OLG Hamm, 12.01.2004 - 13 U 165/03, Internethandel, Karstadt, Kaufvertrag, Anfechtung, BGB, 312e, 120, 122, 311, 280, Preisangabe, falsch, elektronisch, Bestaetigung, Bestellung , Ware, anfechtbar, Schadenersatz, Anwalt, Rechtsanwalt, Verteidiger, Erfahrung, Erfolg, free, Giessen, Wetzlar, Marburg, Limburg, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Muenchen, Koeln, Leverkusen, Bochum, Dortmund, Essen, Dresden, Leipzig, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Daenemark, Irland, Grossbritannien, Nordirland, Griechenland, Portugal, Spanien, Finnland, Oesterreich, Schweden, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakien, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern
BGB §§ 312 e I Nr. 3, 120, 122, 311, 280

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- Stand: 8. September 2004 - Volltextsuche - Datenschutz - Sicherheit - News and more! - Suchmaschinen - Google (Test 2/2003 - gut - 2,1)

OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2004 - 13 U 165/03 *

Tatbestand: Die Bekl. betreibt unter der Internet-Adresse www.karstadt.de ein virtuelles Warenhaus. Am 29. 4. 2002 wies sie auf ihrer Internetseite unter anderem 512 MB 64 x 64 PC 133 Samsung original - Speichermodule zum Einzelpreis von 1,88 Euro aus. Am 29. 4. 2002 gab der Kl. über diese Internetseite eine Bestellung von 99 Stück dieser Speichermodule zum Gesamtpreis von 186,12 Euro auf. Wenige Sekunden später erhielt der Kl. eine elektronische Mitteilung, die als Auftragsbestätigung bezeichnet war und die Annahme der Bestellung bestätigte. Mit E-Mail vom 3. 5. 2002 teilte die Bekl. dem Kl. mit, zum Zeitpunkt seiner Bestellung hätte sich ein Fehler auf der "Page" eingeschlichen, das Komma im Preis sei um zwei Stellen nach vorne gerutscht, deshalb könnten die bestellten Artikel im Rahmen der AGB nicht geliefert werden. Mit E-Mail vom 5. 5. 2002 bestand der Kl. auf Vertragserfüllung. Er hat die Bekl. zunächst mit Anwaltsschreiben vom 11. 7. 2002 zur Lieferung bis 25. 7. 2002 aufgefordert und mit Anwaltsschreiben vom 26. 7. 2002 eine Nachfrist bis zum 9. 8. 2002 gesetzt. Mit Anwaltsschreiben vom 20. 8. 2002 hat er den Rücktritt vom Vertrag erklärt und Schadensersatz auf der Grundlage eines Deckungskaufs für 188 Euro/Modul in Höhe von 18 425,88 Euro geltend gemacht. Der Kl. bestreitet mit Nichtwissen, dass es sich bei der Preisangabe um einen Fehler gehandelt habe; es "dürfte ... sich um ein Sonderangebot gehandelt haben, um user auf die web-site zu bekommen". Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.



Entscheidungsgründe: Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Bestellung des Kl. vom 29. 4. 2002 per E-Mail und durch die Bestätigung der Bekl. ebenfalls vom 29. 4. 2002 per E-Mail ein Kaufvertrag zu Stande gekommen ist oder ob es sich bei der Bestätigung der Bekl. allein um eine Zugangsbestätigung i.S. des § 312 e I Nr. 3 BGB handelt. Denn ein solcher Kaufvertrag wäre jedenfalls wirksam von der Bekl. gem. § 142 BGB angefochten worden.

Bei der E-Mail vom 3. 5. 2002 handelt es sich um eine Anfechtungserklärung gem. § 143 BGB und nicht nur um eine Entschuldigungsmail. Unerheblich ist nach allgemeiner Meinung (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 143 Rdnr. 3; BGH, NJW-RR 1995, 859), dass die Formulierung "Anfechtungserklärung" in dem Schreiben nicht enthalten ist; es reicht aus, wenn die Erklärung erkennen lässt, die Partei wolle aus einem in den §§ 119ff. BGB genannten Gründen das Geschäft nicht gelten lassen. Das ist hier der Fall. In der E-Mail vom 3. 5. 2002 heißt es unter anderem: "Aus diesem Grund können wir im Rahmen unserer allgemeinen Geschäftsbedingungen die von Ihnen bestellten Artikel leider nicht ausliefern." Die E-Mail der Bekl. vom 3. 5. 2002 bringt damit, klar zum Ausdruck, dass die Bekl. sich nicht an dem vermeintlich geschlossenen Vertrag festhalten lassen will. Auch wird der Grund dafür mitgeteilt, indem darauf hingewiesen wird, dass beim Einspielen der neuen Preislisten durch einen Dienstleister ein Fehler passiert sei, der das Komma im Preis um zwei Stellen nach vorne habe rutschen lassen.

Die Anfechtungserklärung ist auch von der Anfechtungsberechtigten, der Bekl., abgegeben worden. ...

Die Bekl. hatte auch einen Anfechtungsgrund, und zwar aus § 120 BGB. Auch eine automatisierte, vom Computer erstellte Erklärung unterliegt den Regeln der Willenserklärung und ist damit einer Anfechtung zugänglich (Palandt/Heinrichs, § 120 Rdnr. 2; OLG Frankfurt, NJW 2003, 450 [451]; Hoffmann, NJW 2003, 2576 [2577]). Dass es sich vorliegend bei der Annahmeerklärung - wenn man denn die E-Mail vom 29. 4. 2002 so auslegt - um eine derartige automatisierte Computererklärung handelt, wird aus dem Zeitablauf deutlich.



Unstreitig ist die Bestätigung des Auftrags des Kl. einige Sekunden nach Eingang der Bestellung erfolgt. Auch aus dem sonstigen Text wird deutlich, dass es sich um eine Erklärung handelt, die von einem Rechner infolge einer entsprechenden Programmierung automatisch erstellt und dann an den Computer des Kl. elektronisch übermittelt wurde. Da aber der Rechner nur Befehle ausführt, die zuvor mittels Programmierung von Menschenhand festgelegt worden sind, hat jede automatisch erstellte Computererklärung ihren Ursprung in einer menschlichen Handlung, die von dem Erklärenden veranlasst wurde und die auf seinen Willen zurückgeht. Auch Computererklärungen sind deshalb als Willenserklärungen dem jeweiligen Betreiber zuzurechnen.

Eine Erklärung des Inhalts, nämlich zum Preis von 1,88 Euro pro Stück dem Kl. die 99 Speichermodule zu liefern, hat die Bekl. nicht abgeben wollen. Vielmehr glaubte sie, wie aus der Aussage des Zeugen R deutlich geworden ist, mit dem Kl. auf der Basis der von ihr angegebenen Preise zu kontrahieren. Der Irrtum, der Bekl. unterlaufen ist, unterliegt den Regeln des Übermittlungsirrtums gem. § 120 BGB. Zurückzuführen ist dieser Irrtum auf eine von der Bekl. zunächst nicht bemerkte Aktivierung einer falschen Funktion beim Einspielen der neuen Preislisten durch einen Dienstleister, die letztlich bewirkte, dass ein viel zu geringer Preis in die Internet-Datenbank transportiert wurde. Zwar betraf diese unrichtige Übermittlung nicht unmittelbar die Annahmeerklärung der Bekl. Gegenstand der unrichtigen Übermittlung des zwischengeschalteten Dienstleisters war die "invitatio ad offerendum", auf Grund derer der Kl. sein Vertragsangebot abgab. Die unrichtige Übermittlung der "invitatio ad offerendum" wirkte bei der infolge der entsprechenden Programmierung automatisch übermittelten Annahmeerklärung der Bekl. noch fort. Bei diesem Geschehensablauf hatte die Bekl. keine Möglichkeit, den Fehler bei der Übermittlung zu bemerken oder gar zu korrigieren.

Die Anfechtung erfolgte auch fristgemäß i. S. von § 1211 BGB. Fristgemäß bedeutet unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, nach Kenntnis von dem Anfechtungsgrund. Dem Anfechtungsberechtigten steht eine angemessene überlegungsfrist zu; dabei gilt als Obergrenze eine Frist von zwei Wochen (OLG Hamm, NJW-RR 1990, 523; Palandt1Heinrichs, § 121 Rdnr. 4). Die Bekl. hat die Anfechtungserklärung am 3. 5. 2002, also vier Tage nach der Annahmeerklärung vom 29. 4. 2002 abgegeben. Da es sich bei dem Internethandel um ein Massengeschäft handelt, ist es zwanglos vorstellbar, dass die Bekl. die falsche Preisangabe erst im Rahmen einer Überprüfung einige Tage nach ihrer E-Mail-Erklärung vom 29. 4. 2002 bemerkt hat. Dementsprechend hat die Bekl. dann unverzüglich reagiert. ...

Auf die vorsorglich erklärte Anfechtung durch die Bekl. in ihrem Schreiben vom 19. 7. 2002, die ohnehin verspätet erfolgt wäre, kommt es daher nicht an.



2. Der Kl. hat gegen die Bekl. auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 122 1 BGB. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für den Anspruchsgrund vorliegen; jedenfalls hat der Kl. keinen nach § 122 BGB ersetzbaren Schaden nachgewiesen. Der Ersatzanspruch des Anfechtungsgegners erstreckt sich auf den Vertrauensschaden, das heißt auf die Nachteile, die durch das Vertrauen auf die Gültigkeit entstanden sind (negatives Interesse). Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte (Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdnr. 17). Der Ersatzanspruch wird durch das Erfüllungsinteresse nach oben begrenzt (Palandt/Heinrichs, § 122 Rdnr. 4). Beweist der Anfechtungsgegner, dass ohne das Verhalten des Bekl., das die Anfechtung begründete, ein günstigerer Vertrag abgeschlossen wäre, ist dieser für die Schadensbemessung maßgebend (Palandt1Heinricbs, Vorb. § 249 Rdnr. 17). So liegt der Fall hier aber gerade nicht. Vielmehr hätte der Kl. ohne den hier abgeschlossenen Vertrag nur einen Vertrag über Speichermodule zu einem Einzelpreis von 188 Euro abschließen können. Dementsprechend könnte der Kl. hier nur den durch das anfechtbare Verhalten veranlassten Mehraufwand verlangen. Dazu hat der Kl. jedoch nichts vorgetragen.

3. Der Kl. hat auch keinen Anspruch aus §§ 311 II, 280 I BGB (früher: culpa in contrahendo). Auch hier kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für den Anspruchsgrund vorliegen; denn auch hier hat der Kl. keinen ersetzbaren Schaden nachgewiesen. Zwar ist auch nach der Neuregelung der Konstellation der culpa in contrahendo im BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform unter bestimmten Umständen durchaus der Ersatz des Erfüllungsinteresses möglich. Solche Umstände liegen hier aber nicht vor. Denn das Erfüllungsinteresse ist dann zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne die culpa in contrahendo mit dem Schädiger zu günstigeren Bedingungen zu Stande gekommen wäre (Palandt/Heinrichs, § 311 Rdnr. 58; BGHZ 108, 200 = NJW 1989, 3095; BGH, NJW-RR 2001, 1524). Das ist hier gerade nicht der Fall. Denn dann hätte die Bekl. den korrekten Preis in Höhe von 188 Euro ausgewiesen, und es hätte nur ein Vertrag mit einem solchen Kaufpreis zu Stande kommen können. Einen Vertrauensschaden, der anders als bei § 122 BGB der Höhe nach nicht auf das Erfüllungsinteresse beschränkt ist (Palandt/Heinrichs, § 311 Rdnr. 57), hat der Kl. weder dargelegt noch bewiesen.



* Quelle: NJW 2004, 2601 f