LG Gießen, 10. 3. 2004 - 1 S 453/03, BGB, 281, 323, 326, Kauf, Kaufvertrag, Gewaehrleistung, Minderung, Wandelung, Schadensersatz, Ersatzansprueche, eigenmaechtig, Selbstvornahme, Reparatur, Gelegenheit ,
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BGB §§ 281, 323, 326
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LG Gießen, Urteil vom 10. 3. 2004 - 1 S 453/03 *
Tatbestand: Der Kl. begehrt die Kosten für den Einbaueines Ersatzmotors in ein bei dem Bekl. gekauftes Fahrzeug. Am 16. 3.
2002 kaufte der Kl. einen EG-Neuwagen Typ S zum Preis von 6700 Euro. Im Kaufvertragsformular ist als Verkäufer der Bekl.
angegeben. Das Formular ausgefüllt sowie eine selbstständige "Garantievereinbarung zum Kauf über Pro-Car-Produkte"
übernommen hatte ein Autohändler M ' auf dessen Gelände das verkaufte Fahrzeug stand. Das Fahrzeug wurde im April 2002 an
den Kl. übergeben. Bei einem Kilometerstand von 7400 km erlitt es im November 2002 einen Motorschaden. Zwischenzeitlich fällig
gewordene Inspektionen sind vom Kl. nicht durchgeführt worden. Er wandte sich an den Autohändler M, der erklärte, die Garantie
greife in Hinblick auf die fehlenden Eintragungen im Serviceheft nicht ein. Der Kl. ließ anschließend für 2506,90 Euro einen
Ersatzmotor in das Fahrzeug einbauen, ohne sich zuvor an den Bekl. gewandt zu haben. Mit Schreiben vom 7. 1. 2003 teilte das die
Reparatur durchführende Autohaus auf Wunsch des Kl. die Schadensursache schriftlich mit. Der Kl. wandte sich an die S
Deutschland GmbH, die jedoch im Hinblick auf das nicht ausgefüllte Serviceheft mit Schreiben vom 12. 5. 2003 eine
Kostenbeteiligung ablehnte. Mit Schreiben vom 28. 6. 2003 forderte der Kl. erstmals den Bekl. zur Übernahme der Reparaturkosten
auf.
Das AG hat die erstinstanzlich nur auf Minderung gerichtete Klage abgewiesen, weil der Kl. dem Bekl. keine Gelegenheit bzw. Frist
zur Nacherfüllung gem. § 439 BGB eingeräumt hat. Mit der Berufung verfolgt der Kl. den Minderungsanspruch weiter. Zusätzlich
stützt die Berufung den Zahlungsanspruch auf § 326 II 2 BGB im Hinblick darauf, dass der Bekl. durch die Selbstvornahme der
Reparatur durch den Kl. Nachbesserungskosten erspart habe. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe: Die Kammer erachtet die in der Berufungsbegründung vorgenommene Klageänderung als zulässig (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 263 Rdnr. 11 b, § 531 Rdnr. 26, § 533 Rdnr. 26) und sachdienlich. Die Berufung stützt sich unter
Hinweis auf eine erfolgte Mangelanzeige und Fristsetzung weiterhin auch auf den Ersatz der Reparaturkosten im Wege der
Gewährleistung; darin liegt ein teilweises Weiterverfolgen des erstinstanzlichen Antrags und eine entsprechende Beschwer des Kl.
Soweit die Berufung zusätzlich Zahlung in Höhe der Reparaturkosten unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung ersparter
Nachbesserungsaufwendungen des Verkäufers gem, § 326 II 2 BGB (analog) verlangt, stellt dies eine Änderung des Klageantrags
dar. Da dem neuen Vorbringen im Wesentlichen der bisherige Streitstoff zu Grunde liegt, erachtet die Kammer die Klageänderung
aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit für sachdienlich (§§ 533 Nr. 1, 263 ZPO).
Zu Recht (§ 540 I 2 ZPO) hat das AG Mängelgewährleistungsrechte des Kl. verneint. Nach der Novellierung des Kaufrechts durch
die Schuldrechtsreform 2002 steht die Geltendmachung von Minderungs- bzw. Schadensersatzansprüchen unter dem Vorrang der
fehlgeschlagenen Nacherfüllung. Dazu hätte der Kl. den Bekl. unter Fristsetzung vergeblich zur Nacherfüllung aufgefordert haben
müssen. Dies ist nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht geschehen. (Wird ausgeführt.)
Da zur ausnahmsweise gegebenen Entbehrlichkeit der Nachbesserungsaufforderung weder substantiiert vorgetragen worden ist,
noch sich greifbare Anhaltspunkte dafür aus den Umständen ergeben, kann der Kl. keine Minderungs- oder
Schadensersatzansprüche geltend machen.
Nach Auffassung der Kammer steht dem Kl. auch kein Anspruch wegen ersparter Aufwendungen (analog) § 326 II 2 BGB zu.
Der von der Berufung unter Bezugnahme auf die Kommentierung bei Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 326 Rdnrn. 9 u. 13
(unter Hinw. auf die Ausführungen von Lorenz, NJW 2003, 1417) vertretenen Auffassung vermag sich die Kammer nicht
anzuschließen. Der Gegenmeinung (vgl. AG Kempen, MDR 2003, 1406 [1407] in. Anm. Dötsch; Büdenbender, AnwKomm-BGB,
SchuldR, § 437 Rdnr. 14) ist der Vorzug zu geben.
Der Gesetzgeber hat mit der Schuldrechtsnovellierung zwar dem Besteller eines Werkvertrags das Recht zur Selbstvornahme
eingeräumt (§ 637 BGB), eine vergleichbare Regelung für das Kaufrecht Jedoch nicht getroffen. Die Aufzählung der Rechte des
Käufers im Gewährleistungsfall ergibt sich allein aus § 437 BGB. Soweit teilweise (vgl. jauernigIBerger, BGB, 10. Aufl., § 439
Rdnr. 8) ein Selbstvornahmerecht entsprechend § 637 BGB im Hinblick auf den für den Käufer umständlichen Weg, die Kosten der
Selbstvornahme sich durch einen Nachbesserungstitel gem. § 887 ZPO zu verschaffen, in Erwägung gezogen wird, kann dies nur
die Fälle einer vorherigen - hier nicht gegebenen - Inverzugsetzung des Verkäufers betreffen. Denn auch dem Besteller eines
Werkvertrags ist nur unter dieser Voraussetzung gestattet, den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Selbstbeseitigung
des Mangels zu verlangen (§ 637 I BGB). Auch nach altem Recht war für den Fall eines vertraglich eingeräumten
Nachbesserungsanspruchs als alleiniges Gewährleistungsrecht des Autokäufers ein Ersatz der Selbstvornahmekosten nach der
Entscheidung BGH, NJW 1991, 1882, nur dann anzunehmen, wenn sich der Verkäufer in Verzug befunden hatte (in dem dortigen
Fall durch die Weigerung eines anderen Vertragshändlers).
Das der Systematik des novellierten Kaufrechts somit grundsätzlich fremde Recht zur Selbstvornahme ist auch nicht wegen der von
Lorenz (NJW 2003, 1414 [1418, 1419]) dargelegten Bedenken in den Fällen anzunehmen, in denen der Verkäufer allein wegen der
vom Käufer durch die Reparatur herbeigeführten Unmöglichkeit der Nachbesserung seine damit ersparten Kosten "behalten" darf.
Nach Auffassung der Kammer liegt auch unter Berücksichtigung der von Lorenz aufgezeigten Aspekte keine durch Analogie zu §
326 II 2 BGB zu schließende Regelungslücke vor.
Nach der Neuregelung des Kaufrechts muss der Verkäufer die Möglichkeit haben, sich durch eine so genannte "zweite Andienung"
den Kaufpreis zu verdienen. Diese Möglichkeit wird ihm in den Fällen unwiderruflich genommen, in denen der Käufer selbst
repariert. Dabei hat es allein der Käufer in der Hand, wann er repariert und ob er die formellen Voraussetzungen einer
erstattungsfähigen Ersatzvornahme herbeiführt. Versäumt er dies und geht das Risiko einer Reparatur ohne Inkenntnissetzung des
Verkäufers ein, erscheint es nicht unbillig, ihn für den Fall, dass der Verkäufer im Nachhinein eine Kostenbeteiligung ablehnt, dieses
Risiko tragen zu lassen.
Darüber hinaus erschöpft sich die Bedeutung des Setzens einer Nacherfüllungsfrist nicht lediglich darin, dem Verkäufer die Chance
einzuräumen, durch Nachbesserung doch noch die vertraglich geschuldete Gegenleistung zu erhalten. Durch die Mängelanzeige hat
der Verkäufer zudem die Möglichkeit, den Mangel selbst zu prüfen. Seine Entscheidung, ob der behauptete Mangel anerkannt wird,
welche Reparaturmaßnahmen zur Mangelbeseitigung erforderlich sind, ob er die vom Käufer gewählte "Lieferung einer
mangelfreien Sache" (Ersatzlieferung) oder die "Beseitigung des Mangels" (Nachbesserung) akzeptiert oder verweigert (vgl. § 439
III BGB), ist abhängig von einer Prüfungsmöglichkeit. Gerade im Autohandel dürften betriebsbezogene Besonderheiten wie etwa
Lager- oder Arbeitskapazitäten, aber auch Beziehungen zum Herstellerwerk ausschlaggebend für die aus Sicht des Verkäufers
kostengünstigste Variante der Vertragserfüllung sein. Durch das eigenmächtige Vorgehen des Käufers sind dem Verkäufer diese
Möglichkeiten genommen.
Hinzu kommen Beweisschwierigkeiten. Während bei eingeräumter Prüfungsmöglichkeit Art und Umfang des behaupteten Mangels
unter Beteiligung des Verkäufers - unter Umständen durch Einschaltung eines Sachverständigen - festgestellt werden können, sieht
sich dieser im Falle der Selbstvornahme mit dem Reparaturergebnis konfrontiert. Auch wenn zunächst der klagende Käufer die
ersparten Aufwendungen des Verkäufers (vgl. Lorenz, NJW 2003, 1414 [1419]) darlegen und beweisen müsste, wären die
Verteidigungsmöglichkeiten des Verkäufers in unbilliger Weise eingeschränkt, da sie wesentlich von der Dokumentation der
durchgeführten Reparatur abhängen. Ob die vom Käufer beauftragte Drittfirma das Schadensbild richtig ermittelt, keine unnötigen
Arbeiten veranlasst und korrekt abgerechnet hat, ist auch in diesem Fall für den beklagten Verkäufer nur noch sehr schwer
widerlegbar. Das - pauschale - Vorbringen der Berufung, Streitigkeiten über Umfang und Schwere der Mängel wären in Anbetracht
des Verhaltens des Bekl. nach dem Anschreiben vom 28. 5. 2003 sowieso entstanden, überzeugt nicht und vermag dies nicht zu entkräften.
* Quelle: NJW 2004, 2906 f