständen in ihrer Beziehung
zum Angekl. einschließlich des diese Beziehung weithin prägenden Sexualverhaltens der Beteiligten sowie der Ankündigung der Nebenkl., sie werde den
Angekl. ‚fertig machen', ist vom LG nicht rechtsfehlerfrei gewichtet worden. Dass die Beweisergebnisse auch anders hätten beurteilt werden können, reicht zur
Aufhebung durch das RevGer. nicht aus.
Das LG hat Zweifel an der Täterschaft des Angekl. im Ergebnis nicht zu überwinden vermocht. Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des
Revisionsvorbringens von Recht wegen nichts zu erinnern. Eine in jeder Richtung lückenlose und vollständige Erörterung aller nicht gänzlich fern liegenden
Erwägungen und Möglichkeiten ist dem Tatgericht nicht möglich und daher von Rechts wegen auch nicht verlangt. ..."
Der BGH zeigt im Urteil vom 24.01.2006 - 5 StR 410/05, was er alles kann. Nicht ins Bild passende Zeugenaussagen können im schriftlichen Urteil ohne
Sanktion weggelassen werden. Im Übrigen ist das Revisionsgericht blind und taub, mag sich der Verteidiger auch noch so bemühen, die Fehlerhaftigkeit der
Beweiswürdigung aufzuzeigen. Um Gottes Willen doch keine Rekonstruktion der Hauptverhandlung! Käme es zu einer solchen, müßten nämlich massenhaft
Ermittlungsverfahren wegen eines Verdachtes der Begehung von Straftaten nach § 339 StGB eingeleitet werden:
„... Die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützte Beanstandung, das Landgericht habe sich in der Beweiswürdigung nicht mit den Aussagen der Zeuginnen
K und S sowie der Zeugen H und Ba (Rügen Nr. 2 und 5) auseinandergesetzt, bleibt ohne Erfolg. Der Tatrichter ist nicht gehalten, in dem Urteil die
Bekundung eines jeden in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen oder Sachverständigen wiederzugeben und abzuhandeln. Er muss nur die
wesentlichen beweiserheblichen Umstände erörtern (BGH StV 1991, 340). Ob die Bekundungen der genannten Zeugen beweiserheblich waren, kann
das Revisionsgericht nicht feststellen. Was die Zeugen in der Hauptverhandlung bekundet haben, steht nicht fest. Die Rekonstruktion der Beweisaufnahme
ist dem Revisionsgericht grundsätzlich versagt. Allenfalls dann, wenn sich das Revisionsgericht mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den
Beweisgehalt des Beweismittels ohne weiteres unmittelbar selbst zu erschließen vermag, kann die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO unter Umständen
erfolgreich sein (st. Rspr.; vgl. BGH StV 1991, 549; 1993, 115; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6, 22, 30). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
c) Die auf eine Verletzung des § 261 StPO gestützte Beanstandung, das Landgericht habe sich mit der verlesenen Aussage des verstorbenen Zeugen M nicht
hinreichend auseinandergesetzt (Rüge Nr. 3), ist unvollständig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision weist in ihrer rechtlichen Würdigung darauf hin, dass
keine Ähnlichkeit zwischen der von dem Zeugen gesehenen Person und dem Angeklagten bestanden habe. Solches hätte sich aber erst aus dem im
Zusammenhang mit den verlesenen Urkunden in Augenschein genommenen Lichtbild des Angeklagten aus dem Jahr 1989 erschließen können. Zum
Verständnis der Rüge hätte demnach auch dieses Bild mit vorgelegt werden müssen. Dass es in Augenschein genommen worden ist, teilt die Revision mit. ..."
Der Beschluss des 5. Strafsenates vom 11.01.2006 - 5 StR 372/05 enthält unter Bezugnahme auf die „Rechtsprechung des BGH" einen Hinweis an den
Tatrichter darauf, dass das revisionssichere Schreiben von Strafurteilen zum Handwerkszeug gehört. Es kommt nicht darauf an, ob das kassierte Urteil unrichtig
war, sondern darauf, ob die Wertung von der Schuld des Täters im Urteil ausreichend begründet worden ist. Wer zweifelt, aber dennoch verurteilt, muss im
Urteil schreiben, dass er nicht zweifelte und deshalb verurteilte:
„... Die Ausführungen des LG zur Entstehung des Brandes leiden an einem Darstellungsmangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nötigt. Das LG
hat die einzelnen Sachverständigengutachten in den Urteilsgründen nur unzureichend erörtert.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist es bei der Bewertung voneinander abweichender Gutachten erforderlich, dass der Tatrichter die wesentlichen
Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen im Urteil wiedergibt (BGH NStZ 1981, 488). Er ist gehalten, die wesentlichen
tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen eines Gutachtens anknüpfen, und die Schlussfolgerungen selbst wenigstens insoweit im Urteil
mitzuteilen, als dies zum Verständnis der Gutachten und zur Beurteilung ihrer gedanklichen Schlüssigkeit für das RevGer. erforderlich ist (BGHSt 8, 113, 118;
12, 311, 314f.).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Dem LG lagen zu der zentralen Beweisfrage, ob die Angeklagte vorsätzlich unter
Verwendung von Spiritus den Brand herbeigeführt hat, mehrere Sachverständigengutachten vor, die von der Strafverfolgungsbehörde noch im
Ermittlungsverfahren, von der Angeklagten selbst oder später vom Gericht in Auftrag gegeben worden waren. Das LG teilt zu den Gutachten, denen es nicht
folgt, lediglich punktuelle Einzelaussagen mit. Es bleibt offen, aufgrund welcher Überlegungen die jeweiligen Sachverständigen zu ihrem Ergebnis gelangt sind
und welche Argumente den Schlussfolgerungen dieser Sachverständigen aus Sicht des LG entgegenstehen. Soweit aus den Urteilsgründen erkennbar ist, halten
etliche der Sachverständigen einen Schwelbrand für gegeben oder können einen solchen jedenfalls nicht ausschließen. Ein Schwelbrand könnte nach ihrer
Auffassung durch eine heruntergefallene Zigarettenglut des häufig im Bett rauchenden späteren Tötungsopfers hervorgerufen worden sein. Welche
Anknüpfungstatsachen und welche Begründungen diese Sachverständigen zu ihrem Ergebnis gelangen lassen, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Wenn das LG darauf abstellt, die anderen Sachverständigen hätten den Tatort später besichtigt, so ist dies schon deshalb nicht überzeugend, weil das LG sich
andererseits zur Frage eines zweiten Brandherdes auf die vor Ort getroffenen Erkenntnisse eines anderen Gutachters stützt, der die Brandstelle ersichtlich
ebenfalls wesentlich später - möglicherweise zeitlich sogar als letzter der Sachverständigen - in Augenschein genommen hat. Im Übrigen hätte zu der Frage,
inwieweit die wohl unverändert gelassene Brandstelle noch eine sachverständige Beurteilung ermöglicht hätte, gleichfalls die Auffassung der beteiligten
Sachverständigen zu der Begutachtungstauglichkeit der Brandstelle mitgeteilt werden müssen, wenn das LG gerade diesem Gesichtspunkt entscheidende
Bedeutung beimisst. ..."
In der Praxis werden kriminalistische Erfahrungsregeln, auch wenn sie direkt aus den Lehrbüchern der Kriminalisten oder ihren Aufsätzen zitiert werden, so
behandelt, als würden sie nicht existieren. Der BGH macht in seinem Beschluss vom 01.02.2007 - 5 StR 519/06 - eine seltene Ausnahme, was sich nach der
Pi-mal-Daumen-Lehre nur damit erklären lässt, dass dem Berichterstatter irgendetwas an dem angefochtenen Urteil nicht passte. Das sind Pyrrhussiege, die
zugleich immer wieder deftige Niederlagen für den Rechtsstaat bedeuten, weil sich hinter dem 261er-Kleid nicht mehr als nackte Willkür verbirgt. Es werden
sich ohne weiteres zehn Verteidiger finden lassen, die wiederum zehn Entscheidungen aus der Praxis mit vergleichbaren Rügen zitieren können, welche vom
Revisionsgericht mit einer Entscheidung nach § 349 II StPO belohnt worden sind. Überdies wird in der Praxis die „Aussage-gegen-Aussage"-Rechtsprechung
der Obergerichte in der Regel nicht beachtet; das vielfältig gefördert durch die extensive Anwendung der zuvor zitierten Bestimmung der StPO (siehe dazu die
statistischen Daten im Strafrechtslexikon):
„... Die Beweiswürdigung des Landgerichts entspricht nicht den besonderen Anforderungen, die in der auch hier gegebenen Konstellation Aussage gegen
Aussage (vgl. BGH StV 1998, 250) zu erfüllen sind (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.).
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft, weil es die Umstände des von S. bekundeten Erwerbs eines bauartgleichen DVD-Spielers wie des
geraubten nicht in seine Aussageanalyse einbezogen hat. Dadurch hat das Landgericht Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die das vom Zeugen bekundete für
den Angeklagten günstigere Alternativgeschehen - Inpfandnahme des DVD-Players wegen bestehender Schulden - zu stützen in der Lage gewesen wären
(vgl. Nack StV 2002, 510, 514).
Der Zeuge S. hat zum Erwerb des gleichen - sogar mit identischer Produktionsnummer versehenen - DVD-Spielers zunächst während der Durchsuchung seiner
Wohnung am 28. März 2006 erklärt, er habe dieses Gerät von einem ‚Kumpel', den er nicht nennen wolle. Während einer weiteren Zeugenvernehmung hat er
am 7. April 2006 bekundet, er habe das Gerät auf der Straße in Berlin für 40 Euro besorgt, und sich hinsichtlich weiterer Fragen auf § 55 StPO berufen.
Dieses widersprüchliche, schon im Blick auf das vom Zeugen in Anspruch genommene Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kritisch zu bewertende
Aussageverhalten (vgl. BGHSt 47, 220, 223 f.) hätte vorliegend in die Würdigung des Wahrheitsgehaltes der für glaubhaft erachteten Aussage
einbezogen werden müssen. Dies gilt umso mehr, weil es das Landgericht unterlassen hat, nach kriminalistischen Erfahrungsregeln (vgl. BGH wistra 2002,
260, 262; BGH Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03; BGH wistra 2007, 18, 19 f.) eine Wahrscheinlichkeit zu erwägen, mit der ein - eher nicht weit
verbreitetes - Gerät der Unterhaltungselektronik mit identischer Produktionsnummer von einem Hehler hätte erworben werden können. Dies und auch das
unübliche Verhalten von Räubern, die unmaskiert lediglich ein Gerät aus einer gut ausgestatteten Wohnung mitnehmen, hätte dem Landgericht Anlass geben
müssen, im Einklang mit dem von dem Zeugen geschilderten Alternativverhalten der Täter eine vorübergehende Mitnahme des DVD-Spielers als Pfand in
Erwägung zu ziehen.
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, auch die weiteren Qualitätsmängel der Aussage des Zeugen S. in einer Gesamtbetrachtung zu bewerten (vgl.
BGHR StPO § 261 Zeuge 3; Indizien 1, 7). Die Strafkammer ist der belastenden Aussage des Zeugen S. bezüglich des Mitangeklagten F. nicht gefolgt,
nachdem S. bei einer polizeilichen Nachvernehmung am 24. September 2005 ausdrücklich erklärt hatte, er wisse nicht mehr, wer ihn geschlagen habe. Das
Landgericht misst damit der fehlenden Aussagekonstanz der F. belastenden Aussage Bedeutung zu, unterlässt aber eine ausdrückliche Begründung, warum
solches bei der Bewertung der Aussage zum Nachteil des Angeklagten W. nicht anzunehmen ist.
Die Strafkammer hat daneben den Umstand nicht in ihre Aussageanalyse einbezogen, dass S. der Wahrheit zuwider angegeben hat, von dem Zeugen Sch.
nicht unter Druck gesetzt worden zu sein, am 28. März 2006 eine - wie geschehen - den Angeklagten W. belastende Aussage zu machen.
Schließlich begegnet die Erwägung des Landgerichts Bedenken, S. hätte aus Angst vor dem Angeklagten W. eine für diesen günstigere Falschaussage gemacht.
Zwar wäre im Fall einer Wegnahme des DVD-Spielers zur Inpfandnahme eine Strafbarkeit wegen Raubes wegen fehlender Zueignungsabsicht nicht in Betracht
gekommen. Indes hätte auch eine Verurteilung des massiv vorbestraften W. nur wegen (räuberischer) Erpressung und gefährlicher Körperverletzung
naheliegend zu einer so empfindlichen Sanktion führen können, dass sich S. auch im Blick auf das von ihm geschilderte Alternativgeschehen Racheakten des
Angeklagten und seiner Tatgenossen hätte ausgesetzt sehen können. Damit hat das Landgericht der Angst des Belastungszeugen für die Frage, welcher Aussage
des Zeugen zu folgen ist, eine zu große Bedeutung beigemessen.
c) Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat weist darauf hin, dass nach dem bisherigen Beweisergebnis tragfähige
Indizien vorliegen, die wenigstens eine Anwesenheit des Angeklagten W. in der Wohnung des Zeugen S. belegen. ..."
Ein Musterfall ergibt sich aus dem Urteil des BGH vom 31.01.2007 - 5 StR 404/06, mit dem - was Wunder - ein Freispruch kassiert worden ist. Selbst wenn
davon ausgegangen würde, dass in diesem Fall die Revisionsentscheidung richtig wäre, so ist zu bedenken, dass nach aller Erfahrung vergleichbare Rügen der
Verteidigung kein Gehör finden. Würde die Verteidigung ausführen, das Tatgericht habe „es unterlassen, die fehlerfrei festgestellten Umstände der Kampflage
vollständig zu bewerten", so würde das, wenn es sich um entlastende Umstände handeln würde, nur schallendes Gelächter auf der Revisionsrichterbank
auslösen. Den feinsinnigen Umgang mit Entlastungsindizien gibt es in der Strafrechtspraxis zur Schande des Rechtsstaates nicht:
„... Die Beweiswürdigung des Landgerichts, auf deren Grundlage es die Annahme einer Mittäterschaft oder Beihilfe des Angeklagten K. Y. abgelehnt hat, ist
lückenhaft. Das Schwurgericht hat es unterlassen, die fehlerfrei festgestellten Umstände der Kampflage vollständig zu bewerten (vgl. BGH wistra 2002,
260, 262; 2007, 18, 19 f.; BGH Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03). Das Landgericht hat sich zwar fehlerfrei davon überzeugt, dass es nach dem
Eintreffen des mit einer Schreckschusspistole bewaffneten Angeklagten zu einem lautstarken Wortwechsel unbekannten Inhalts mit dessen mit einer Pistole
bewaffneten älteren Bruder gekommen ist. Es hat aber nicht feststellen können, dass K. Y. im Rahmen der Absprache vor der Tat zur Kenntnis gebracht
worden sei, dass S. Y. über eine scharfe Schusswaffe verfüge. Diese Erwägung beruht indes auf einer nicht ausreichenden Auswertung der die Angeklagten
belastenden Umstände in diesem Zusammenhang, die für eine Kenntnis des Angeklagten K. Y. vom Einsatz einer scharfen Schusswaffe sprechen.
Dazu hat das Landgericht folgende Belastungsindizien festgestellt:
Der Angeklagte S. Y. blieb nach dem Telefonat mit T. St. in Erwartung der Kontrahenten am späteren Tatort. Die von diesem Angeklagten und E. mitgeführten
Waffen dienten nicht zum Vorzeigen und Abschrecken, sondern sollten im Blick auf die große Menge der mitgeführten Munition auch eingesetzt werden. Der
Angeklagte K. Y. kam - nach dem Anruf durch seinen Bruder - nicht als Abholer der übrigen Angeklagten, sondern als Unterstützer der bereits anwesenden
Schwerbewaffneten. K. Y. blieb an der Seite seines Bruders in Erwartung der Gegner und schoss fast zeitgleich mit diesem nach vorangegangener Absprache
auf die drei Insassen aus dem ersten von zwei als Fahrzeuge der Angreifer erkannten Pkw.
Damit hat das Landgericht den Angeklagten K. Y. in objektiver Hinsicht als Kampfgefährten seines älteren Bruders in das Kampfgeschehen eingeordnet. Dass
K. Y. geglaubt haben könnte, sein Bruder verfüge über keine oder über eine weitgehend wirkungslose Waffe, widerspricht kriminalistischer Erfahrung, weil
solches bedeuten würde, dass sich K. Y. angesichts der Überzahl der teilweise bewaffneten Gegner in einen hochgradig selbstgefährdenden Kampf begeben
hätte. Für eine solche Lage bestehen indes nach den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte.
Das Führen der Schreckschusswaffe und die mögliche dolose Mitwirkung des Angeklagten K. Y. an den Schüssen seines Bruders bedürfen demnach neuer
Aufklärung und Bewertung. ..."
Das Urteil des BGH vom 05.04.2006 - 2 StR 41/06 deutet an, dass an ein freisprechendes Urteil offenbar strengere Anforderungen gestellte werden sollen.
Nach den gemachten Verteidigererfahrungen, die allerdings nur beschränkte Aussagekraft haben, geht die Praxis diesen Weg ohne Bedenken.
„...Die Strafkammer, die nur unter Heranziehung des § 21 StGB zum minder schweren Fall gelangt ist, hat sich ohne weitere Erwägungen der Sachverständigen
angeschlossen, die der Angeklagten eine Borderline-Störung und daraus resultierend eine erhebliche Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens attestiert hat.
Dem Gutachten eines Sachverständigen darf sich das Gericht aber nicht einfach anschließen (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17). Will es dem
Ergebnis ohne Angabe eigener Erwägungen folgen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen
des Sachverständigen so wiedergegeben werden wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl.
Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. Rdn. 13 zu § 267 m.w.N.; Senatsurteil vom 15. März 2006 - 2 StR 573/05). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Den lediglich knapp gehaltenen tatsächlichen Angaben lassen sich die insoweit erforderlichen Tatsachen nicht entnehmen.
Die Strafkammer lässt zudem unberücksichtigt, dass bei einer nicht pathologisch begründeten Persönlichkeitsstörung wie dem hier diagnostizierten
Borderline-Syndrom eine schwere seelische Abartigkeit nur dann vorliegt, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt, die in
ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stört, belastet oder einengt (BGHSt 37, 397, 401; BGH NStZ 2004, 437,
438). Die dafür notwendige Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit der Angeklagten und deren Entwicklung, der
Vorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung der Tat sowie des Nachtatverhaltens lässt das Urteil vermissen. Insbesondere fehlen
Ausführungen dazu, inwiefern sich die Persönlichkeitsstörung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen der Angeklagten tatsächlich ausgewirkt hat und
somit tatrelevant war (vgl. BGH NStZ 2005, 205, 206 m.w.N.). ...
a) Die Begründung des Landgerichts genügt den an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Spricht der Tatrichter
einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen.
Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die
Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, bzw. gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Dabei muss sich aus
den Urteilsgründen ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen
wurden (vgl. u. a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2001, 491, 492; 2002, 48). Diese
Mindestvoraussetzungen sind erfüllt.
Der Angeklagte hat sich zu dem Tatvorwurf nicht eingelassen. Der einzig konkrete Hinweis auf eine mögliche Tatbeteiligung ist nach den Feststellungen eine
einmalige Äußerung der Angeklagten A. T. gegenüber der Zeugin S. , wonach der Angeklagte R. T. dabei gewesen sei und neben ihr gestanden habe. Die
Angeklagte hatte sich im Weiteren gegenüber der Zeugin S. nur bruchstückhaft geäußert, ohne ins Detail zu gehen. Im Übrigen hatte sie eine Beteiligung ihres
Ehemannes sonst stets in Abrede gestellt. Anlässlich ihrer Exploration gegenüber der Sachverständigen hat sie sich plausibel dahin geäußert, sie habe ‚ihn mit
eingebaut, weil sie wegen der vorangegangenen Körperverletzungen wütend auf ihn gewesen sei'. Das Landgericht vermochte es nicht auszuschließen, dass
diese lebensnahe Begründung der Angeklagten zutreffend war.
Entgegen der Ansicht der Revision stellt dies keine Verkennung des Zweifelssatzes dar. Die Strafkammer hat auf der Grundlage einer umfangreichen
zehnseitigen Beweiswürdigung, in der sie sich mit der Entstehung der Aussage gegenüber der Zeugin S. ebenso wie mit den wechselnden Einlassungen der
Angeklagten und den durch zahlreiche Briefe dokumentierten Versuchen, ihren Ehemann R. T. durch diverse unterschiedliche Tatversionen zu entlasten,
auseinandergesetzt hat, eine mögliche Erklärung für die Belastung des Angeklagten durch seine Ehefrau aufgezeigt. Dabei hat sie die starke Abhängigkeit der
Angeklagten von ihrem Ehemann, dessen eigene Motivlage sowie dessen Mitwirken bei der Beseitigung der Leiche berücksichtigt und hat nach
zusammenfassender Würdigung nicht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung gewinnen können, dass der Angeklagte R. T. P. F. getötet oder
zumindest an deren Tötung mitgewirkt hat. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
b) Dass sich das Landgericht bei dieser Beweislage nicht von einer Tatbeteiligung des Angeklagten überzeugen konnte, ist auch unter Berücksichtigung der
nach § 261 StPO erhobenen Verfahrensrüge nicht zu beanstanden.
Zwar hat das Schwurgericht nur einen Teil der von der Revision als erörterungsbedürftig angesehenen beschlagnahmten Briefe der Angeklagten im Urteil
wiedergegeben und deren Inhalt ausführlich erörtert. Ungeachtet einer möglichen Unzulässigkeit der Verfahrensrüge kann jedoch ausgeschlossen werden, dass
das Landgericht, hätte es die von der Revision benannten Briefe im Urteil erörtert, zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangt wäre. Den Briefen ist
lediglich das Bemühen zu entnehmen, die den Angeklagten R. T. - angeblich zu Unrecht - belastende Aussage der Mitangeklagten A. T. gegenüber der Zeugin
S. durch abgesprochene Einlassungen zu relativieren. Ein Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten kann den Briefen - wie das Landgericht selbst
zutreffend ausgeführt hat - nicht entnommen werden. ..."
Der BGH gibt im Urteil vom 22.03.2006 - 2 StR 585/05 eine (Beweis-)Regel wieder:
„... Auch die Rüge einer Verletzung von § 261 StPO greift durch, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft das Schweigen des Angeklagten während des
Ermittlungsverfahrens zu seinen Lasten gewertet hat.
Der Angeklagte hatte - nach seinem Bekunden (UA S. 20) - bei seiner Festnahme nur pauschal geäußert, er habe ‚mit dem Vorfall nichts zu tun'. Im
Ermittlungsverfahren machte er unter Berufung auf sein Schweigerecht keine Angaben. In der Hauptverhandlung ließ er sich erstmals zur Sache ein und
erklärte, nicht er selbst, sondern Haydar B. habe auf Ali K. geschossen (UA S. 20). Das Landgericht hat seine Überzeugung, diese Einlassung sei unzutreffend,
unter anderem auf die Erwägung gestützt, wenn die Einlassung zuträfe, sei es ‚nicht zu erklären, weshalb der Angeklagte nicht den wahren Ablauf offenbarte,
nachdem er von B. s Tod erfahren hatte, und stattdessen weiter in der Untersuchungshaft verblieb' (UA S. 47). Das war rechtsfehlerhaft, denn es darf nicht als
Beweisanzeichen gegen den Angeklagten gewertet werden, dass er sich erst in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (vgl. BGHSt 38, 302, 305
m.w.N.; st. Rspr.). Die pauschale Äußerung des Angeklagten nach seiner Festnahme, er habe ‚mit dem Vorfall nichts zu tun', war keine Teileinlassung, an
welche eine zulässige Verwertung des nachfolgenden Schweigens hätte anknüpfen können.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Zwar hat das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des
Angeklagten auch auf andere Beweisergebnisse gestützt. Diese waren jedoch ihrerseits in ihrer verfahrensrechtlichen Grundlage oder in ihrem inhaltlichen
Ergebnis unsicher. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die tatrichterliche Gesamtwürdigung der Beweislage ohne den Rechtsfehler für den
Angeklagten günstiger ausgefallen wäre. ..."
Was möglich ist, zeigen die Ausführungen im Urteil des BGH vom 21.02.2006 - 1 StR 278/05. Eine wunderbare Legitimation für die Anwendung
„Pi-mal-Daumen-Regel" durch die Revisionsgerichte. Sie ermöglicht Verurteilungen gestützt auf die Angaben von Zeugen, die in einem zentralen Punkt
nachweislich gelogen haben. Mit „Rechtsfehlerfreiheit" hat dies nichts mehr zu tun. „Guckst Du weida":
„... Im Übrigen kann das Urteil deshalb keinen Bestand haben, weil die für Verurteilung oder Freispruch zentralen Aussagen der Nebenklägerin im Ansatz
nicht rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind.
a) Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und spricht er den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies allerdings
regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders
gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn die tatrichterlichen Feststellungen ‚lebensfremd erscheinen'
mögen. Es gibt nämlich im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der
Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.
Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert,
widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche
Gewissheit im Ansatz unzutreffende (‚überspannte') Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. nur BGH StraFo 2003, 381; BGH NStZ-RR 2003, 371
<LS>; BGH NJW 2002, 2188, 2189 m. w. N.).
b) So verhält es sich hier.
Die Strafkammer führt aus, die Unglaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin habe sich ‚bereits auf Grund der vorgenommenen Beweiswürdigung'
ergeben, ohne dass es der Ausführungen der von der Strafkammer angehörten Sachverständigen bedurft hätte. Die Ausführungen dieser Sachverständigen,
deren Zuziehung, so die Strafkammer, gleichwohl ‚angezeigt' gewesen sei und die die Nebenklägerin nach den Urteilsfeststellungen insgesamt 16 Stunden
exploriert hat (vgl. hierzu unter dem Gesichtspunkt des Schutzes (potentieller) Opfer generell BGH NJW 2005, 1519, 1521), sind dann aber doch in den
Urteilsgründen auf insgesamt etwa 30 Seiten minutiös nachgezeichnet. Sie werden von der Strafkammer als überzeugende Bestätigung des Beweisergebnisses bewertet.
Gegen die Ausführungen der Sachverständigen, jedenfalls so wie sie von der Strafkammer übereinstimmend an mehreren Stellen des Urteils mitgeteilt sind,
bestehen an einer zentralen Stelle Bedenken. Es heißt:
‚.. trotz der detaillierten und konstanten Schilderung einzelner der Anklage zu Grunde liegender Sachverhalte' - an anderer Stelle ist insoweit von ‚einzelne(n)
Vergewaltigungen' die Rede - , ‚welche für den Wahrheitsgehalt der Aussage sprechen mag, ... ist es … nicht möglich, … einzelne ... Tatvorwürfe … als ...
wahr herauszugreifen, da die Glaubhaftigkeit … immer bezogen auf das gesamte Aussageverhalten eines Zeugen gesehen werden muss'.
Dies trifft so nicht zu. Es ist bei einer entsprechend sorgfältigen und umfassenden Würdigung aller Erkenntnisse nicht schon im Ansatz ausgeschlossen,
einem Zeugen teilweise zu glauben und teilweise nicht. Zwar müssen insbesondere dann, wenn ein Zeuge in einem zentralen Punkt erkennbar gelogen
hat, gewichtige Gesichtspunkte dafür sprechen, ihm im Übrigen zu glauben; wie im Kern schon aus § 261 StPO folgt, gibt es aber keinen Rechts- und auch
keinen Erfahrungssatz, dass einer Zeugenaussage zumal zu unterschiedlichen Lebenssachverhalten, nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht
geglaubt werden könnte.
Dies hatte der Senat auch bereits in seinem ersten Urteil in dieser Sache näher dargelegt. Hierauf nimmt er Bezug (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. §
261 Rdn. 11a; Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 29 jew. m. w. N.).
Die Strafkammer macht sich an anderer Stelle des Urteils dies - mit den Worten jener Entscheidung - im Prinzip auch zu Eigen, erklärt jedoch auch das
Gegenteil für überzeugend und richtig. Der von ihr angelegte Maßstab ist also unklar. Nachdem die Strafkammer zwar bei der Schilderung einzelner
gewichtiger Taten im Hinblick auf ihren Inhalt und die insoweit zutage getretene Aussagekonstanz erhebliche Anhaltspunkte dafür sieht, dass diese Schilderung
richtig sein könnte, sie andererseits aber doch nicht zu einer Verurteilung kommt, kann der Senat nicht ausschließen, dass sich die aufgezeigten Unklarheiten
auf die Entscheidung ausgewirkt haben. Dies führt zur Aufhebung auch der übrigen Freisprüche, ohne dass es noch auf weiteres ankäme.
3. Der Senat bemerkt jedoch: Die Nebenklägerin hat eine der von ihr dem Angeklagten vorgeworfenen Vergewaltigungen nach den Urteilsfeststellungen wie
folgt geschildert: Sie habe für den Sohn die Milch warm gemacht, als sie der Angeklagte im Streit über das Haus mit einer schwarz-grauen Pistole bedroht
habe. Der Sohn habe geweint, sie habe ihn beruhigt. Dann habe sie der Angeklagte auf das Bett geworfen und mit einem Schal und einer Strumpfhose ans Bett
gefesselt. Die Pistole habe er auf das Fensterbrett gelegt. Er habe sich ausgezogen, sie geschlagen und gewürgt und mit ihr den Geschlechtsverkehr ausgeübt.
Dabei habe er ihre Hose zerrissen. Nach dem Geschlechtsverkehr habe er ihr eine zuvor mitgebrachte Knoblauchwurst und ein gedrechseltes Holzstück gegen
ihren Willen in die Scheide eingeführt.
Die Schilderung anderer Vorfälle ist damit vergleichbar. Gleichwohl geht die Strafkammer davon aus, gegen einen ‚erlebnisfundierten Bericht' spreche der
deutliche ‚Detaillierungsbruch' zwischen den Angaben zum ‚Rahmenbereich' einerseits und dem ‚Kerngeschehen' andererseits. Ohne nähere Erörterung
erscheint dies unter den gegebenen Umständen nicht tragfähig begründet.
Im Übrigen weist der Senat insbesondere auf die im schriftlichen Antrag des Generalbundesanwalts näher ausgeführten Gesichtspunkte hin. ..."
Trotz der wortreichen Darlegungen im Urteil des BGH vom 26.01.2006 - 3 StR 375/05 mag die Entscheidung den schlechten Beigeschmack nicht vergessen
machen. Rechtsfehlerhaft ist offenbar eine tatrichterliche Beweiswürdigung, die einen Freispruch zur Folge hat. Immer wieder werden in der Tat „überspannte
Anforderungen" an die Geduld des Rechtsstaates gestellt:
„... Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Herstellung von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus
tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die erhobenen Formalrügen
kommt es daher nicht an.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft und begründet die Besorgnis, dass das Landgericht
überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung ausreichende Überzeugung gestellt hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 261 Rdn. 2, 25, 41
m. w. N.).
1. Dem Angeklagten lag mit der zugelassenen Anklage zur Last, in einer Halle eine Cannabisplantage betrieben und aus bereits geernteten 35 Kilogramm
Marihuana rund 15 Kilogramm gewinnbringend veräußert zu haben.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 29. Juli 2004 wurden in einer Halle in M. 6.907 Cannabispflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien und mehr als 19 Kilogramm verkaufsfertiges
Marihuana vorgefunden. Außerdem waren eine Vielzahl leerer Pflanztöpfe und Wurzelballen vorhanden.
In der Halle befand sich ein Stromaggregat. Im Hof stand ein abgemeldeter PKW, in dem ein Kaufvertrag für dieses Fahrzeug auf den Namen des Angeklagten
lag. Für Spuren, die an in der Halle und im Hof aufgefundenen ‚Getränkeflaschen u. ä.' gesichert wurden, konnten mittels einer molekulargenetischen Analyse
insgesamt sechs Verursacher festgestellt werden. Die DNA-Struktur eines dieser Spurenleger stimmte mit der des Angeklagten überein.
Vor der Entdeckung der Plantage beobachtete eine Anwohnerin, die Zeugin W. , an der Halle verschiedene Fahrzeuge, nämlich einen weißen Kastenwagen und
zwei andere Lieferwagen. Der weiße Kastenwagen war bis zum 4. Mai 2004 auf den Angeklagten zugelassen. Einer der Lieferwagen war durch die I. GmbH
geleast, deren Geschäftsführer und Gesellschafter der Angeklagte war, bis er die Gesellschaft am 18. März 2004 an den Zeugen Wi. veräußerte.
Nach dem Mietvertrag für die Halle vom 28. Oktober 2003 war Mieter die We. Bauunternehmung GmbH. Der Vertrag trug den Abdruck eines Firmenstempels
dieser Gesellschaft und eine Unterschrift, die möglicherweise ‚Wi. ‚ lautete. Diese Baufirma hatte der Zeuge We. im August 2003 unter Vermittlung des
Angeklagten an den Zeugen Wi. veräußert.
Ergänzend hat das Landgericht ausgeführt, dass weitergehende Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Insbesondere seien Indizien, auf die sich die
Anklage gestützt habe und die in ihrer Zusammenschau mit den getroffenen Feststellungen ergeben sollten, dass der Angeklagte der Betreiber der Plantage war,
nicht bewiesen worden.
2. Das Landgericht ist über schwerwiegende, für die Stellung des Angeklagten als Betreiber der Plantage sprechende Verdachtsmomente ohne
Erörterung hinweggegangen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11).
Dies gilt etwa für den Umstand, dass der Vermieter der Halle, der Zeuge N. , in den überwachten Telefonaten vom 30. Juli 2004 bzw. vom 3. August 2004 dem
Angeklagten - nachdem er diesen gefragt hatte, ob er glaube, dass ‚die so blöd sind' - mitgeteilt hat, er habe bei seiner polizeilichen Vernehmung gesagt, der
Angeklagte sei ‚nur ein Vermittler gewesen'. Dass der Zeuge bei dieser Vernehmung vom 29. Juli 2004 falsche Angaben gemacht hatte, hat sich auch aus dem
weiteren Inhalt des Telefonats ergeben: Obwohl der Zeuge den Angeklagten geduzt und als ‚Dicker' angesprochen hat, hatte er in seiner Vernehmung
behauptet, den Angeklagten nur unter dem Namen ‚R. ‚ und auch nicht näher zu kennen. Dies spricht insgesamt dafür, dass der Angeklagte die Halle -
möglicherweise unter Vorspiegelung ihrer Anmietung durch einen Dritten - selbst angemietet und genutzt hat. Diesen naheliegenden Verdacht hätte das
Landgericht nicht unerörtert lassen dürfen, zumal der Zeuge N. bei seiner im Anschluss an die überwachten Telefonate erfolgten Beschuldigtenvernehmung, in
der er einräumte, den Angeklagten seit Jahren mit vollem Namen zu kennen, ausgesagt hat, dass er diesem den Schlüssel für die Halle gegeben hat, und im
Übrigen dabei geblieben ist, in der Folgezeit von ihm jeweils die monatliche Miete in bar erhalten zu haben.
Unerörtert bleibt auch der von dem Zeugen P. bekundete Umstand, dass anlässlich der bei dem Angeklagten vorgenommenen Durchsuchung die schriftliche
Bestellung von Notstromaggregaten aufgefunden worden war. Das Landgericht setzt sich in diesem Zusammenhang lediglich mit dem Inhalt der Vernehmung
des Mitbeschuldigten Wi. auseinander, die der Zeuge P. aufgrund dieses Fundes durchgeführt hat.
Von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin W. zur mehrfachen Anwesenheit des Angeklagten auf dem Hallengelände konnte sich die Kammer - obwohl die
Zeugin den Angeklagten im Ermittlungsverfahren näher beschrieben und anhand eines Lichtbildes identifiziert sowie in der Hauptverhandlung ‚zu 80 %'
wiedererkannt hat - nicht überzeugen. Dabei verhält sich die Beweiswürdigung nicht dazu, ob die - markante Einzelheiten enthaltende - Personenbeschreibung
der Zeugin auf den Angeklagten zugetroffen hat. Ferner hat sich die Kammer nicht damit auseinandergesetzt, dass sie die Angaben dieser Zeugin zur
Anwesenheit verschiedener Fahrzeuge auf dem Hallengelände, die sich durch die Überprüfung der von dieser notierten Kennzeichen als richtig herausgestellt
haben, ihren getroffenen Feststellungen insoweit ohne weiteres zugrundegelegt hat.
3. Angesichts der Feststellungen, die das Landgericht getroffen hat, sowie der weiteren zahlreichen Indizien, deren Würdigung im Übrigen schon besorgen
lässt, dass das Landgericht an den Grad der Gewissheit, die das Gesetz (§ 261 StPO) für die Überzeugung des Tatrichters von der Schuld des
Angeklagten verlangt, übertriebene und überspannte Anforderungen gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 5; BGH NStZ-RR 2005, 149 m.
w. N.), kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Landgericht von der Schuld des Angeklagten überzeugt hätte, wenn es diese
Verdachtsmomente in seine Beweiswürdigung einbezogen hätte. ..."
Der Beschluss des BGH vom 25.01.2006 - 5 StR 593/05 ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Anwendung des Beweiswürdigungsrechtes erscheint
bespielgebend. Leider hat sie nicht mehr als den Status einer Ausnahme:
„... Die Beweiswürdigung, mit der sich das LG von der Täterschaft des Angekl. überzeugt hat, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar hat das LG die
insbesondere mit der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistung des Geschädigten verbundenen Probleme nicht etwa grundlegend
verkannt, sie teilweise auch ausführlich abgehandelt. Gleichwohl bleibt seine Gesamtwürdigung lückenhaft. Dies folgt aus der besonderen Schwierigkeit
der konkreten Beweislage, die zudem durch aus dem Urteil ersichtliche gravierende Ermittlungsdefizite gekennzeichnet ist und darüber hinaus noch durch
erheblichen Zeitablauf seit Begehung der Tat, zu dessen Ursache das Urteil schweigt, verstärkt wird.
Zunächst ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob der Geschädigte bei der Anzeige über die benannten sehr allgemeinen Merkmale hinaus noch andere
individuellere Merkmale des Erscheinungsbildes des Täters angegeben hatte. Hierin liegt ein für die Beurteilung zuverlässigen Wiedererkennens
wesentlicher Umstand. Ebenso lässt sich dem Urteil nicht klar entnehmen, ob der Geschädigte bereits vor der Sachidentifizierung - abgesehen von der Angabe,
dass der Täter eine ‚braune Lederjacke' getragen habe - irgendwelche Merkmale jener Jacke bezeichnet hatte oder ob der ihre markanten Merkmale erst im
Nachhinein nach der suggestiv gestalteten Identifizierungsvorlage als Wiedererkennungsmerkmale benannt hat. Für den letztgenannten Fall hätte die hierin
liegende Schwäche der Identifizierungsleistung der Erörterung bedurft. Auch stellt das LG anders als ausdrücklich für die Beurteilung der
Personenidentifizierung das Phänomen des ‚Waffenfokus' (vgl. Eisenberg BeweisR der StPO, 4. Aufl., Rn 1391; Bender/Nack Tatsachenfeststellung vor
Gericht II, 2. Aufl., Rn 726) in seine Bewertung der Sachidentifizierung nicht ein; dabei kann die Konzentration des Geschädigten auf die Waffe, mit der
er bedroht wurde, eine gleichzeitige zuverlässige Wahrnehmung von Einzelheiten der Täterbekleidung eher noch stärker beeinträchtigt haben als
bezogen auf das persönliche Erscheinungsbild des Täters.
Zudem fehlt im Urteil fast jegliche Personenbeschreibung des Angekl. Sie wäre bei der gegebenen schmalen Beweisdecke für die Frage wesentlich gewesen,
ob das Erscheinungsbild des Angekl. etwa so unauffällig und wenig markant war beziehungsweise einem verbreiteten Typ ungefähr gleichaltriger Männer
derart entsprach, dass eine größere Gefahr der Personenverwechselung bestand. Bei der ergänzenden Verwertung des wiederholten Wiedererkennens in der
Hauptverhandlung hat das LG die verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation im Rahmen einer Konfrontation des Geschädigten allein mit dem
Verdächtigten in der Rolle des Angekl. nicht ausdrücklich erörtert.
Schließlich bleibt auch die Prüfung möglicher Entlastungsindizien lückenhaft, anhand derer das LG im Ansatz zutreffend die Gesamtschau aus Personen-
und Sachidentifizierung hinterfragt. Dass der insoweit durch Zeugen gestützte Angekl. in der Tatnacht mit seiner damaligen Partnerin in der gemeinsamen
Wohnung die beiden kleinen Kinder ihrer Schwester gehütet hat und dass die Freundin meinte, der Angekl. sei in jener Nacht ‚nicht weg' gewesen, glaubt das
LG, verneint indes ein Alibi, da der Angekl. sich von der tief schlafenden Frau unbemerkt hätte entfernen können. Diese Variante der Tatbegehung forderte
jedoch eine zusätzliche, in die Gesamtwürdigung einzustellende Prüfung heraus, ob es plausibel - oder hingegen eher fernliegend - erscheint, dass sich der
Angekl. nachts heimlich bewaffnet in die Gegend des Alexanderplatzes begab, um dort einen augenscheinlich nicht ersichtlich begüterten jungen Passanten zu
berauben. Das Urteil enthält hierzu nichts; ihm ist weder die Entfernung des Tatorts von der damaligen Wohnung des Angekl. und seiner Freundin zu
entnehmen, deren Adresse nicht benannt ist, noch enthält es andere Feststellungen zu den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen des Angekl. und seiner
Freundin zur Tatzeit. ..."
Das Urteil des 5. Strafsenats des vom 07.04.2005 - 5 StR 544/04 - ist ein Musterbeispiel für die Verfestigung der §-261-StPO-Rechtsprechung in eine
bedenkliche Richtung. Diese Urteil des Tatgerichts hätte gehalten, wenn der Berichterstatter des „Dichtschreibens" ausreichend mächtig gewesen wäre. Es folgt
der stereotypen Verwendung der Begriffe „genügend", „auseinander setzen", „ohne Erörterung", „eingehende", „nicht in Betracht zeihen", „darlegen" und „in
die Bewertung einbeziehen". Lesen Sie weiter:
„ ... Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Obgleich sie sehr ausführlich ist, begegnet sie durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
a) Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruht in den beiden ersten Fällen ausschließlich auf den Angaben der Geschädigten. Der Angeklagte bestreitet
die Tat. Steht Aussage gegen Aussage, so muß der Tatrichter die Aussage des Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung unterziehen. Der
Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen,
wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung
hinweggeht, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie eine solche, die gewichtige Umstände nicht mit in Betracht zieht, welche die Überzeugung des Tatrichters von der
Täterschaft des Angeklagten in Frage zu stellen geeignet sind. Will der Richter in einem wesentlichen Punkt von der Aussage des einzigen unmittelbaren
Belastungszeugen abweichen und ihm etwa in einem anderen Punkt folgen, so muß er in seinem Urteil in aller Regel darlegen, daß der Zeuge im
Abweichungspunkt keine bewußt falschen Angaben gemacht hat (vgl. BGHSt 44, 256, 257; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 9). Dies gilt besonders, wenn
der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung nicht
gefolgt wird (vgl. BGHSt 44, 153, 159; BGH StV 2002, 470).
b) Diesen Maßstäben wird die Würdigung der Strafkammer nicht vollends gerecht. Allerdings war die Beweissituation im vorliegenden Fall schwierig. Es stand
nicht nur Aussage gegen Aussage. Der mit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung beauftragte Sachverständige hat die Angaben der Geschädigten nicht als zuverlässig
bewertet. Mögliche Fehlerquelle sei ein ‚nicht ausschließbar konfabulatives und gesteigert suggestibles Antworten', durch welches die Geschädigte ‚unter
Umständen Differenzierungsdefizite zu kompensieren versuche' (UA S. 27). Die Geschädigte gebe deshalb bestehende Erinnerungslücken nicht zu, sondern
neige eher zum Fabulieren (UA S. 28).
Danach sind besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen. Die Strafkammer hätte bei der Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtschau
aller Beweisanzeichen auch diejenigen Umstände erkennbar in die Bewertung mit einbeziehen müssen, welche sie mit bewogen haben, in den beiden ersten
Fällen den Angeklagten nicht wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, verbunden mit einem Eindringen in den Körper der Geschädigten, zu
verurteilen. Die Strafkammer erachtet die Aussage der Geschädigten als glaubhaft.
Sie stützt sich dabei im wesentlichen auf das Aussageverhalten der Geschädigten in der Hauptverhandlung sowie auf die Konstanz der Angaben der
Geschädigten während des gesamten Verfahrens zum ‚Kerngeschehen', womit die Strafkammer ersichtlich nur den der Verurteilung zugrunde liegenden
Sachverhalt meint (UA S. 33, 40 f.). Mit wesentlichen Umständen setzt sich das Landgericht jedoch nicht genügend auseinander:
Die Geschädigte hat sowohl im Ermittlungsverfahren bei ihrer polizeilichen Vernehmung (UA S. 31 ff.) wie auch gegenüber dem sie begutachtenden
Sachverständigen (UA S. 40 f.) angegeben, sie habe wegen des teilweisen Eindringens des erigierten Gliedes in ihre Scheide Schmerzen verspürt und der
Angeklagte habe versucht, sie zu ‚dehnen' (UA S. 40). Diesen Vorwurf hat die Zeugin in der Hauptverhandlung nicht mehr erwähnt. Der Tatrichter würdigt
dies wie folgt: ‚Die Geschädigte hat in der Hauptverhandlung zwar abweichend von ihren bisherigen Angaben gegenüber dem Sachverständigen und dem
Kriminalbeamten nicht davon gesprochen, daß sie bei den Handlungen des Angeklagten Schmerzen gehabt habe. Soweit die bisherigen Aussagen anderweitig
eingeführt wurden, sind diese wegen der Suggestibilität - insbesondere ihrer Beschreibung des Einführens des Penis in ihre Scheide bei dem Gespräch mit dem
Sachverständigen - nicht so weit gesichert, daß die Verurteilung ... hierauf gestützt werden könnte.'
Diese auch das Kerngeschehen berührenden Abweichungen in den jeweiligen Angaben hätten bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der
Geschädigten einer eingehenden Erörterung durch den Tatrichter bedurft. Die Strafkammer hätte Feststellungen dazu treffen müssen, weshalb die
Geschädigte die erwähnten früheren Vorwürfe in der Hauptverhandlung nicht wiederholte, ob die Geschädigte insoweit früher bewußt - oder auch unbewußt -
falsche Angaben machte oder ob dies jedenfalls nicht auszuschließen ist. Erst vor dem Hintergrund der dann gefundenen Antworten hätte das Landgericht
tragfähig entscheiden können, ob die Verurteilung allein auf die Angaben der Geschädigten gestützt werden kann oder ob es hierzu weiterer Indizien außerhalb
von deren Aussage bedurft hätte (vgl. BGH NStZ 2001, 161; Nack StraFo 2001, 1 ff.; Sander StV 2000, 45 ff.). Bei der Beweiswürdigung zur Frage der
Glaubwürdigkeit - vor allem bei sehr jungen kindlichen Tatopfern - dürfen nicht als erwiesen angesehene gewichtige weitere Beschuldigungen nicht so
behandelt werden, als beträfen sie nur unbedeutendes, die Glaubwürdigkeit im übrigen nicht berührendes Randgeschehen (BGHR StGB § 176 Serienstraftaten
7; BGH NStZ 1996, 98; BGH NStZ-RR 1999, 13, 14). ..."
Ausreichende „Erwägungen" konnte der 5. Strafsenat des BGH im Urteil vom 06.04.2005 - 5 StR 22/05 - feststellen:
„ ... Die den Feststellungen des Landgerichts zugrunde liegende Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Das Schwurgericht hat das Tatgeschehen zwar im
wesentlichen aufgrund der Einlassung des Angeklagten festgestellt. Solches wäre aber nur rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht die entlastenden Angaben
ohne weiteres als unwiderlegt hingenommen hätte (vgl. BGH NJW 2003, 2179 m.w.N.). So ist es hier aber nicht. Das Landgericht hat die Einlassung des
Angeklagten mit zahlreichen anderen Beweisergebnissen - insbesondere dem Gutachten des Obduzenten und Zeugenaussagen zur Geschäftspraxis des Opfers -
in Beziehung gesetzt und erwogen. Zu einer eigenen abweichenden Gesamtwürdigung der belastenden Indizien ist der Senat nicht befugt (vgl. BGHR StPO §
261 Beweiswürdigung 2; BGHSt 36, 1, 14). Soweit die Revisionen mit urteilsfremden Erwägungen die Beweiswürdigung angreifen, bleibt dies erfolglos (vgl.
BGHSt 35, 238, 241).
Damit fehlt den weitergehenden Angriffen der Revisionen, das Landgericht habe es unterlassen, eine Tötung in Verdeckungsabsicht zu prüfen, schon die
tatsächliche Grundlage. Der Angeklagte hat die letzten sechs Schüsse - ohne Schalldämpfer - in Tötungsabsicht abgegeben, um der vom Opfer gegen den
Angeklagten und seine Familie ausgesprochenen „Bedrohung den Boden zu entziehen". Der Angeklagte tötete demnach, um sich und seine Familie vor
befürchteten Angriffen des M zu schützen. Dies steht der Annahme eines Handelns zur Verschleierung der dem Opfer beigefügten Verletzungen oder zur
Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen (vgl. BGHSt 41, 8) entgegen. Eine solche Betrachtung verstieße auch gegen den Zweifelssatz, weil sich ein
für den Angeklagten günstiger Umstand zu einer belastenden Folge - der Annahme des Mordmerkmals - wenden würde (vgl. BGH StV 2001, 553). ..."
In dem Verfahren 4 StR 581/04 - BGH, Urteil des 4. Strafsenats vom 17.03.2005 - hatten die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Erfolg,
weil „Schreibmängel" (lückenhaft - eingehend zu erörtern - im Urteil nicht erörtert - abgehandelt - nicht äußert - reale Anknüpfungspunkte) festgestellt wurden.
Ohne diese Mängel hätte die an sich wohl zweifelhafte Schuld des Angeklagten ohne Not festgestellt werden können:
„ ... Die Revision rügt zu Recht, daß die Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft ist. Das Schwurgericht hat im Hinblick auf die den Angeklagten
belastenden Indizien ganz wesentlich (UA 41, 45, 55) darauf abgestellt, daß der Zeuge O. den Angeklagten bei der Stimmenidentifizierung in Verbindung mit
der visuellen Gegenüberstellung wiedererkannt habe. Da der Geschädigte den Täter bei dessen Herankommen nur kurz ins Gesicht sehen (UA 55) und er Kopf
und Gesicht des Täters bei der Tatausführung nicht genau wahrnehmen konnte, weil dieser einen schwarzen Schal oder ein schwarzes Tuch vor Mund und Nase
geschoben hatte (UA 18) und er zudem eine Baseballkappe auf dem Kopf trug (UA 17, 88), war das Landgericht gehalten, alle Gesichtspunkte, die ein
zuverlässiges Wiedererkennen des Täters durch den Geschädigten in Frage stellen konnten, eingehend zu erörtern (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 6).
Das hat es nicht getan.
(1) Das Schwurgericht bewertet lediglich das Wiedererkennen des Angeklagten durch den Zeugen O. bei der Polizei (UA 41 ff.). Ob der Zeuge sich ganz sicher
war und er den Angeklagten auch in der Hauptverhandlung als den Täter wiedererkannt hat, wird im Urteil nicht erörtert. Zwar hätte das Wiedererkennen in
der Hauptverhandlung als ‚wiederholtes Wiedererkennen' nur einen beschränkten Beweiswert (vgl. BGHSt 16, 204, 205; BGHR StPO § 261 Identifizierung 3,
10, 12, 13); hätte der Zeuge den Angeklagten aber in der Hauptverhandlung nicht wiedererkannt, so wäre dies ein gewichtiger Umstand, der gegen die
Zuverlässigkeit der früheren Identifizierung durch den Zeugen sprechen könnte (vgl. BGH StV 1997, 454). Die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten auch in
der Hauptverhandlung als den Täter wiedererkannt hat, hätte daher im Urteil abgehandelt werden müssen.
(2) Nach den Feststellungen des Landgerichts weist der Bruder des Angeklagten, L. , ‚vom Aussehen her eine starke Ähnlichkeit' mit dem Angeklagten auf (UA
51). Das Schwurgericht legt nicht dar, warum L. als Täter ausscheidet. Der in diesem Zusammenhang lediglich gegebene Hinweis, es sei zu berücksichtigen,
daß der Geschädigte den Angeklagten nicht nur visuell, sondern gerade an der Stimme erkannt habe, genügt nicht den rechtlichen Anforderungen, weil das
Schwurgericht sich zur Stimme des Bruders - ob diese nämlich der des Angeklagten ähnlich ist - nicht äußert.
b) Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil das Landgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt hat.
(1) Der Grundsatz ‚in dubio pro reo' ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann anzuwenden hat, wenn es nach
abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar
entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (BGH NStZ 2001, 609 m.w.N.). Er bedeutet nicht, daß von der dem Angeklagten jeweils (denkbar)
günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr. - vgl. nur BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003,
166, 168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat
(vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18).
(2) Das Landgericht legt in seiner Würdigung des Tatgeschehens eine Vielzahl von Unterstellungen zugunsten des Angeklagten zugrunde (UA 84 ff.).
Insbesondere geht es im Hinblick auf die für einen (bedingten) Tötungsvorsatz entscheidungserhebliche Frage, ob der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass
es dem Geschädigten nicht gelingen werde, aus dem Tiefkühlraum in Sicherheit zu fliehen, und er dessen Tod - durch Erfrieren oder durch die Brandlegung - in
Kauf nahm, zugunsten des Angeklagten davon aus, daß er möglicherweise nicht gewußt habe, daß in dem Kühlraum minus 20 Grad Celsius herrschten, und er
angenommen haben könne, dem Geschädigten sei die Flucht aus dem Tiefkühlraum möglich. Diese Unterstellungen zugunsten des Angeklagten haben keine
realen Anknüpfungspunkte. Abgesehen von der - näherer Erörterung bedürftigen - eher lebensfremden Unterstellung, der Angeklagte könne nicht bemerkt
haben, daß es sich bei dem Raum, in den er O. eingesperrt hatte und in den er selbst hineingegangen war (UA 22), um einen Tiefkühlraum handelte (UA 89),
liegt es fern anzunehmen, er sei davon ausgegangen, O. werde sich selbst befreien; denn der Sinn des Einsperrens konnte ja nur gewesen sein, daß O. aus dem
Raum nicht herauskam. Da der Geschädigte in dem Tiefkühlraum in Todesangst um Hilfe geschrieen hatte (UA 21), hatte der Angeklagte auch keinen Grund
zu glauben, dieser werde sich selbst befreien, zumal er ihn danach noch mit dem Schlagstock zusammengeschlagen hatte (UA 22). Dafür, daß der Angeklagte -
was das Landgericht auch nicht auszuschließen vermochte (UA 87, 91) - vor der Brandstiftung noch einen Blick in den Tiefkühlraum geworfen haben könnte,
um sich davon zu überzeugen, daß O. die Flucht gelungen sei, bestehen ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte.
Rechtsfehlerhaft ist auch die - gegen eine Verdeckungsabsicht - herangezogene Unterstellung, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte
gedacht habe, O. könne ihn wegen seiner Maskierung nicht identifizieren (UA 88); denn eine Verdeckungsabsicht kann auch vorgelegen haben, wenn der
Angeklagte nur befürchtete, O. könne ihn möglicherweise wiedererkennen. Das liegt hier nahe, weil - wovon der Angeklagte ausgehen mußte - O. ihn
möglicherweise als Kunden des K. s kannte (UA 51). Auch das hat das Landgericht nicht erörtert. ..."
Das Urteil des 2. Strafsenats vom 16.3.2005 - 2 StR 487/04 - zeigt zum wiederholten Mal, wie sensibel mit Revisionen der Staatsanwaltschaft umgegangen
wird, wenn diese zum Nachteil - zugunsten kommt praktisch nicht vor - des Angeklagten die Verletzung des § 261 StPO rügt. Es ist sinnvoll die ganze
Entscheidung zu lesen, da diese nur auszugsweise zitiert wird (siehe http://www.bundesgerichtshof.de/):
„ ... 4. Die Würdigung der dargestellten Beweisergebnisse durch das Landgericht ist lückenhaft. Das Landgericht hätte die von den Sachverständigen und der
sachverständigen Zeugin berichteten Befunde nicht nur isoliert und allein im Hinblick auf die Aussage der Zeugin C. Y. , sondern im Rahmen einer
Gesamtschau auch mit allen vorgenannten Beweistatsachen würdigen müssen, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen. Angesichts der bei der
Obduktion festgestellten schwersten frischen Hirnveränderungen, deren Verursachung zum Zeitpunkt der Notoperation mindestens zwölf und maximal 48
Stunden zurücklag (UA S. 30), hätte sich das Urteil auch dazu äußern müssen, ob und welche Verletzungen äußerlich sichtbar waren und ob diese dem
Zeugen R. hätten auffallen müssen, als der Angeklagte mit O. bei ihm in der Gaststätte war. Daß bei O. im Bereich des Körperstamms vielfältige ältere und
frische Hämatome festgestellt wurden, ändert hieran nichts, weil die Hämatome nicht todesursächlich waren und sich zudem nicht am Kopf, sondern am Rumpf
des Kindes befanden. Die gebotene Gesamtwürdigung der Beweisumstände hätte sich ferner damit auseinandersetzen müssen, daß auch der Befund des
Sachverständigen Prof. Dr. Gu. zwar nicht ausschließt, daß O. die zum Tode führende Kopfverletzung zu einem Zeitpunkt zugefügt wurde, bevor der
Angeklagte ihn am 8. Oktober 2001 abgeholt hat. Ebensowenig schließen die von dem Sachverständigen angegebenen Zeiträume (maximal 48 Stunden,
mindestens 12 Stunden) jedoch die Täterschaft des Angeklagten aus. Auch wenn man von diesen Zeiträumen ausgeht, hatte der Angeklagte nach dem
Gaststättenbesuch am 8. Oktober 2001 hinreichende Gelegenheit, seinem Sohn die tödliche Kopfverletzung zuzufügen. Aus dem Gutachten des
Sachverständigen läßt sich danach nichts für oder gegen eine Täterschaft des Angeklagten herleiten. Völlig außer Betracht gelassen hat das Landgericht bei
seiner Beweiswürdigung, daß es nach den bisherigen Feststellungen ausschließlich der Angeklagte war, der nicht nur gegen O. , sondern auch gegen seine Frau,
die Zeugin C. Y. , gewalttätig wurde. Tatsächlich ist er in dem angefochtenen Urteil auch wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen verurteilt worden (vgl.
unten II, 1). Bisher fehlt aber jedes Beweisanzeichen dafür, daß auch die Zeugin C. Y. oder die Eltern des Angeklagten gegenüber dem Kind O. gewalttätig
wurden. Selbst der Angeklagte hat keinen Vorwurf in diese Richtung erhoben. Die Annahme des Landgerichts, O. könnte mißhandelt worden sein, während er
sich in der Obhut seiner Mutter und der Großeltern befand, lag daher äußerst fern und hätte zumindest einer Begründung anhand von gesicherten
Beweistatsachen erfordert. Weiterhin läßt die Beweiswürdigung besorgen, daß das Schwurgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt hat. Der
Zweifelssatz ist kein Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung
nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen
vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20, 24, 27). Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung und Indiztatsachen, wie hier die verlesene
Aussage der Zeugin C. Y. zum körperlichen Zustand ihres Sohnes, bevor er dem Angeklagten übergeben wurde (UA S. 32), ist er grundsätzlich nicht
anzuwenden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). Es ist daher rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht meint, es verbiete sich, die verlesene Aussage
der Zeugin C. Y. , O. habe sich beim Baden am 7. Oktober 2001 in keinem negativen, bedrückenden Zustand befunden, dahin zu verstehen, die Zeugin habe
damit lediglich das Bestehen einer Kopfverletzung verneint, nicht aber die vorhandenen Hämatome gemeint. Das Landgericht meint zu Unrecht, es habe
insoweit nicht die Möglichkeit einer Nachfrage gehabt, so daß zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden müsse, die Zeugin habe zum Ausdruck
gebracht, das Kind habe gar keine Verletzungen aufgewiesen. Dies macht deutlich, daß die Schwurgerichtskammer irrtümlich angenommen hat, sie könne die
von ihr gesehene Unklarheit in dem Sinngehalt der Zeugenaussage nicht durch eine Nachfrage aufklären. Hierin liegt nicht nur eine unzulässig vorgezogene
Anwendung des Zweifelssatzes auf einen einzelnen Beweisumstand, sondern auch eine aus den Urteilsgründen ersichtliche Unvollständigkeit der
Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt. Durch ein weiteres Rechtshilfeersuchen hätte das Landgericht ohne weiteres eine dahingehende
ergänzende Befragung der Zeugin in der Türkei veranlassen können. ..."
Interessant an dieser Entscheidung des BGH - Urteil des 5. Strafsenats vom 02.03.2005 - 5 StR 371/04 - ist die Leichtigkeit, mit der der Freispruch in dem
Verfahren quasi abgesegnet wird. Es stand letztlich Aussage gegen Aussage. Die Wertung des Landgerichts, dem nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls in
strafrechtlich relevanter Weise in das Geschehen involvierten Belastungszeugen nicht mehr zu glauben als dem Angeklagten, war aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden. Die Urteilsgründe ließen insbesondere nicht besorgen, dass die Strafkammer wesentliche Umstände nicht bedacht oder die notwendige
Gesamtwürdigung unterlassen haben könnte. Solche „Konstellationen" gibt es in BtM-Strafverfahren zu Hauf, ohne dass dies für die Tatgerichte ein Anlass
wäre, die Glaubwürdigkeit der hochgradig involvierten, oft drogenabhängigen und einzigen Belastungskronzeugen in Zweifel zu ziehen. So einfach ist es:
„ ... Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht
grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter
Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder
gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st.
Rspr.: vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den
Urteilsgründen muß sich auch ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung
eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24).
B) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
aa) Entscheidend kam es für den Vorwurf der Untreue auf den Inhalt eines Gesprächs am 18. März 1999 zwischen dem Angeklagten und seinem
Geschäftspartner A T, dem faktisch Verantwortlichen der VBG mbH & Co. KG (nachfolgend: VBG), an. Fraglich war dabei insbesondere, ob in diesem
Gespräch eine ausdrückliche Zweckbestimmung für eine am selben Tag von A T für die VBG vorgenommene Überweisung von 500.000 DM auf das Konto
der vom Angeklagten und weiteren Ingenieuren betriebenen Partnerschaftsgesellschaft B T und P vereinbart wurde. Dem Anklagevorwurf der Untreue liegt die
Annahme zugrunde, daß diese Zahlung nicht für die Partnerschaftsgesellschaft B T und P , sondern für die vom Angeklagten geleitete TBG KG (nachfolgend:
TBG) bestimmt gewesen sei und der Angeklagte die Zahlung entgegen dieser ausdrücklichen Bestimmung nicht an die TBG weitergeleitet habe, so daß diese
mangels Zahlungsfähigkeit am nächsten Tag einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen mußte.
bb) Zum Inhalt des Gesprächs haben der Angeklagte und der Zeuge A T unterschiedliche Angaben gemacht; der ebenfalls an dem Gespräch beteiligte Zeuge Fr
T hat sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Damit stand letztlich Aussage gegen Aussage. Bei dieser Konstellation ist die Wertung des
Landgerichts, dem nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls in strafrechtlich relevanter Weise in das Geschehen involvierten Zeugen A T nicht mehr
zu glauben als dem Angeklagten, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe lassen insbesondere nicht besorgen, daß die
Strafkammer wesentliche Umstände nicht bedacht oder die notwendige Gesamtwürdigung unterlassen haben könnte.
cc) Die Einlassung des Angeklagten ist mit den sonstigen Beweismitteln in gleicher Weise vereinbar wie die Aussage des Zeugen A T, der sich zudem
widersprüchlich zu Schulden der VBG bei der TBG geäußert hatte. Angesichts der auch von weiteren Zeugen bekundeten Schulden der VBG gegenüber der
TBG einerseits und gegenüber der Partnerschaftsgesellschaft B T und P andererseits in Höhe von jeweils deutlich über 500.000 DM spricht zunächst schon der
objektive Umstand einer Überweisung auf das Konto der Partnerschaftsgesellschaft B T und P für eine Zahlung auf deren Forderungen, da geschuldete
Leistungen grundsätzlich an den Gläubiger und nicht an Dritte zu bewirken sind (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Die Unterzeichnung der - später nicht umgesetzten -
Vereinbarung, die Eintragungen von Sicherungshypotheken durch die TBG zu Lasten der VBG nicht weiterzubetreiben und bereits eingetragene Vormerkungen
zurückzunehmen, ist mit der Schilderung des Angeklagten über die Zusage Axel Trippes, nicht nur an die Partnerschaftsgesellschaft B T und P 500.000 DM,
sondern auch an die TBG 600.000 DM zu zahlen, ebenso zu vereinbaren wie mit der Aussage A T s. Zudem ist die Aussage des Zeugen A T über den Verlauf
der Unterredung am 18. März 1999 zur Überzeugung des Landgerichts in Teilbereichen durch die Schilderungen des Zeugen M T widerlegt worden. ..."
Insgesamt lesenswert ist das Urteil des 5. Strafsenats des BGH vom 15.02.2005 - 5 StR 449/04 -, aus dem sich allerdings keine neuen Erkenntnisse ergeben.
Der Freispruch wurde allem Anschein nach ausreichend begründet:
„... Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Tatrichter hat eine fehlerfreie Würdigung der vollständig
ausgewerteten Tatumstände vorgenommen. Zu einer eigenen abweichenden Gesamtwürdigung der belastenden Indizien ist der Senat nicht befugt. Daß eine
solche möglich gewesen wäre, rechtfertigt noch nicht das Eingreifen des Revisionsgerichts (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; BGHSt 36, 1, 14).
a) Bei den tatsächlichen Feststellungen, daß der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Tatausführung nicht bewußt war, daß er das Obstmesser bei sich hatte, hat
die Strafkammer zunächst die Beschaffenheit des Messers berücksichtigt. Es handelte sich um ein besonders kleines und wenig stabiles, mit einer flexiblen
Klinge versehenes Küchenobstmesser, das nach der Inaugenscheinnahme in der Hauptverhandlung nur sehr eingeschränkt zu Angriffs- oder
Verteidigungszwecken verwendbar war. Ferner hat das Landgericht darauf abgestellt, daß der Angeklagte das Messer während der Tat nicht aus seiner
Jackentasche hervorgeholt oder mit dem Messer gedroht hat. Aus dem Umstand, daß bei der Festnahme des Angeklagten die fünf Mobiltelefone über dem
Messer lagen, hat es den Schluß gezogen, daß für den Angeklagten während der gesamten Tatbegehung das Messer sowohl für das Überwinden von
Hindernissen als auch zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken bedeutungslos war, weil er sonst die Mobiltelefone in die andere Jackentasche gesteckt hätte.
Weiterhin hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten angenommen, daß er das Obstmesser erst kurze Zeit zuvor von einem Gemüsehändler geliehen
bekommen hatte. Es hat hieraus den Schluß gezogen, daß der Angeklagte dieses für ihn fremde, zum Obstschälen benutzte Messer gar nicht mehr im Sinn
hatte, als er das Geschäft betrat und sich ihm zufällig die Gelegenheit zum Diebstahl ergab. Dabei hat die Strafkammer auch bedacht, daß der Angeklagte durch
am Tattag eingenommene Drogen in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, so daß er selbst das Zerbersten der Glasscheibe nicht wahrgenommen
hatte und ferner bei seiner Flucht bereits nach kurzer Zeit atem- und kraftlos gestellt werden konnte, was nach Angaben des Sachverständigen typische
drogenbedingte Ausfallerscheinungen sind.
b) Bei der Beweiswürdigung zu der Feststellung, daß der Angeklagte nach Begehung des Diebstahls lediglich fliehen, nicht jedoch eine Gewahrsamsentziehung
der Mobiltelefone verhindern wollte (§ 252 StGB), hat der Tatrichter zwei Gesichtspunkte besonders hervorgehoben. Zum einen habe der erheblich unter
Drogen stehende Angeklagte ein Zusammentreffen mit der Polizei vermeiden wollen, weil ihm dann wegen des Bekanntwerdens seines Drogenrückfalls der
Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 BtMG) seiner Restfreiheitsstrafe gedroht hätte. Zum anderen habe der Angeklagte die Tatbeute nicht
zurücklassen können, ohne seine Flucht erheblich zu gefährden, weil er dazu die fünf Mobiltelefone umständlich aus der Tasche hätte holen müssen.
c) Soweit die Revision die Beweiswürdigung für lückenhaft hält, weil das Urteil nicht mitteile, wie sich der Angeklagte zu seinen Vorstellungen hinsichtlich
des Messers geäußert habe, wird ein durchgreifender Rechtsfehler nicht aufgezeigt. Die Urteilsgründe weisen, auch unter Berücksichtigung seiner Angaben zu
den Motiven seines Fluchtversuchs, insgesamt ausreichend aus, daß der Angeklagte nicht an eine Verwendung des Messers dachte. Auch mußte entgegen der
Auffassung der Revision nicht ausdrücklich erörtert werden, daß der Angeklagte das Obst inzwischen gegessen hatte und das Obstmesser deshalb nicht mehr
zum Schälen benötigte. Daß der Angeklagte das Messer erst kurze Zeit zuvor erhalten hatte und deshalb einiges für die Annahme spricht, er habe genau
gewußt, ein Messer dabei zu haben, ist vom Landgericht bedacht worden. Das weitere Vorbringen der Revision, der Angeklagte hätte leichter fliehen können,
wenn er sich zuvor der Mobiltelefone, die den Angeklagten durch ihre äußere Beschaffenheit und durch ihr Gewicht bei der Flucht erheblich behindert haben
müssen, entledigt hätte, ist im Ergebnis nur der Versuch, eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung durch den hierzu berufenen
Tatrichter zu setzen; damit kann die Beschwerdeführerin nicht gehört werden. ..."
Das Urteil des 5. Strafsenats vom 2.3.2005 - 5 StR 518/04 - zeigt auf, dass es noch weitere Möglichkeiten gibt, eine - zweifelhafte - Beweiswürdigung zu
legitimieren. Große Häme ist herauszulesen, wenn so etwas durch Verteidigerfehler in der Hauptverhandlung erst ermöglicht wird, weil dieser durch eine
entsprechende Antragsstellung nicht veranlasst hat, dass der von der Revision vorgetragene Akteninhalt durch Urkundenbeweis in die Hauptverhandlung
eingeführt worden ist:
„ ... Mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO macht der Beschwerdeführer geltend, das Landgericht habe fehlerhaft nicht die Diskrepanz erörtert, daß
der Vernehmungsbeamte zwar in der Hauptverhandlung ausgesagt habe, der Angeklagte sei bei seiner ersten Befragung angesichts der Erkenntnis, daß der
vermeintliche Auftragsmörder ein Verdeckter Ermittler war, ‚sehr überrascht und irritiert' gewesen, jedoch in seinem Vermerk über die Befragung keinen
Hinweis auf eine solche Überraschung und Irritierung aufgenommen habe. Gerügt wird hiermit ein (sachlichrechtlicher) Erörterungsmangel oder eine
‚Aktenwidrigkeit' der tatrichterlichen Feststellungen. Der behauptete Widerspruch kann aber durch die Vernehmung des Zeugen ohne weiteres ausgeräumt
worden sein. Die Rüge ist daher, weil sich aus den Urteilsgründen ein Erörterungsmangel nicht ergibt, auf eine unzulässige Rekonstruktion der
Hauptverhandlung durch das Revisionsgericht gerichtet. Ein in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannter Ausnahmefall liegt hier nicht vor,
da der von der Revision vorgetragene Akteninhalt nicht durch Urkundenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (vgl. BGH, Urt. vom 10.
Juli 2001 - 5 StR 236/01 m.w.N.). ...
Nach den Feststellungen liegt der beendete Versuch einer (Ketten-) Anstiftung zum Mord vor (§§ 30 Abs. 1, 211, 52 StGB); das Landgericht hat den
Schuldspruch zutreffend gefaßt (vgl. BGH NJW 1996, 2239, 2241, insoweit in BGHSt 42, 86 nicht abgedruckt).
Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Zu deren Überprüfung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt berufen und in der Lage. Das
Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat dessen Entscheidung grundsätzlich
hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler (vgl. § 337 StPO) enthalten. Diese sind namentlich dann gegeben,
wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich, unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Dabei brauchen die
Schlußfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, es genügt, daß sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, daß die
Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und daß die vom Gericht gezogene
Schlußfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen
vermag (st. Rspr., vgl. BGHSt 29, 18, 20; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; Überzeugungsbildung 26).
Einen Rechtsfehler in diesem Sinne enthält das Urteil zu Lasten des Angeklagten nicht. In seinem Vorbringen zu einzelnen Tatkomplexen wendet sich der
Beschwerdeführer überwiegend gegen die Schlußfolgerungen des Landgerichts, mit denen es die Einlassung des Angeklagten, er habe die Auftragserteilung
nicht ernst gemeint, widerlegt. Damit wird der unzulässige Versuch unternommen, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen.
Der Angeklagte - der den objektiven Sachverhalt weitgehend eingeräumt hat - erteilte dem Verdeckten Ermittler mündlich den Auftrag zur Tötung seines
Geschäftspartners. Die Strafkammer hat ausreichend dargelegt, weshalb sie einen endgültigen und vorbehaltlosen Auftrag zur Tötung angenommen und die
Einlassung des Angeklagten, er habe die Auftragserteilung subjektiv nicht ernst gemeint und den Verdeckten Ermittler durch falsche Angaben auf den Arm
genommen, als widerlegt ansieht. Sie hat ihre Überzeugung naheliegend auch darauf gestützt, daß der Angeklagte schriftliche Aufzeichnungen und Lichtbilder
- in einer äußerst vorsichtigen und Fingerabdruckspuren auf den Unterlagen vermeidenden Weise - übergab, aus denen sehr detailliert hervorgeht, daß der
Geschäftspartner das Opfer sein sollte, und die den Verdeckten Ermittler ohne weiteres in die Lage versetzten, dessen Tötung durchführen zu können.
Die Annahme der Strafkammer, daß der vermeintliche Auftragsmörder keinen Vorschuß erhalten, sondern aus den nach dem Tod des Opfers einzuholenden
Geldforderungen befriedigt werden sollte, ist - zumal vor dem Hintergrund der vorangegangenen Bemühungen des Angeklagten, den Zeugen G zu den gleichen
Zahlungsbedingungen zu beauftragen (UA S. 8) - nicht lebensfremd und vom Revisionsgericht hinzunehmen. Weiterhin ist es kein Widerspruch, wenn nach
den Urteilsgründen der Angeklagte einerseits wußte, daß ein Auftragsmörder nur gegen Bezahlung zur Verfügung steht, und andererseits die Entlohnung erst
nach Begehung der Tat erfolgen sollte; als Ausgleich für den späteren Zeitpunkt der Zahlung wurde eine Gewinnbeteiligung vereinbart.
Auch hat das Landgericht nicht übersehen, daß der Angeklagte zwischenzeitlich an der Authentizität des ‚Auftragsmörders' zweifelte. Die Urteilsgründe
ergeben aber hinreichend, weshalb es davon überzeugt ist, daß der Angeklagte seine Zweifel überwand und beim letzten Treffen kein ernsthaftes Mißtrauen
gegenüber dem Verdeckten Ermittler hegte. Die weiteren den Schuldspruch betreffenden Beanstandungen erweisen sich ebenfalls lediglich als Angriffe gegen
die Überzeugungsbildung des Tatgerichts. Die von der Revision aufgezeigten Besonderheiten sind keine logischen Brüche. Sie sind in einer vom
Revisionsgericht hinzunehmenden Weise von der Strafkammer aufgelöst worden und hätten auch in einer Gesamtwürdigung zu keinem anderen Ergebnis
führen müssen. ..."
Aus dem Beschluss des BGH vom 07.07.2004 - 5 StR 71/04 (StV 2004, 578 ff) wird wie folg zitiert:
„... Die Revisionen der Angekl. führen jew. mit der Sachrüge zur Aufhebung der Strafaussprüche; im übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verfahrensrügen und die Sachrügen, soweit diese den Schuldspruch betreffen, bleiben durchweg erfolglos. Zwar begegnet die Begründung der
Beweiswürdigung des LG zu Fall 1 sachlichrechtlichen Bedenken. Der Senat gelangt aber zu dem Ergebnis, daß das angefochtene Urteil im Blick auf die
gesamte - sonst ausreichend dargelegte und rechtsfehlerfrei ausgewertete - Beweislage auf solchen Mängeln nicht beruht.
a) Hauptbelastungszeuge im Fall des Drogenlabors Ho. ist der als Bandenmitglied wegen Beteiligung an dieser Tat in einem Vorprozeß rechtskräftig verurteilte
Ga. Dessen Aussage würdigt das LG als glaubhaft, weil er sich selbst schwer belastet habe und seine Aussage in Teilbereichen durch andere Beweismittel
gestützt werde. Dies greift indes zu kurz. Das LG hätte sich mit solch knappen Erwägungen grundsätzlich nicht begnügen dürfen, sondern hätte entscheidend
auch darauf Bedacht nehmen müssen, daß Ga. gerade in einem gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahren den Angekl. D. als Mit-Bandenmitglied schwer
belastet hatte und wegen seiner - allerdings wesentlich geringer bewerteten - Mitwirkung an derselben Tat bereits rechtskräftig verurteilt worden war. Danach
liegt nämlich mehr als nahe, daß Ga. sich durch diese - die Merkmale des § 31 Nr. 1 BtMG offensichtlich erfüllende - schwerwiegende Belastung von D. als
»Aufklärungsgehilfe« Vorteile hinsichtlich der eigenen Bestrafung verschafft hat.
Für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung gerade bei Aussagen im Bereich des Btm-Strafrechts ist es regelmäßig ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Zeuge
durch seine Aussage in dem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren im Hinblick auf § 31 BtMG entlasten wollte; für diesen Fall besteht nämlich die nicht
fernliegende Gefahr, daß der »Aufklärungsgehilfe«, der sich durch seine Aussage Vorteile verspricht, den Nichtgeständigen zu Unrecht belastet (vgl.
BGH NStZ-RR 2003, 245). Ist ein geständiger Mitbesch., auf dessen belastende Aussage die Überführung des Angekl. entscheidend gestützt wird, bereits
wegen seiner Beteiligung an derselben Btm-Straftat verurteilt worden, muß die Beweiswürdigung deshalb erkennen lassen, ob sich der Betreffende eine
Strafmilderung als Aufklärungsgehilfe verdient hat oder nicht. Im Anschluß daran hat der Tatrichter zu würdigen, ob sich der geständige Mitbesch. nicht nur
durch die wahrheitsgemäße Belastung eines anderen eigene Vorteile verschafft hat, sondern sich möglicherweise darüber hinaus in bedenklicher Weise zu
Lasten des nicht geständigen Angekl. eingelassen haben kann, so durch übertriebene Darstellung von dessen Tatbeteiligung - etwa zur partiellen eigenen
Entlastung oder zu der eines weiteren Tatbeteiligten - oder durch andere wahrheitswidrige Bekundungen - etwa auch zur Vertuschung der Beteiligung eines
Dritten. Fehlen Darlegungen hierzu in den Urteilsgründen, so kann dies als durchgreifender Erörterungsmangel ein sachlichrechtlicher Fehler sein (vgl. auch
BGHSt 48, 161, 168 [= StV 2003, 264]). Tatsächlich geht das LG an keiner Stelle der Beweiswürdigung auch nur ansatzweise darauf ein, daß die Aussage Ga's,
wonach er einen untergeordneten Tatbeitrag, D. aber einen der Haupttatbeiträge geleistet habe, angesichts der in § 31 BtMG für Aufklärungsgehilfen
vorgesehenen Milderungsmöglichkeiten mit der bei einer solchen Motivlage gebotenen besonderen Vorsicht zu würdigen ist.
Zu kurz kommt zudem folgendes: Das LG hat aufgrund der Zubilligung eines verdichteten Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO seine Überzeugung
weitestgehend nicht etwa unmittelbar auf eigene Angaben des Ga. in der Hauptverhandlung gestützt, die kritisch von allen Seiten hätten hinterfragt werden
können, sondern nur mittelbar auf solche Aussagen, die er in seinen polizeilichen Vernehmungen und in der gegen ihn zuvor durchgeführten Hauptverhandlung
getätigt hatte. Kann der Angekl. aber sein durch Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK garantiertes Recht, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen,
nicht ausüben, weil diesem ein weitgehendes oder umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zugestanden wird, muß dieser Umstand schon deshalb bei der
Beweiswürdigung hinreichend bedacht werden, weil die durch Vernehmung der Verhörsperson eingeführte Aussage bei Fehlen eines kontradiktorischen
Verhörs (§ 69 Abs. 2 StPO) nur beschränkt hinterfragt und vervollständigt werden kann (vgl. BGHSt 46, 93, 106 [= StV 2000, 593]).
b) Im Zusammenhang mit diesen sachlichrechtlichen Beweiswürdigungsmängeln merkt der Senat noch zu zwei Verfahrensrügen folgendes an: Beweisanträge
zur Frage einer Absprache mit Ga. in dem Vorverfahren sind mit durchgreifend bedenklicher Begründung als unbeachtlich abgelehnt worden. Das LG hat dabei
verkannt, daß es für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Hauptbelastungszeugen gerade entscheidend darauf ankommen kann, ob er sich geständig im
Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache durch die Belastung von Mittätern - womöglich unter Verringerung des eigenen Tatbeitrags - einen erheblichen
Vorteil versprechen konnte oder nicht (vgl. BGHSt 48, 161, 168). Erheblichen Bedenken unterliegt auch die Begründung, mit der das LG Anträge auf
Vernehmung des dritten Bandenmitglieds im Fall 1, des gesondert Verfolgten Ge., wegen dessen Unerreichbarkeit abgelehnt hat. Es blieb unbeachtet, daß ein
Zeuge auch dann erreichbar sein kann, wenn er im Ausland im Wege der Videokonferenz nach § 247 a StPO aus der Hauptverhandlung heraus mittels einer
zeitgleichen Bild-Ton-Übertragung vernommen werden kann (BGHSt 45, 188, 190 [= StV 1999, 580]).
Die zugehörigen Beweisantrags- und Aufklärungsrügen scheitern freilich sämtlich an der Unzulänglichkeit des Revisionsvorbringens (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).
Dem Beweisantrag zur Frage einer Verständigung im Vorverfahren gegen Ga. mangelt es bereits an einer hinreichend konkreten Beweisbehauptung. Zudem
fehlt für die zugehörigen Rügen unerläßlicher Begleitvortrag; dies betrifft sowohl die Aussageberechtigung und -bereitschaft des als Zeugen benannten
anwaltlichen Beistands des Hauptbelastungszeugen Ga. als auch die schriftlichen Gründe des gegen diesen ergangenen Urteils, deren Kenntnis zur sachlichen
Überprüfung des Rügevorbringens unerläßlich wäre. Die den Mittäter Ge. betreffenden Beweisantragsrügen scheitern, abgesehen von einer kaum zulänglichen
Beweisbehauptung, am Fehlen des erforderlichen vollständigen Vortrags der die Unerreichbarkeit des Zeugen betreffenden Verfahrensvorgänge.
c) Trotz der sachlichrechtlichen Beweiswürdigungsmängel kann der Senat ein Beruhen der die Schuldsprüche - namentlich den zu Fall 1 - tragenden
Urteilsfeststellungen auf der unzulänglich abgehandelten Beweiswürdigung hier ausschließen ..."
Der Beschluss des BGH vom 24.10.2002 - 1 StR 314/02 (NStZ 2003, 164 f) betrifft einen Fall des Kindesmissbrauchs. Die Revision des Angeklagten hatte
Erfolg. Die Beweiswürdigung wird als lückenhaft bezeichnet:
„Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt
(vgl. § 337 StPO). Ein sachlich- rechtlicher Fehler kann indessen vorliegen, wenn die tatsächliche Würdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Bei
bestimmten Fallgestaltungen sind an die Beweiswürdigung besondere Anforderungen zu stellen. Steht im Kern ‚Aussage gegen Aussage', so hat der BGH etwa
in Fällen, in denen die Aussage des einzigen Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen war, verlangt, dass Indizien für
deren Richtigkeit im Übrigen vorliegen müssen, die außerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Ähnlich liegt es, wenn - wie hier - die
Hauptbelastungszeugin sich früher selbst der Falschaussage und der falschen Verdächtigung zum Nachteil des Angekl. aus dem Beweggrund der Rache
bezichtigt hatte, der Tatrichter die vormalige vermeintliche Falschaussage aber doch glauben will. Hängt die Entscheidung des Tatrichters im wesentlichen
davon ab, welchen Angaben er folgt, sind zudem gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären. Das gilt
vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschließen ist (BGH NStZ 1999, 45; 2000, 496).
Den danach auch hier zu stellenden strengen Anforderungen an die Beweiswürdigung ist das LG nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Es teilt die Entstehung und die Entwicklung der Aussage der Zeugin A. K. in wesentlichen Teilen nicht mit. Die Zeugin war im März des Jahres 2000 - wie erst die Schilderung einer Aussage in der Beweiswürdigung beiläufig und eher kursorisch ergibt - bei der Zeugin T erschienen und hatte erklärt, sie wolle wegen der sexuellen Übergriffe ihres Stiefvaters nicht mehr nach Hause, sie habe nun genug". Was sich nach der Entlassung des Angekl. aus der U-Haft im Jahr 1996 im Anschluss an die Rücknahme" der so deklarierten Falschaussage der Zeugin A. K. und der Rückkehr der Zeugin in die Familie zugetragen hat und schließlich im Einzelnen die erneute Anzeige der Zeugin ausgelöst hat, teilt das Urteil nicht näher mit. Dies hätte aber der Darlegung und Bewertung bedurft. Den Urteilsfeststellungen ist auch nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls welche weiteren sexuellen Übergriffe zeitnahe vor der erneuten Anzeige stattgefunden haben und aus welchem Grunde diese nicht zu einer Verurteilung geführt haben. Dieser Mangel des Urteils hat gerade vor dem Hintergrund Gewicht, dass die Zeugin ihre erste, 1996 erstattete Anzeige zwischenzeitlich als falsch und als Racheakt gegenüber dem Angekl. bezeichnet hatte. Diesen Umstand würdigt die StrK zwar, führt ihn auf den Einfluss der Mutter der Zeugin mit zurück und erachtet die dazu von der Zeugin in der Hauptverhandlung getätigte Aussage als glaubhaft. Das genügte unter den hier im Übrigen gegebenen Umständen aber nicht. Danach bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
Der neue Tatrichter wird zu erwägen haben, ob im Blick auf Besonderheiten im Verhalten der Zeugin eine aussagepsychologische Begutachtung wenigstens
hilfreich erscheint. Er wird überdies zu bedenken haben, dass es je nach Lage der Familie geboten sein kann, eine teilweise Einstellung des Verfahrens nach §
154 StPO - etwa gar in Verbindung mit einem Hinweis auf eine verringerte Unrechtsqualität - und deren Gründe in der Beweiswürdigung wenigstens
anzusprechen, wenn dieses prozessuale Vorgehen mit der Würdigung der Aussage eines Belastungszeugen zusammenhängt (vgl. BGH StV 1998, 580, 582;
2001, 552). Der Senat weist zudem darauf hin, dass es keinen rechtlichen Bedenken begegnet, wenn die StrK in dem angefochtenen Urteil auf der Grundlage
einer sog. Gesamtbetrachtung (Grundsatz strikter Alternativität") das Tatzeitrecht angewandt und in den ersten beiden Fällen (Oralverkehr) einen unbenannten
besonders schweren Fall gem. § 176 III StGB a.F. angenommen hat (§ 2 III StGB; vgl. Senat Beschl. v. 21. 4. 1998 - 1 StR 160/98; Tröndle/Fischer 50. Aufl., §
2 Rn 9). Allerdings darf die Tat dann in der Urteilsformel nicht nach dem neuen Qualifikationstatbestand des § 176a StGB als schwerer" sexueller Missbrauch
bezeichnet werden."
In diesem Fall ist das „Dichtschreiben" nicht gelungen, obwohl dem Tatgericht die diesbezügliche Rechtsprechung des BGH hätte bekannt sein müssen. Wäre
das Urteil im Sinne der schon etwas älteren Judikatur begründet worden, hätte der Angeklagte mit seiner Revision keine Chance gehabt. Zur Aufhebung kam
das Urteil, weil dem 1. Strafsenat mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis nicht passte. Andernfalls wäre die Revision als offensichtlich unbegründet
zurückgewiesen worden.
In dem Verfahren 1 StR 274/02 hatten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Revision eingelegt. Der BGH führt in seinem Urteil vom
23.10.2002 (NStZ 2003, 165 ff), das ein Vergewaltigungsfall betrifft, folgendes aus:
„1 II. 1. Die Beweiswürdigung des LG zur Täterschaft des bestreitenden Angekl. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; sie ist lückenhaft und nicht tragfähig.
Die tatsächliche Würdigung genügt zudem nicht den Anforderungen, die an die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines Hauptbelastungszeugen zu
stellen sind, wenn - wie vorliegend - im wesentlichen Aussage gegen Aussage steht, objektive Beweisanzeichen fehlen und die StrK im Blick auf ihre
Aufklärungspflicht die Zuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen für geboten erachtet hat (vgl. dazu auch BGHSt 45, 164, 182).
2 a) Zieht der Tatrichter einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzu, so bedarf es in den Urteilsgründen regelmäßig nicht einer ins Einzelne gehenden Darstellung von Konzeption, Durchführung und Ergebnissen der Begutachtung. Es reicht aus, dass die diesbezüglichen Ausführungen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen in einer Weise enthalten, die zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich sind (BGHSt 45, 164, 182).
3 Um die revisionsrechtliche Nachprüfung in diesem Sinne zu ermöglichen, wäre es hier geboten gewesen, näher auf die Aussageentstehung einzugehen sowie
darzulegen und zu erörtern, welche Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage der Zeugin H in Betracht kommen konnten (sog.
Unwahrhypothese; dazu BGHSt 45, 164, 167, 168). Ob die vernommene Sachverständige bei ihrer Prüfung auf die Weise vorgegangen ist, dass sie sog.
Hypothesen gebildet und sie mit den sonst erhobenen Fakten abgeglichen hat (BGHSt 45, 164, 168), ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die StrK
allerdings hätte unter Berücksichtigung der Grundsätze der Aussagebewertung und der Sachleitungsbefugnis gegenüber der Sachverständigen die sich
aufdrängende Möglichkeit bedenken und würdigen müssen, dass die Beschuldigung des Angekl. durch die Zeugin erstmals in einem Gespräch der Zeugin mit
ihrem jugendlichen Freund über besondere geschlechtliche Erlebnisse" erhoben wurde, wobei sich zunächst der Freund offenbart" hatte. Vor diesem
Entstehungshintergrund war die Möglichkeit einer erfundenen Geschichte aus Gründen, die auch im Verhältnis der Zeugin zu ihrem Freund liegen konnten, als
naheliegende Hypothese im Urteil anzusprechen und zu würdigen. Die StrK teilt indes bei Wiedergabe des Sachverständigengutachtens nach anderen, eher
allgemein gehaltenen Ausführungen lediglich mit, die Unwahrhypothesen" könnten verworfen werden. Welche konkreten Hypothesen gemeint sind, ist dem
Urteil nicht zu entnehmen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung hierzu fehlt. Die Beweiswürdigung krankt zudem daran, dass Entstehung und Entwicklung der
Aussage der Zeugin, auf die es hier ersichtlich mit ankommt, in einem wesentlichen Teil nicht mitgeteilt und erörtert werden. Es ist nicht erkennbar, wie es
nach der Schilderung der Zeugin gegenüber ihrem Freund zur Anzeigeerstattung kam. Das wäre als Grundlage einer auch insoweit erschöpfenden
Aussagebewertung und Beweiswürdigung aber erforderlich gewesen.
4 b) Zu Recht weist der GBA auf weitere Mängel der Beweiswürdigung hin, die diese als lückenhaft erscheinen lassen: So hatte die Zeugin früher ausgesagt, sie habe sich auf Aufforderung des Angekl. vor dem Geschlechtsverkehr selbst ausgezogen, in der Beweisaufnahme indessen bekundet, der Angekl. habe ihr die Hose ausgezogen. Die StrK meint, es handele sich dabei um ein untergeordnetes Detail, dem keine eigenständige Bedeutung zukomme. Das trifft ersichtlich nicht zu. Ob sich das Tatopfer einer Sexualstraftat auf Aufforderung des Täters selbst entkleidet oder ob es ausgezogen wird, ist erfahrungsgemäß in aller Regel eine nachhaltig im Gedächtnis haftende Einzelheit der Tatbegehung. Werden hierzu unterschiedliche Angaben gemacht, bedürfen diese der Erklärung und einer nachvollziehbaren Einordnung in das Beweisgebäude. Das kann nicht dadurch ersetzt werden, dass die abweichenden Angaben mit einer sachlich nicht ausdruckskräftigen und im Zusammenhang auch nicht zutreffenden allgemeinen Wendung in ihrer Bedeutung herabgespielt werden. Damit bleibt der Tatrichter die systematische und sachliche Einordnung des Aussageverhaltens in diesem nicht unwesentlichen Punkte schuldig.
5 Dem Urteil fehlt darüber hinaus eine inhaltliche Bewertung der Aussage der Zeugin, der Angekl. habe den Geschlechtsverkehr mit ihr nicht am selben Tag
vollzogen, am dem sie gemeinsam mit ihm im Ho-See gebadet habe. Vor dem Hintergrund der Einlassung des Angekl., er habe am ersten Tag des
Betriebspraktikums mit der Zeugin im See gebadet und diese danach nach Hause gefahren, hält die StrK es für möglich, dass das Baden im See und - wie der
Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt - der Geschlechtsverkehr am selben Tag stattfanden. Dem Angekl. sei auf dem Heimweg vom See noch genügend Zeit
für die Tat verblieben. Die Kammer meint, die Praktikumswoche der Zeugin habe zeitlich rekonstruiert werden müssen; der datumsmäßigen Einordnung" der
Tat einerseits und des Badens im See andererseits durch die Zeugin dürfe deshalb kein entscheidendes Gewicht beigelegt werden. Damit verstellt sich die
Kammer den Blick darauf, dass es hier vorrangig nicht um die Frage des Datums beider Ereignisse ging, sondern darum, ob sich beides am selben Tag
zugetragen hat. Da die StrK das für möglich hält, hätte sie den damit in einem wesentlichen Punkt gegebenen möglichen Widerspruch zur Aussage der Zeugin
erörtern und sachlich behandeln müssen. Er konnte auf Erinnerungsschwäche oder auf eine Erinnerungstäuschung zurückgehen, ebenso aber auch ein
Lügenindiz sein. Dabei war der Zusammenhang mit der Einlassung des Angekl. zu bedenken, die das LG insofern - hinsichtlich des angegebenen Tages des
Besuchs am See -durchaus auch für widerlegt hätte erachten können. Das hat es jedoch nicht getan, sondern die Darstellung des Angekl. dazu (Badeseebesuch
am Tattag, dem Montag) für möglich gehalten. Dann aber musste diese Frage in der bezeichneten Weise bei der inhaltlichen Bewertung der Aussage der Zeugin
berücksichtigt werden, zumal die Einlassung des Angekl. zum Ablauf dieses Tages von 4 Zeugen in nicht näher dargelegten Punkten bestätigt worden war."
Diese Ausführungen sind plausibel. Leider gibt es die Praxis des BGH, in solcher Art sorgfältig begründete Revisionen als offensichtlich unbegründet
zurückzuweisen. Die Sensibilität im Umgang mit den belastenden Angaben des Opfers mag ihre Ursache darin haben, dass das Ergebnis nicht passte und die
StA auch Revision eingelegt hat. Das ist das eigentliche Problem des „Grundsatzes der freien Beweiswürdigung". Je nach dem verfolgten Ziel kann die
Beweiswürdigung kassiert oder ohne Kommentar legitimiert werden.
Das BGH - Urteil v. 20.06.2000 - 5 StR 173/00 (NStZ 2000, 550) betrifft ein Sexualdelikt. Das Landgericht sprach den Täter frei. Dies ist vom 5. Strafsenat
mit folgender Begründung beanstandet worden:
„Die Beweiswürdigung des LG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin sind teilweise
widersprüchlich(a), es fehlt in wesentlichen Punkten an der erforderlichen Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen (b) und die
Urteilsgründe lassen nicht ausreichend erkennen, dass das Gericht alle Umstände, die Schlüsse auch zuungunsten des Angekl. ermöglichen, in die
Gesamtwürdigung einbezogen hat (c).
a) Zunächst führt das LG bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin aus, dass ihre Aussage keine vordergründige Belastungstendenz aufweise. Es spreche
auch nicht gegen ihre Aussage, dass sie erst nach Jahren - die Zeugin war inzwischen 16 Jahre alt - angefangen habe, den Angekl. zu belasten. Insoweit folge es
dem Gutachter, dass das Pubertätsalter für die Nebenklägerin ein günstiger Zeitpunkt gewesen sein könnte, eventuell über Jahre Aufgestautes auszusprechen.
Demgegenüber wird die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin an anderer Stelle gerade mit der Erwägung in Zweifel gezogen, es sei unverständlich, dass sie sich
trotz der jahrelang andauernden Vorfälle erst so spät jemandem offenbart habe. Hinzu komme, dass die Nebenklägerin mit den Beschuldigungen erst begonnen
habe, als sie sich längst nach Beendigung der sexuellen Übergriffe in einem auf der allgemeinen Erziehungssituation beruhenden Konflikt mit dem Angekl.
befunden habe.
Zur Begründung nimmt das LG auch den Sachverständigen mit dem allgemeinen Erfahrungssatz in Anspruch, in Missbrauchsfällen seien belastende Angaben,
die aus einem Spontankonflikt erwachsen seien, grundsätzlich eher glaubhaft als solche, die im Zusammenhang mit einer allgemeinen Konfliktsituation
stünden. Hierbei lässt die StrK jedoch die relativierende Äußerung des Sachverständigen unerörtert, dass bei langanhaltenden Übergriffen auch eine Aussage in
allgemeinen Konfliktsituationen glaubhaft und dass der Nebenklägerin die Aussage dadurch erleichtert worden sei, dass sie zum Zeitpunkt ihrer ersten
Anschuldigungen nicht mehr bei dem Angeklagten gewohnt habe.
b) Das LG hat sich auch deshalb nicht von der Täterschaft des Angekl. zu überzeugen vermocht, weil die Aussagen der Zeugin gewisse Abweichungen und
Unstimmigkeiten enthielten, die den Wahrheitsgehalt ihrer Bekundungen in Frage stellten.
So habe die Zeugin in der erneuten Hauptverhandlung erstmals angegeben, dass ihr Vater bei der ersten Missbrauchshandlung "total betrunken" gewesen sei.
Die zeitliche Einordnung dieser ersten Tat stehe teilweise im Widerspruch zu anderen Beweisergebnissen. Zweifel seien auch deshalb angebracht, weil die
Nebenklägerin hinsichtlich einer sexuellen Beziehung zu dem Zeugen W unterschiedliche Angaben gemacht habe. Auch vor dem Hintergrund dieser von dem
LG angenommenen Unstimmigkeiten war eine Auseinandersetzung mit dem Gutachten unerlässlich.
Zwar ist der Tatrichter nicht gehindert, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders zu beurteilen als der Sachverständige, da dessen Gutachten stets nur eine
Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein kann.
Jedoch muss er, sofern er in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und diese Frage dann im Widerspruch zu dem
Gutachten lösen will, die Darlegungen im einzelnen wiedergeben, insbesondere dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche der Tatrichter seine
abweichende Auffassung stützt. Anderenfalls ist dem RevGer. die Prüfung nicht möglich, ob das Tatgericht das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm
rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 172; BGHR StPO § 261 - Sachverständiger 1 und 5).
Denn Abweichungen des Aussageinhalts erlauben nicht ohne weiteres den Schluss auf die Unglaubhaftigkeit; jedenfalls darf das Kriterium der
Widerspruchsfreiheit und Konstanz einer Aussage nicht überbewertet werden (BGH NStz-RR 1997, 172).
Gerade deshalb hätte es einer Erörterung der Frage bedurft, welches Gewicht den vom LG im einzelnen dargestellten Abweichungen und Unstimmigkeiten in
der Aussage der Nebenklägerin, die im übrigen das Kerngeschehen nicht oder nur unwesentlich berühren, nach Auffassung des Sachverständigen sowie in
Bezug auf die Beurteilung der speziellen Glaubwürdigkeit dieser Zeugin zukommt.
c) Die Beweiswürdigung begegnet schließlich insofern durchgreifenden Bedenken, als das LG es versäumt hat, alle aus dem Urteil ersichtlichen wesentlichen
Umstände, die Schlüsse auch zuungunsten des Angekl. ermöglichen, in die gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen (vgl. BGHSt 25, 285, 286; BGH
NStZ-RR 1997, 172, 173).
Dies gilt namentlich für die im Urteil ausführlich dargestellte Entstehungsgeschichte der Aussage der Nebenklägerin. Nach den Feststellungen hat sie sich
zunächst eher zögerlich und zurückhaltend gegenüber ihrer Freundin und später gegenüber professionellen Helfern geäußert, wobei sie erst allgemeine
Andeutungen machte und erst auf näheres Befragen der Zeugin G, einer Psychologin des Jugendnotdienstes, von konkreten sexuellen Übergriffen ihres Vaters
berichtete.
In diesem Zusammenhang hätte auch berücksichtigt werden müssen, in welcher Verfassung sich die Nebenklägerin bei diesen ersten Angaben befand und in
welcher Weise sie sich im einzelnen äußerte. Für die Glaubhaftigkeit sprechende Gesichtspunkte hätten auch darin gefunden werden können, dass die Zeugin
nach den Urteilsfeststellungen zum Kerngeschehen identische Aussagen gemacht hat wie im Vorverfahren und dass Belastungstendenzen nicht erkennbar
waren. Schließlich hätte es einer vertieften Erörterung bedurft, dass der Angekl. einen Tag, nachdem er von den Anschuldigungen seiner Tochter erfahren hatte,
dieser gegenüber als erste Reaktion erklärte, es tue ihm leid, was zwischen ihnen geschehen sei. Das LG hält es für möglich, dass sich diese Entschuldigung auf
andere Fehler des Angekl. im Umgang mit seiner Tochter bezogen habe, wobei es den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Mitteilung über die
Anschuldigungen und dem Gespräch außer Acht lässt. Gerade dieser zeitliche Aspekt lässt die Erwägung des LG eher als fernliegend erscheinen. Dass das LG
auf die genannten Umstände nicht oder nur unvollständig eingeht, gibt Anlass zu der Annahme, dass es die erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände, die
für und gegen die Zuverlässigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen, nicht vorgenommen hat. ..."
Diese Ausführungen sprechen für sich selbst. Es liegen nach Ansicht des BGH letztlich „Begründungsmängel" vor, die die Beweiswürdigung zugunsten des
Angeklagten zu Fall bringen. Die erneute Zurückweisung der Sache hätte sich das Tatgericht möglicher Weise ersparen können, wenn der Berichterstatter der
Kunst des Dichtschreibens mächtig gewesen wäre.
In diesem Umfang kommen solche Urteilskritiken nach hiesiger Überzeugung überwiegend dann vor, wenn das Tatgericht nicht der so genannten
Drecksack-Theorie gefolgt ist. Diese besagt, dass zu verurteilen ist, wer angeklagt wird; schuldig ist, weil er angeklagt wurde. Statistisch ist dies sogar die
einzig wirklich konsequent von den deutschen Strafgerichten angewandte Beweisregel. Mit ausreichendem Aufwand durchgeführte Untersuchungen über die
Anzahl der Fehlurteile der deutschen Strafjustiz seit dem Jahr 1949 gibt es nicht, weil der Staat ungerne willig ist, für solche Studien die erforderlichen
Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Die auf diese Art seit Jahrzehnten praktizierte Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung stellt keine fundamentale Säule eines freiheitlichen
und demokratischen Rechtsstaates dar. Vielmehr erschüttert sie das Vertrauen des Bürgers in die notwendig unabhängige Justiz, die nur dem Recht und der
Gerechtigkeit verpflichtet ist. Eine scharfe Waffe ist sie aber im staatlichen Kampf gegen eine mutige und engagierte Verteidigung, der eigentlichen
Verfechterin der formellen Wahrheit und Hüterin der verfassten Grundrechte.
Der 2. Senat des BGH hat im Urteil vom 02.10.1996 - 2 StR 332/96 - (NStZ 1997, 96) folgendes erkannt:
"... Eine widerlegte Einlassung kann allein nicht zur Grundlage einer dem Angekl. ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden (vgl. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 5; Beweiskraft 3 mwN; BGH StV 1986, 369, 371; 1985, 356, 357). Bei der Würdigung einer widerlegten Einlassung ist zu beachten, dass ein Angekl. meinen kann, seine Lage durch falsche Angaben verbessern zu können. Deshalb lassen sie regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse darauf zu, was sich wirklich ereignet hat. ..."
Die Grenzen der freien Beweiswürdigung werden überschritten, wenn eine widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht wird. Teilt der Tatrichter in seinem Urteil noch weitere Umstände mit, die eine für den Angeklagten nachteilige Entscheidung rechtfertigen, so kann dies rechtmäßig sein.
Schon diese Beispiele, die beliebig ausgewählt worden sind, zeigen, dass die Grenzen keineswegs eng gezogen sind. Der Tatrichter hat es durchaus in der
Hand, zu bemerkenswerten Ergebnissen zu gelangen. Er muß sie nur ausführlich begründen.
Dazu ein Beschluss des 1. Senats vom 31.07.1996 - 1 StR 247/96 - (NStZ-RR 1997, 42):
„ ... Allerdings kann der Tatrichter die Überzeugung von der Täterschaft eines Angekl. auch dann rechtsfehlerfrei gewinnen, wenn die Tat als solche kaum
verständlich und ein Motiv des Täters nicht feststellbar ist. Jedoch kann bei einer solchen Beweislage der Umstand, dass weitere als Täter jedenfalls nicht
sicher ausschließbare Personen kein Motiv für die Tat hätten, kein wesentliches Gewicht zum Nachteil der Angekl. gewinne, bei der ein Motiv auch nicht
festzustellen ist. Hatten aber mehrere Personen ohne (feststellbares) Motiv die Möglichkeit zur Vergiftung, so sind an jede die gleichen Prüfungsanforderungen
zu stellen.
d) Dass der vom LG in diesem Zusammenhang angelegte Maßstab unzulänglich ist, wird auch daran deutlich, dass es die Möglichkeit einer Täterschaft der
Reinemachefrau der Familie - ohne genaue Prüfung, ob diese die Möglichkeit gehabt hätte, gerade am Tattag Gift in die im Eisschrank befindliche
Schokoladensauce zu tun - mit dem Hinweis darauf ausschließt, dass deren Verhältnis zu A ungetrübt" war. Soweit festgestellt, war auch das Verhältnis der
Angekl. zu A bis zur Tat ungetrübt".
Insgesamt ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung zwar frei (§ 261 StPO); die von ihm gezogene Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber
zwingend sein. Seine Feststellungen dürfen sich aber nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind,
die nicht mehr als einen, sei es auch schwerwiegenden Verdacht begründen (st. Rspr.; vgl. zuletzt Senat, Beschl. v. 9. 7. 1996 - 1 StR 728/95; w. Nachw. b.
Hürxthal, in: KK-StPO, 3. Aufl., § 261 Rdnr. 41). Das ist hier der Fall. Die Täterschaft der Angekl., bei der ein Motiv nicht festzustellen ist, kann nicht damit
bewiesen werden, dass andere mögliche Täter eben deswegen auszuschließen seien, weil diese kein Tatmotiv haben. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer
Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hält es für angezeigt, die Sache an ein anderes LG zurückzuverweisen (§ 354 II 1 Halbs. 2 StPO). ...
Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn der Richter, dem zwei widersprüchliche Gutachten vorliegen und der hinsichtlich der zu beurteilenden Frage
nicht selbst über Sachkunde verfügt, der dem Angekl. günstigeren Meinung folgt (vgl. Herdegen, in: KK-StPO, 3. Aufl., § 244 Rdnr. 33; Peters, Strafprozess, 4.
Aufl., S. 365; Eisenberg, BeweisR der StPO, 2. Aufl., Rdnr. 1610). Vorrangig muß der Richter sich aber bemühen, die Widersprüche aufzuklären (vgl.
Eisenberg, Rdnr. 1610), zumal wenn die in Rede stehende Frage - wie hier - von zentraler Bedeutung für Erweislichkeit oder Nichterweislichkeit eines sehr
schwerwiegenden Vorwurfs sein kann. ..."
Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung also, wenn der Tatrichter seine Entscheidung auf bloße Vermutungen stützt. Das leuchtet ein. Weniger einsichtig ist,
warum die Möglichkeit einer gezogenen und nicht zwingenden Schlussfolgerung Grundlage für eine nachteilige Entscheidung sein darf. Wie soll die bloße
Vermutung von einer möglichen Schlussfolgerung transparent abgegrenzt werden? Kann die Beantwortung dieser Frage wirklich einer ergebnisorientierten
Betrachtungsweise im Einzelfall überlassen werden?
Vielleicht hat der 5. Senat im Beschluss v. 16.07.1996 - 5 StR 370/96 - (NStZ-RR 1996, 363) etwas zur Klärung beigetragen? Dort heißt es:
"... Beide Erwägungen sind rechtsfehlerhaft. Bei seiner Bewertung des Nachtatverhaltens hat der Tatrichter zum einen nicht erkennbar bedacht, dass den Bemühungen um ein erfundenes Alibi nur ein sehr begrenzter Beweiswert zukam (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 28. 11. 1995 - 5 StR 459/95 insoweit in StV 1996, 251 nicht abgedruckt); Lügen lassen sich nur mit Vorsicht als Beweisanzeichen für die Schuld eines Angekl. werten, weil auch ein Unschuldiger Zuflucht zur Lüge nehmen kann und ein solches Verhalten nicht ohne weiteres tragfähige Rückschlüsse darauf gestattet, was sich in Wirklichkeit ereignet hat (st. Rspr.; BGHSt 41, 153 (156) = NJW 1995, 2997 = NStZ 1995, 539 m.w. Nachw.). Zum anderen hat das LG das anfängliche Schweigen des Angekl. unzulässig zu seinem Nachteil berücksichtigt (vgl. etwa BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 4 m.w. Nachw.; s. auch BGHSt 34, 324 = NJW 1987, 2027 = NStZ 1987, 373). ..."
Wohl nicht! Hätte der Tatrichter in diesem Fall erkennbar bedacht - und in das Urteil geschrieben - , dass den Bemühungen um ein erfundenes Alibi nur ein
sehr begrenzter Beweiswert zukam, so wäre eine nachteilige Entscheidung schon nicht mehr rechtsfehlerhaft gewesen. Frei und rechtsfehlerfrei kann auch
danach eine Entscheidung sein, die umfassend begründet ist. Ist es wirklich so, dass jeder Tatrichter noch so unsinnig entscheiden kann, wenn er seine
Entscheidung nur ausreichend begründet? Ist es eines Rechtsstaates würdig, wenn die Überprüfung der freien Beweiswürdigung am Ende von einer
ergebnisorientierten Betrachtung und der Fleißarbeit des Berichterstatters abhängt?
Rechtsfehlerhaft ist die "lückenhafte" Beweiswürdigung. Dies geht auch aus dem Beschluss des BGH v. 7.5.1996 - 4 StR 187/96 (NStZ-RR 1996, 300) hervor:
"... Die Beweiswürdigung ist lückenhaft; denn die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass die StrK alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, in ihre Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, StV 1993, 176; BGH, StV 1995, 6; BGHR StPO § 267 I 1 Beweisergebnis 5, 8 und Überzeugungsbildung 7). Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn ein Angekl. allein oder überwiegend durch die Angaben eines tatbeteiligten Zeugen überführt werden soll (vgl. Senat, Beschl. v. 19. 12. 1995 - 4 StR 699/95). ..."
Diese Ausführungen belegen, wie unsicher der Grund ist, auf dem sich die Strafjustiz eigentlich bewegt. Es ist nämlich nicht in hinreichend bestimmter Art
festgelegt, welche Umstände geeignet sind, das Ergebnis einer Beweiswürdigung zu beeinflussen. Was deshalb stets droht ist der Zirkelschluss. Das
Revisionsgericht legt auf dem Hintergrund einer nicht geleugneten ergebnisorientierten Betrachtung fest, was seiner meiner Meinung nach das Ergebnis
beeinflussen konnte. Daran wird sonach die Leistung des Tatrichters gemessen. Hat er in den Urteilsgründen alle nach Ansicht des Revisionsgerichts
maßgeblichen Umstände niedergeschrieben, fällt die Revision der Verwerfung - ggf. ohne Begründung - anheim.
Am gleichen Tag hat der BGH (Beschluss v. 07.05.1996 - 1 StR 170/96 - NStZ-RR 1996, 258) folgendes ausgeführt:
"... Die StrK folgt insoweit den von ihr als überzeugend angesehenen Ausführungen des von ihr gehörten Sachverständigen. Eine solche Beweiswürdigung ist
im Ansatz rechtlich nicht zu beanstanden. Ist dem Richter, wie hier, bei einer schwierigen medizinischen Frage eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt
des Gutachtens eines Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, nicht möglich, so genügt es, wenn er sich dem Gutachten anschließt (vgl.
Hürxthal, in: KK-StPO, 3. Aufl., § 261 Rdnr. 32 m.w. Nachw.). Es müssen aber die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen im Urteil so
wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Der Umfang der Darlegungspflicht
richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (vgl. hierzu zusammenfassend
Hürxthal, § 261 Rdnr. 32 m.w. Nachw.). ..."
Die wesentlichen Anknüpfungstatsachen müssen also im Urteil so wiedergegeben werden, dass das Urteil verstanden und dessen Schlüssigkeit geprüft werden
kann. Maßgeblich sollen die jeweilige Beweislage und die Bedeutung der Beweisfrage sein. Griffig ist das nicht gerade. Je nach Standpunkt des Betrachters
sind verschiedene Interpretationen der Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage möglich. Objektive Kriterien sind so nicht zu erkennen und zu
gewinnen. Auf die subjektive Sicht des Tatrichters wird nicht abgestellt. Ist also wieder allein die ergebnisorientierte Sicht des zuständigen Strafsenates und
/oder des Berichterstatters maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob das Urteil ausreichend begründet worden ist? Oder kommt es vielleicht doch darauf
an, ob und wie der Berichterstatter des Tatgerichts die ungeschriebenen Regeln des "Dichtschreibens" beherrscht? Diese Fragen müssen vorerst offen bleiben.
Allzu gerne werden die in diesem Zusammenhang bestehenden Alltagserfahrungen der Verteidiger in das Reich der Spekulationen verwiesen. Doch diese
Fragen drängen angesichts einer immer ausufernden Anwendung des § 261 StPO nach Beantwortung. Betroffen ist ein grundlegender Kern des Strafprozesses
und damit des demokratischen Rechtsstaates.
Auf den Punkt gebracht: Es geht um die Grenze zwischen der "Freiheit" (der richterlichen Beweiswürdigung) als rechtsstaatlichem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit von sachfremder Beeinflussung und der Willkür (= Beweisregel, wonach alle Farbige Verbrecher sind).
In dem Beschluss des BGH v. 24.04.1996 - 3 StR 131/96 - (NStZ-RR 1996, 233) heißt es wie folgt:
"... Die Beweiswürdigung hält jedoch einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. In einem Fall, in dem - wie hier - Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung des Gerichts allein davon abhängt, welcher Aussage es Glaubwürdigkeit beimißt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1). Hält der Tatrichter aufgrund besonderer Umstände in der Persönlichkeit der Belastungszeugin die Zuziehung eines Sachverständigen für erforderlich, so hat er dessen Ausführungen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlußfolgerungen wiederzugeben, um dem RevGer. die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, StV 1994, 359)."
Diese Entscheidung ist Bestandteil der sog. "Aussage-gegen-Aussage"-Rechtsprechung. Mit ihr wird einer im gemeinen Volke vorherrschenden Beweisregel entgegengetreten. Diese besagt, dass jemand als unschuldig anzusehen ist, wenn eine Aussage gegen die andere Aussage steht. So einfach ist das nicht (... soll es nicht sein)! Aber, so muß gefragt werden, wie ist es denn? Der Tatrichter muß einfach reichlich schreiben. Findet das Revisionsgericht im Urteil alle Umstände, die nach seiner Ansicht die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, so ist die Würdigung "frei" von revisionsgerichtlicher Bevormundung. Die Dokumentation der Erkenntnis und der Überlegungen des Tatrichters reichen scheinbar aus. Auf deren Qualität kommt es nicht an.
Der BGH-Beschluss v. 27.03.1996 - 3 StR 518/95 (NStZ 1996, 349) ist in folgendem Punkt vielsagend:
"... Diese Sachdarstellung und die Beweiswürdigung dazu enthalten zum gewaltsamen Vorgehen des Angekl. im wesentlichen lediglich allgemeine Feststellungen. ... "
Allgemeine Feststellungen, die nicht nachvollziehbar sind und auf Hochrechnungen beruhen, halten einer revisionsgerichtlichen Kontrolle offenbar nicht stand.
Das leuchtet ein. Zur Klärung des Problems tragen solche Allgemeinplätze aber nichts bei. Das Adjektiv "allgemein" beinhaltet ein Werturteil, das von der
Subjektivität des Beurteilenden geprägt wird. Sein Standpunkt bestimmt, was nachvollziehbar ist oder nicht. Soll das etwa das Fundament garantierter
richterlicher Unabhängigkeit sein?
Das Urteil des 3. Strafsenats des BGH vom 13.03.1996 - 3 StR 12/96 (NStZ 1996, 401) trägt recht wenig zur Klärung bei. Dort heißt es:
" ... Unabhängig davon genügt der Freispruch durch das LG nicht den Anforderungen des § 267 V StPO. Bei einem freisprechenden Urteil ist in den Urteilsgründen von dem Schuldvorwurf der Anklage und der Einlassung des Angekl. auszugehen. Danach sind bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen zunächst in einer geschlossenen Darstellung die erwiesenen Tatsachen festzustellen. Dann ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für den Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können (BGHSt 37, 21, 22; BGHR StPO § 267 V Freispruch 10 mwN; BGH, NStZ 1990, 448). ..."
Fehlt die notwendige Darlegung, so ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft. Das freisprechende Urteil, mag es noch so richtig sein, fällt der Kassation durch das Revisionsgericht anheim. Dieser Erklärung wäre der Tatrichter, wie es schon aus anderen Fällen bekannt ist, entgangen, wenn er sich der Fleißarbeit einer ausreichenden Begründung unterzogen hätte.
Umfangreicher sind die Ausführungen im Beschluss des BGH vom 27.02.1996 - 4 StR 6/96 (NStZ 1996, 350). Der 4. Strafsenat rügt die Beweiswürdigung wie folgt:
"... Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH muß sich der Tatrichter des beschränkten Beweiswerts eines "wiederholten Wiedererkennens" bei einer zweiten Lichtbildvorlage bewusst sein, dies im Urteil deutlich machen und in den Urteilsgründen ausführen, ob ausgeschlossen werden kann, dass die Zeugen sich bei dem Wiedererkennen aufgrund der Lichtbildvorlage in der Hauptverhandlung unbewußt an den im Ermittlungsverfahren vorgelegten Lichtbildern orientiert haben (vgl. nur BGHSt 16, 204, 205, 206; BGHR StPO § 261 Identifizierung 3, 10 mwN). Dies hat das LG versäumt. Da es in seiner Beweiswürdigung maßgeblich darauf abstellt, dass die Geschädigten die Angeklagte auch bei der Lichtbildvorlage durch das Gericht wiedererkannt haben, beruht das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Die Sache muß daher neu verhandelt werden. ... Es kann dahinstehen, ob in den Urteilsgründen bei jeder Lichtbildvorlage dargestellt werden muß, wie diese im einzelnen durchgeführt wurde (vgl. OLGe Celle StV 1987, 429; Düsseldorf NStZ 1990, 506, 507; Frankfurt NStZ 1988, 41, 42; Karlsruhe NStZ 1983, 377, 378; und Köln StV 1986, 12; 1992, 412, 413). Jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie hier, bei der die Lichtbildvorlagen von ausschlaggebender Bedeutung für die Beweiswürdigung sind, muß das Urteil - zur revisionsrechtlichen Überprüfung - erkennen lassen, ob diese ordnungsgemäß erfolgt sind und welcher Beweiswert ihnen zukommt (vgl. hierzu RiStBV Nr. 18 sowie BGH StV 1993, 234 und 627; 1994, 282; OLG Köln StV 1994, 67, 68; Kleinknecht/Meyer-Goßner 42. Aufl., § 58 Rn 7ff., 13; Schweling MDR 1969, 177ff.; Nöldeke NStZ 1982, 193ff.; Odenthal NStZ 1985, 433, 435). ..."
Enthalten diese Ausführungen etwa eine Beweiswürdigungsregel? Ist es die Regel, wonach ein "wiederholtes Wiedererkennen" bei einer zweiten
Lichtbildvorlage aus - z.B. wissenschaftlichen Gründen - nur beschränkten Beweiswert hat? Diese Fragen müssen leider oder - je nach Standpunkt des
Betrachters - zum Glück verneint werden. Diese Entscheidung ist vielmehr eine klare Bekräftigung der schon bekannten Judikatur. Der Beweiswert mag im
vorgenannten Fall des wiederholten Wiedererkennens noch so gering sein. Eine tatrichterliche Sünde liegt nur vor, wenn der Berichterstatter im Urteil nicht zur
Vermeidung revisionsgerichtlichen Zorns ausführlich niederschreibt, warum er diesem Erkennen trotzdem für die Überzeugsbildung ausreichenden Beweiswert
beimessen will. Dies wirft erneut die Frage auf, ob die Quantität der im Urteil niedergelegten Worte ausreicht, um der Ungnade der obergerichtlichen
Aufhebung zu entgehen. Man ist geneigt, bereits dieser Fragestellung kritisch entgegen zu treten, wenngleich, wie jeder weiß, ausführlich und gut begründete
Revisionsbegründungsschriften mit dem Prädikat des § 349 II StPO gewürdigt werden. Die Masse allein kann es nicht sein.
Der Beschluss des BGH vom 15.02.1996 - 4 StR 442/95 (NStZ-RR 1996, 202 ff.) behandelt einen Verdeckungsmordfall mit einer erfolgreichen Revision des Angeklagten:
„ ...Hierin liegt ein Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz. Allerdings hat das RevGer. in der Regel die Überzeugung des Tatrichters vom Tatgeschehen
hinzunehmen; denn es ist allein dessen Sache, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42.
Aufl., § 261 Rdnr. 3). Das RevGer. ist jedoch ausnahmsweise dann nicht an die tatrichterliche Überzeugung gebunden, wenn sich die Schlussfolgerung so sehr
von einer festen Tatsachengrundlage entfernt, dass sie letztlich nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die nicht mehr als einen Verdacht
zu begründen vermag (vgl. BGH, NStZ 1981, 33; BGHR StPO § 261 Vermutung 8 und 11 m.w. Nachw.; Hürxthal, in: KK-StPO, 3. Aufl., § 261 Rdnr. 45).
Diese Entscheidung wird gerne zitiert, obgleich die Aussagekraft gering ist. Diese pauschalen Floskeln eröffnen in der Praxis willkürliche
Beurteilungsspielräume, die auch der BGH im Rahmen des § 349 II StPO reichhaltig nutzt. Der Tatrichter hat sich mit seinen Schlussfolgerungen dann so sehr
von einer festen Tatsachengrundlage entfernt, wenn der angerufene Strafsenat meint, das sei der Fall. Passt das Ergebnis, dürfen die Schlussfolgerungen noch
so abwegig sein; die Revision wird ohne Gründe verworfen. Dies gilt alles in einem noch viel größeren Umfang für die Strafsenate der Oberlandesgerichte.
Auf der chronologisch absteigenden Suche nach nachvollziehbaren Ausführungen zum Thema Beweiswürdigung stößt der Betrachter auf das Urteil des 5. Strafsenats des BGH vom 12.01.1996 - 5 StR 756/94 (NStZ 1996, 291). Diese enthält folgende Ausführungen:
" ... Diese Beweiswürdigung genügt nicht den rechtlichen Anforderungen, die bei der Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen gestellt werden
müssen. Beruft sich ein solcher Zeuge auf Angaben eines Gewährsmannes, dessen Identität dem Gericht nicht bekannt ist, so dürfen solche Angaben
regelmäßig nur dann herangezogen werden, wenn sie durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden (BGHSt 17, 382, 385f.; 33, 83, 88; 33, 178, 181;
36, 159, 166; 39, 141, 145f.; BGHR StPO § 261 Zeuge 13, 15, 17; § 250 S. 1 Unmittelbarkeit 3; BGH Beschl. v. 31. 10. 1995 - 5 StR 479/95; vgl. auch
BVerfG - Kammer NStZ 1995, 600). An einer solchen Bestätigung fehlt es für die Angaben des von dem Zeugen Fi genannten V-Mannes. ..."
Es sollte gelingen, im Verlaufe der weiteren Untersuchungen der in der Vergangenheit liegenden Entscheidungen herauszufinden, was damit gemeint ist. Denn
der Praktiker weiß, dass so etwas zwar leicht zu lesen, aber schwer zu handhaben ist. Was sind schon wichtige Beweisanzeichen, wenn doch das Ergebnis zu
stimmen scheint!? Die Anwendung des § 349 II StPO ist dagegen ein Kinderspiel.
Das BGH-Urteil vom 28.11.1995 - 5 StR 459/95 - (NStZ-RR 1996, 335) enthält grundlegende Ausführungen zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung bei der Beurteilung des Beweiswerts von Faserspuren. Dort heißt es:
"... II. Die Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; die be- und entlastenden Umstände sind keiner ausreichenden Gesamtwürdigung unterzogen worden. (Wird ausgeführt.)
3. Bei der Bewertung des Ergebnisses des textilkundlichen Gutachtens fehlt eine hinreichende Gesamtwürdigung.
a) Der Beweiswert der einzelnen Faserspuren und des tatspezifischen Faserspurenbildes hängt davon ab, wie wahrscheinlich es ist, dass ein nachgewiesenes Faserspurenbild unabhängig von der Straftat zufällig und zu einem beliebigen Zeitpunkt auf einem beliebigen Textil oder an einer anderen Stelle gefunden wird (Adolf, NStZ 1990, 65 (70)). Bei der Ermittlung des Verbreitungsgrades wird auch auf die Randbedingungen des jeweiligen Einzelfalles zu achten sein. Allerdings gibt es derzeit noch keine statistisch verläßlichen Aussagen über den Verbreitungsgrad von Fasern, so dass sich die Merkmalswahrscheinlichkeit nicht - wie etwa bei der DNA-Analyse (vgl. BGHSt 38, 320 = NJW 1992, 2976 = NStZ 1992, 554; BGH, NStZ
1993, 554) - quantifizieren läßt. Das entbindet den Tatrichter aber nicht von der Aufgabe, Erwägungen darüber anzustellen, ob ein tatspezifisches Spurenbild, wie es hier beim Angekl. vorgefunden wurde, von einer solchen Besonderheit ist, dass sein Vorkommen im Lebensbereich eines Unschuldigen auf einem ganz fernliegenden Zufall beruhen müßte (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiskraft 1, 2).
b) Bei der Beurteilung des Beweiswerts von Faserspuren hat der Tatrichter insbesondere die Zuordnung der Tatortspuren zu den Vergleichsspuren in einer dem Stand der Wissenschaft entsprechenden Weise zu erörtern und muß das Ergebnis seiner Bewertung in einer für das RevGer. nachprüfbaren Form im Urteil darstellen. Dazu hat der BGH (BGHR StPO § 261 Beweiskraft 1, 2) folgende Kriterien aufgestellt:
aa) Bei der Untersuchung auf Material- und Einfärbungsidentität der Fasern ist zu erörtern und darzustellen, ob diese sich mit den angewendeten Untersuchungsmethoden lediglich nicht unterscheiden lassen (Gruppenidentität) oder ob sie aus dem gleichen, möglicherweise sogar - worauf besonders zu achten ist - demselben Herstellungsprozeß stammen.
bb) Darüber hinaus ist zu prüfen, ob Tatort- und Vergleichsspuren zusätzliche besondere Merkmale, etwa eine Verschmutzung, aufweisen, die eine weitere individuelle Zuordnung ermöglichen.
cc) Schließlich hat der Tatrichter eine Gesamtwürdigung der Faserspurenkombination im Hinblick darauf vorzunehmen, ob eine solche Kombination ein "charakteristisches Faserbild" darstellt. Dabei kommt es auch auf die Zahl der Fasern und insbesondere auf etwa vorhandene Überkreuzungsspuren an.
c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil, namentlich was die Gesamtwürdigung des charakteristischen Faserbildes angeht, nicht in vollem Umfang gerecht. Das LG setzt sich zunächst - zu Recht - mit dem Beweiswert der je einzelnen Fasern auseinander. Im Urteil fehlt indes eine einheitliche Bewertung der Faserkombination als Gesamtwürdigung. Möglicherweise hat das LG geglaubt, eine solche deshalb nicht vornehmen zu müssen, weil bei allen Fasern - ausgenommen die schwarzbraunen Baumwollfasern - "Zweifel an der Identität überwiegen". Dies wäre indessen falsch, weil auch Fasern, die keine unmittelbare individuelle Zuordnung ermöglichen, nach den oben dargestellten Grundsätzen einen belastenden Beweiswert haben können und, wenn es sich so verhält, bei der Gesamtwürdigung berücksichtigt werden müssen.
Zwar ist das Argument des LG zutreffend, die Faserspuren könnten allenfalls beweisen, dass sich die spurenverursachenden Kleidungsstücke im Lebensbereich
des Angekl. befunden haben, und es müsse der weitere Schluß hinzukommen, dass der Angekl. diese Kleidungstücke auch zur Tatzeit getragen habe. Eine
solche Schlußfolgerung hat das LG aber nur im Hinblick auf die von ihm allein für beweiserheblich gehaltenen schwarzbraunen (Fasern) erörtert, ohne die
anderen Fasern, insbesondere die in der P-Straße sichergestellten, in diese Erwägungen mit einzubeziehen. ..."
Die Bewertung dieser Entscheidung ist nicht ganz einfach. Vom Sachverhalt her ist interessant, dass das Landgericht Berlin den in dieser Sache Angeklagten
vom Vorwurf des zweifachen Mordes aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat. Ein schlimmes Ergebnis ist das, mögen sich die Richter des 5. Strafsenates
des BGH gedacht haben, wenn der Angeklagte tatsächlich der Täter war. Das Landgericht hat mit seinem Freispruch dem wissenschaftlich unstrittig begrenzten
Beweiswert von Faserspuren Rechnung tragen wollen, dabei aber nicht berücksichtigt, dass solche Entscheidungen, auch wenn sie wissenschaftlich
vollkommen richtig sind, ausführlich begründet werden müssen, um der Kontrolle durch das Revisionsgericht standzuhalten.
Auffallend ist, dass in dieser Entscheidung "Kriterien" für die Würdigung von Faserspuren dargeboten werden. Sind das nicht dem Grundsatz der freien
Beweiswürdigung widersprechende Beweisregeln, wenn die Regeln hier als Kriterien bezeichnet werden? Ist es ein Zufall, dass sich diese Regeln gegen ein
freisprechendes Urteil wenden? Leider sieht sich der Verfasser dieser Abhandlung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage, diese Fragen zu beantworten.
Zur Diskussion steht ein weiteres Urteil des 1. Strafsenats des BGH v. 28.11.1995 - 1 StR 619/95 - (NStZ-RR 1996, 116). Diese Entscheidung befaßt sich unter anderem mit der Würdigung einer Aussage eines V-Mannes. Der Praktiker weiß, dass dies ein sehr brisantes Thema vor allem in Verfahren nach dem BtmG ist. Von § 349 II StPO wird reichlich Gebrauch gemacht. Es wird folgendes ausgeführt:" ... 2. Die neue Hauptverhandlung wird dem LG Gelegenheit geben, auf die gegen die Beweiswürdigung bestehenden Bedenken einzugehen. Das LG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Angaben des V-Mannes, weil sie nur durch die Vernehmung des Führungsbeamten eingeführt worden waren, nur dann Grundlage der Verurteilung sein konnten, wenn sie durch andere, nach der Überzeugung des Tatrichters wichtige Beweisanzeichen bestätigt wurden (BGHSt 34, 15 (17) = NJW 1986, 1766; BGHSt 36, 159 (166) = NJW 1989, 3291 = NStZ 1989, 280; BGHR StPO § 261 Zeuge 10). Insoweit hätte sich das LG jedoch näher damit auseinandersetzen müssen, dass der Angekl. hinsichtlich der objektiven Abläufe die Angaben des V-Mannes in den wesentlichen Punkten in seiner Einlassung bestätigt hat. Durchaus geeignet, die Angaben des V- Mannes zu stützen, war daneben die Aussage der Zeugin M, ihr Neffe L habe sich vom 22. 2. 1994 bis zu seinem Tode am 11. 8. 1994 ununterbrochen in Texas/USA aufgehalten und noch ein offenes Rückflugticket besessen. Das LG meint dazu, L habe seinen Auftrag telefonisch aus den USA erteilen können oder sei kurz und von seiner Tante unbemerkt noch einmal nach Deutschland gekommen. Insoweit fällt jedoch auf, dass sich in der Einlassung des Angekl., der das LG folgt, keine Anhaltspunkte dafür finden, sein Auftraggeber habe sich in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgehalten und ihn von dort aus telefonisch beauftragt, ein Umstand, von dem zu erwarten wäre, dass auf ihn sowohl der Angekl. bei seiner Darstellung als auch L bei seinem Anruf eingegangen wären. Wäre L dagegen wegen des Geschäfts aus den Vereinigten Staaten von Amerika kurzzeitig angereist, erscheint schwer vorstellbar, dass er dann die Abwicklung dem Angekl. übertragen hätte. ..."
Diese Ausführungen enthalten keine Besonderheiten. Das tatrichterliche Urteil läßt offenbar nach Ansicht des 1. Strafsenats eine ausreichende
Auseinandersetzung mit den aufgeführten Tatumständen vermissen. Wichtig ist die schon bekannte "Regel", dass Angaben eines V-Mannes, wenn sie nur
durch die Vernehmung des Führungsbeamten eingeführt werden, alleine keine Grundlage für eine Verurteilung sein können. Solche Angaben müssen "nach der
Überzeugung des Tatrichters" durch "wichtige" Beweisanzeichen bestätigt werden. Überspitzt soll formuliert werden, dass mit dieser Formulierung den
Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlich begabten Juristen Grenzen gesetzt werden. Dem Praktiker mag noch einleuchten, dass V-Männer oft zwielichtige
Gestalten des deutschen Strafprozesses sind, die selten die Wahrheit bekunden und oft eigene Interessen verfolgen, die auch mit der formellen Wahrheit auf
dem Kriegsfuß stehen. Dennoch, und das ist die besagte Überforderung, soll diesen Zeugen bei Vorliegen von Beweisanzeichen gefolgt werden können. Diese
müssen nur "wichtig" sein. ... !? Es ist leider nicht zu erkennen, warum solche Judikate dem demokratischen Rechtsstaat dienlich sein können, der sich gerade
im Ernstfall bewähren muß. Wie soll er das aber bewerkstelligen, wenn ihm schlagkräftige und vor allem überzeugende Argumente fehlen.
Im Beschluss v. 21.11.1995 - 4 StR 628/95 - (NStZ-RR 1996, 97) stellt der BGH scheinbar eine Beweisregel für den Fall auf, dass ein Täter mit seinem Pkw
auf eine Polzeisperre zufährt. Dort heißt es:
"... Die Beweiswürdigung des LG, der Angekl. sei mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Polizeibeamten zugefahren, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat hat bereits wiederholt (vgl. BGH, VRS 50, 94 (95); BGHR StGB § 212 I Vorsatz, bedingter 28 = NZV 1992, 370 m.w. Nachw.) auf die Erfahrung hingewiesen, dass es in den Fällen, in denen Kraftfahrer eine Polizeisperre durchbrechen, um zu fliehen, den bedrohten Beamten meist gelingt, sich außer Gefahr zu bringen, und dass die Täter im allgemeinen mit einer derartigen Reaktion der Beamten rechnen. Sie nehmen um ihres Zieles willen zwar auch eine Gefährdung der Polizeibeamten in Kauf, in der Regel aber nicht ihre Tötung; denn vor dem Tötungsvorsatz steht eine erheblich höhere Hemmungsschranke als vor dem Gefährdungsvorsatz. Aus dieser Erfahrung ergeben sich strenge Anforderungen an die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz. Ihnen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Kammer stellt ausschließlich darauf ab, dass der Angekl., der angegeben hat, bei Erkennen der Gefahrenlage sei es zum Bremsen zu spät gewesen, den (bedingten) Tötungsvorsatz gefaßt habe, als er den Polizeibeamten vor sich sah. Dies war nach den Feststellungen etwa 30 m vor dem Ort, an dem sich der Beamte befand. Die Revision rügt zu Recht, dass dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob der Angekl. in dieser Situation - bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h - noch die Möglichkeit hatte, das Erfassen des Polizeibeamten durch den Pkw zu verhindern (vgl. hierzu Jagusch/Hentschel, StraßenverlehrsR, 33. Aufl., § 1 StVO Rdnr. 30). Mit diesem Umstand, der der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen könnte, hätte sich das LG auseinandersetzen müssen (vgl. BGHR StGB § 212 I Vorsatz, bedingter 7, 11). ..."
Dieses Judikat enthält zwei Regeln, die es eigentlich nicht geben darf:
1. Der Täter rechnet in dieser Situation mit einer - erfolgreichen - Ausweichreaktion des Polizisten.
2. Hat der Täter noch eine Möglichkeit, das Erfassen des Polizeibeamten zu verhindern, so spricht dies gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes.
Selbstverständlich dürfen solche „Anweisungen" nicht als in jedem Fall verbindlich angesehen werden, da es am Ende auf alle maßgeblichen Umstände und
deren Gesamtwürdigung ankommt. Dennoch ist der Tatrichter nach dieser Entscheidung nicht frei in seiner Beweiswürdigung. Beachtet er die Regeln nicht,
riskiert er, dass sein Urteil aufgehoben wird. Denkwürdig ist dies unter dem Gesichtspunkt, dass die Regeln in sich tatsächlich nicht stimmig und frei von
Zweifeln sind.
Hinzuweisen ist auf eine Entscheidung der 2. Kammer des 2. Senats des BVerfG (Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 (NStZ 1995, 600 f). Der vom
BGH gebillligten Verurteilung lag eine Aussage eines Zeugen vom Hörensagen zugrunde. Die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten hatte Erfolg.
„ ... a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist bei der Beurteilung eines „Zeugen vom Hörensagen" besondere Vorsicht geboten. So ist der Tatrichter
gehalten, den Beweiswert dieses weniger sachnahen Beweismittels besonders sorgfältig zu prüfen. Dies gilt vor allem dann, wenn ein Polizeifahnder oder
Gewährsmann nur deshalb nicht als Zeuge gehört werden kann, weil die zuständige Behörde sich weigert, seinen Namen und seine Anschrift preiszugeben oder
eine Aussagegenehmigung zu erteilen. Hier darf der Tatrichter nicht übersehen, dass es die Exekutive ist, die eine erschöpfende Sachaufklärung verhindert und
es den Verfahrensbeteiligten unmöglich macht, die persönliche Glaubwürdigkeit des im Dunkeln bleibenden Fahnders oder Gewährsmanns zu überprüfen
(BGHSt 33, 178, 181 f. = NJW 1985, 1789; BGH NStZ 1982, 433; StV 1983, 403). Dessen von einem Vernehmungsbeamten wiedergegebene Aussagen sind
deshalb besonders kritisch zu würdigen. Auf sie darf eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Angaben durch andere nach der
Überzeugung des Tatrichters wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden sind (BGHSt 17, 382, 385 f. = NJW 1962, 1876; BGHSt 33, 83, 88 f. = NJW 1985,
984; BGHSt 33, 178, 181 f. = NJW 1985, 1789; BGHSt 36, 159, 166 f. = NJW 1989, 3291; BGHR, StPO § 261 Zeuge 13, 15, 16 und 17). Der Tatrichter muß
sich der Grenzen seiner Überzeugungsbildung stets bewusst sein, sie wahren und dies in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen (BGHSt 17, 382, 385 f. =
NJW 1962, 1876; BGHSt 33, 178, 181 f. = NJW 1985, 1789).
b) Dies entspricht den in der Rechtsprechung des BVerfG dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben. Das BVerfG hat bereits entschieden, daß die
Strafverfolgungsorgane bei der Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität, wie etwa der Bandenkriminalität und des Rauschgifthandels, wenn sie ihrem
Auftrag der rechtsstaatlich gebotenen Verfolgung von Straftaten überhaupt gerecht werden wollen, ohne den Einsatz sog. V-Leute, deren Identität auch nach
dem Einsatz gewahrt werden muß, nicht auskommen (vgl. BVerfGE 57, 250, 284 = NJW 1981, 1719 = NStZ 1981, 357). Auch dagegen, die Angaben eines
verdeckten Ermittlers durch die Vernehmung von Polizeibeamten als Zeugen vom Hörensagen in den Strafprozess einzuführen, bestehen von Verfassungs
wegen generell keine Bedenken. Der Zeuge vom Hörensagen ist - als eine Form des mittelbaren Beweises" - ein nach der StPO zulässiges Beweismittel, dessen
Heranziehung und Bewertung nach den §§ 244 II , 261 StPO zu beurteilen ist (vgl. BVerfG - 2. Kammer des 2. Senats NJW 1992, 168). Das Recht des Angekl.
auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren (Art. 2 I i. V. mit Art. 20 III GG) gebietet jedoch, wegen der nur begrenzten Zuverlässigkeit des Zeugnisses vom
Hörensagen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen. So ist der Beweiswert von Bekundungen, die auf einen in der Hauptverhandlung
nicht vernommenen Gewährsmann zurückgehen, besonders kritisch zu überprüfen. Dessen Angaben genügen regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere,
nach der Überzeugung des Strafgerichts wichtige Gesichtspunkte bestätigt werden; das Gericht muß sich der Grenzen seiner Überzeugungsbildung stets
bewusst sein, sie wahren und dies in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfG - 2. Kammer des 2. Senats NJW 1992, 168 und Beschl. v. 9. 3.
1988 - 2 BvR 301/88; vgl. auch BVerfGE 57, 250, 291 f. = NJW 1981, 1719 = NStZ 1981, 357). ..."
Der Tatrichter genügt seinen verfassungsrechtlichen Pflichten, wenn er in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringt, dass er sich den geschilderten Grenzen
bewusst war. Das bedeutet, er muss die Kunst des „Dichtschreibens" von Urteilen beherrschen. Das reicht und für den erfahrenen Strafrichter ist das in der
Regel kein Problem. Erleichtert wird ihm dies in den schwereren Fällen dadurch, dass in Strafverfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht kein
Wortprotokoll zu führen ist.
Das BGH-Urteil vom 24.02.1994 (4 StR 317/93, LG Saarbrücken, NStZ 1994, 295 ff) betrifft einen Fall der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung.
Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:
„ ... a) Es bedarf hier nicht der Entscheidung, ob der Identifizierung eines Tatverdächtigen ausschließlich an seiner Stimme grundsätzlich - auch unter idealen
Bedingungen, insbesondere bei besten Absichten und größtem Bemühen des Zeugen - nur ein eingeschränkter Beweiswert zugemessen werden kann (vgl.
Hammersley/Read Das Wiedererkennen von Stimmen, in Köhnken/Sporer (Hrsg.), Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen, 1990, S. 113, 114,
117, 133; Odenthal Rechtsprobleme des Wiedererkennens, in Köhnken/Sporer aaO, S. 9, 17) und eine Verurteilung nur dann Bestand haben kann, wenn sich
der Tatrichter der besonderen Problematik des Wiedererkennens von Stimmen erkennbar bewusst gewesen ist. Jedenfalls mit Blick auf die Umstände, unter
denen die Zeugin Z die Stimme des Angekl. als die des Täters wiedererkannt hat, hält die Beweiswürdigung der StrK rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Für die Gegenüberstellung zum Zwecke der Identifizierung eines Tatverdächtigen durch einen Augenzeugen ist allgemein anerkannt, daß dem Zeugen nicht nur der Beschuldigte, sondern zugleich auch eine Reihe anderer Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlichen Erscheinungsbildes gegenüberzustellen sind (BGH StV 1993, 627; NStZ 1982, 342; OVG Köln StV 1986, 12; im einzelnen näher OLG Karlsruhe NStZ 1983, 377, 378; Kleinknecht/Meyer- Goßner 41. Aufl., § 58 Rn 12; KK-Pelchen 3. Aufl., § 58 Rn 9; Odenthal aaO, S. 18; Schweling MDR 1969, 177; vgl. auch RiStBV Nr. 18; einschränkend Nöldeke NStZ 1982, 193). Das Ergebnis einer Einzelgegenüberstellung ist zwar nicht unverwertbar. Ihm kommt aber regelmäßig ein wesentlich geringerer Beweiswert zu als dem einer vorschriftsgemäß durchgeführten Wahlgegenüberstellung. Daher müssen im Falle einer Verurteilung die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich das Gericht der Mängel und der durch sie bedingten Beeinträchtigung des Beweiswertes bewusst ist (vgl. BGH Beschl. v. 18. 8. 1993 - 5 StR 477/93, insoweit in StV 1993, 627 nicht abgedr.; NStZ 1982, 342; DAR 1976, 94; OLG Köln aaO; 1992, 412; 1994, 67; KK-Pelchen aaO). Für die Identifizierung eines Tatverdächtigen aufgrund eines Stimmenvergleichs müssen diese Grundsätze entsprechend gelten. Es ist sicherzustellen, dass der Zeuge die Stimme des Verdächtigen nicht isoliert, sondern neben anderen Stimmen hört. Die Vergleichsstimmen müssen eine gewisse Klangähnlichkeit aufweisen. Es dürfen dem Zeugen auch nicht etwa neben dem mit einem fremdländischen Akzent oder einem Dialekt sprechenden Verdächtigen Stimmen einer anderen Sprachheimat vorgestellt werden (Odenthal aaO, S. 17; Hammersley/Read aaO, S. 130 ff. - mit weiteren Empfehlungen für die Durchführung der akustischen Gegenüberstellung" ). Bei Mängeln des Stimmenvergleichstests verliert die Identifizierung der Stimme durch den Zeugen zwar nicht notwendig jeden Beweiswert; wie bei der fehlerhaften visuellen Gegenüberstellung muß sich der Tatrichter aber des besonderen Risikos einer Falschidentifizierung - erkennbar - bewußt sein.
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Die Geschädigte hat den Angekl. als Täter identifiziert, nachdem
sie ausschließlich dessen Stimme gehört hatte. Dass sie neben seiner Stimme die eines Kriminalbeamten hören konnte, hat der Zeugin, wovon mangels näherer
Angaben zum Gesprächsinhalt auszugehen ist, keine wirkliche Wahlmöglichkeit eröffnet. Deshalb bedarf es auch nicht der Entscheidung, wie groß die Zahl der
Vergleichsstimmen sein muß und ob und gegebenfalls unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit, zwischen 2 Stimmen zu wählen, ausreichen kann. Die
Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass sich das LG des - infolge unzureichender Durchführung des Stimmenvergleichs - gesteigerten Risikos einer
Falschidentifizierung bewusst war. Das von der StrK betonte größte Bemühen der Zeugin Z um eine wahrheitsgemäße Aussage bietet keine Gewähr dafür, dass
diese nicht einem Irrtum erlegen war, soweit sie glaubte, die Stimme des Täters wiedererkannt zu haben..."
Für den erfahrenen Verteidiger ist zweifelhaft, ob es tatsächlich um die aus wissenschaftlichen Untersuchungen gewonnenen Erfahrungsregeln geht, wenn es
doch für die revisionssichere Abfassung des Urteil ausreicht, dass sich das Tatgericht des gesteigerten Risikos einer Falschidentifizierung „bewusst" war und
dies in den schriftlichen Urteilsgründen hinreichend zum Ausdruck gebracht hat. Stets stellt sich die Frage, ob sich die Strafsenate des BGH des großen Risikos
dieser Rechtsprechung für den Rechtsstaat bewusst sind. Wie groß ist die Verlockung, am Faktum zu drehen, wenn dem immer „staatstreuen Richter", der
womöglich täglich die Bild-Zeitung liest und in dem Staatsanwalt seinen natürlichen Verbündeten sieht, die demokratische Rechtsordnung mit ihren „zu"
liberalen Gesetzen nicht passt? Ist es nicht so, dass gegenwärtig auch der BGH in Strafsachen - und nicht nur in Strafsachen - nur eingreift, wenn ihm das
angefochtene Urteil vom Ergebnis her nicht passt (Pi-mal-Daumen-Grundsatz)? Wie weit dürfen sich materielle und formelle Wahrheit auf diesem Hintergrund
von einander entfernen?
Bei dem Urteil des BGH - v. 03.02.1983 - 1 StR 823/82 (NStZ 1983, 277) handelt es sich um eine grundlegende Entscheidung die von den verschiedenen
Strafsenaten immer zitiert wird. Dort heißt es:
„Spricht der Tatrichter den Angekl. frei, weil er vorhandene Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist das grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung
ist allein Sache des Tatrichters. Ebensowenig wie er gehindert ist, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu
ziehen, ebensowenig kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Überzeugung kommen muß (BGHSt 10, 208
(209, 210) 29, 18 (19, 20)). Auf die Sachrüge hin hat das RevGer. nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
Das ist nicht nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen die Denkgesetze oder gegen
gesicherte Erfahrungssätze verstößt, sondern auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden
sind (BGH, VRS 63, 39, 40; NStZ 1982, 478, 479). ...
Bei seiner Überzeugungsbildung ( § 261 StPO) kann und braucht sich der Tatrichter aber nicht auf solche Schlüsse zu beschränken, die zwingend sind; es
genügt, dass sie denkgesetzlich und nach der Lebenserfahrung möglich sind.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Erlangung der persönlichen Gewissheit; es kommt darauf an, ob das Gericht nach der gesamten Beweislage einen
bestimmten Sachverhalt für wahr hält (BGH, NJW 1951, 83; VRS 24, 207 (210, 211); 39, 103 (104, 105); 63, 39 (40, 41) BGHSt 25, 365 (367); 26, 56 (63);
BGH, Urtl. v. 5. 11. 1975 - 2 StR 523/75; v. 21. 6. 1978 - 2 StR 46/78, bei Holtz, MDR 1978, 806; v. 4. 4. 1979 - 2 StR 808/78 - und v. 1. 9. 1982 - 2 StR
39/82; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 261 Rdnr. 76; Hürxthal, in: KK, StPO, § 261 Rdnrn. 2, 4). ...
Gleichwohl besteht nicht die Besorgnis, das LG könnte verkannt haben, dass eine Mehrzahl von Beweisanzeichen auch dann, wenn keines von ihnen für sich
allein ausreicht, in ihrer Gesamtheit die Überzeugung von der Täterschaft vermitteln kann (BGHSt 20, 333 (341, 342); BGH, Urt. v. 20. 2. 1974 - 3 StR 9/74,
bei Dallinger, MDR 1974, 548; v. 5. 11. 1975 - 2 StR 523/75; v. 4. 1. 1978 - 2 StR 609/77; v. 1. 9. 1982 - 2 StR 39/82 - und v. 25. 11. 1982 - 4 StR 564/82;
Gollwitzer, aaO, Rdnrn. 70, 123; Hürxthal, aaO, Rdnr. 64). Es hebt darauf ab, dass die Feststellungen, die für die Täterschaft des Angekl. sprechen könnten,
"mehrdeutig" sind, also nur Möglichkeits-, allenfalls Wahrscheinlichkeitsschlüsse in Betracht kommen. Solche Schlüsse hält es zur Erlangung der Überzeugung
von der Täterschaft des Angekl. nicht für ausreichend, weil auch Umstände festgestellt worden sind, die dagegen sprechen, dass der Angekl. die Tat begangen
hat. Diese Erwägungen können nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden. ..." (Sie dazu auch BGH, Urteil v. 17.11.1983 - 4 StR 375/83, NStZ 1984, 180).