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OLG Koblenz, Urteil vom 15.04.2002 - 12 U 595/00 *
Tatbestand: Der damals 16 Jahre alte Bekl. zu 1, der Sohn der Bekl. zu 2 und 3, war am 5. 8. 1996 spätabends über den Balkon der
elterlichen Wohnung in die Nachbarwohnung eingestiegen, hatte dort die Fahrzeugschlüssel des Pkw des Nachbarn und etwas
Bargeld an sich gebracht und war sodann mit einem zwei Jahre jüngeren Freund in Richtung G. losgefahren. Beide waren
übereingekommen, nicht mehr zu den Eltern zurückzukehren. Auf der Fahrt begingen sie mehrere Straftaten, insbesondere
Diebstähle. .Nachdem sie am 7. 8. 1996 von der Autobahnpolizei festgenommen und nach telefonischer Unterrichtung u. a. auch der
Bekl. zu 3 über den Sachverhalt vom Vater des Freundes des Bekl. zu 1 auf der Polizeidienststelle abgeholt worden waren und der
Bekl. zu 1 dann zu den Bekl. zu 2 und 3 gebracht worden war, kam es in der Nacht vom 8. zum 9. 8. 1996 zu weiteren Straftaten
des Bekl. zu 1 und seines Freundes, die entschlossen waren, erneut A. zu verlassen. Zu diesem Zweck entwendeten sie den Pkw M
der Kl. In den frühen Morgenstunden zwischen 2.00 und 3.00 Uhr des 9. 8. 1996 erschienen Polizeibeamte in der Wohnung der
Bekl. zu 2 und 3, um wegen eines PkwDiebstahlsverdachts die Anwesenheit des Bekl. zu 1 zu überprüfen. Der Bekl. zu 1 und sein
Freund, die sich durch Diebstahl u. a. in den Besitz eines KK-Gewehrs mit Magazin und Munition gebracht und sodann unter
Einsatz dieser Waffe gegen 1.00 Uhr nachts auch noch einen schweren Raub begangen hatten, fuhren vor dem beabsichtigten
Absetzen von A. gegen 6.00 Uhr morgens zu der elterlichen Wohnung des Bekl. zu 1, der dort noch einige Sachen und Kleidung
mitnehmen wollte. Der Bekl. zu 3 gelang es nicht, den Bekl. zu 1 in der Wohnung zurückzuhalten. Kurz nach dessen Wegfahrt rief
sie die Polizeidienststelle an, teilte mit, dass sie die Mutter des Bekl. zu 1 sei und ihr Sohn eben kurz in der Wohnung gewesen und
dann gleich wieder mit einem Pkw M weggefahren sei. Bei der daraufhin sofort eingeleiteten Fahndung im Stadtgebiet A. konnte
dieses Fahrzeug gesichtet, zunächst aber nicht angehalten werden, da der Bekl. zu 1, der (ohne Fahrerlaubnis) den Wagen fuhr,
flüchtete. Als im Verlauf der Verfolgungsjagd entgegen seiner Fahrtrichtung ein Polizeifahrzeug auftauchte und er hierauf mit einem
scharfen Bremsen reagierte, fuhr ihm von hinten ein mit zwei Polizeibeamten besetztes Streifenfahrzeug auf. Den dadurch an ihrem
Pkw M entstandenen Sach- und Begleitschaden in Höhe von 12 873 DM hat die Kl. sowohl gegen den Bekl. zu 1 wegen
schuldhaftet Unfallverursachung als auch gegen die Bekl. zu 2 und 3 wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht geltend gemacht.
Das LG hat den Bekl. zu 1 antragsgemäß verurteilt. Die Klage gegen die Bekl. zu 2 und 3 hat es abgewiesen. Die Berufung der Kl.
hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe: Im Endergebnis zutreffend hat das LG Ansprüche wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) durch
die Bekl. zu 2 und 3 verneint. Zwar haften die Bekl. zu 2 und 3 für jeden von ihrem Sohn, dem Bekl. zu 1, widerrechtlich
angerichteten Schaden, wenn sie nicht die Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht nachweisen oder der Schaden auch bei gehöriger
Aufsichtsführung entstanden sein% würde. Die im Streitfall teilweise erkennbaren Aufsichtsmängel sind aber nach Überzeugung des
Senats hier nicht schadensursächlich geworden. Auch bei Ausschöpfung der von den Eltern zu fordernden und zumutbaren
Maßnahmen hätte die schadensursächliche Unfallfahrt nicht abgewendet werden können.
I. Die elterliche Aufsichtspflicht steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zu dem Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit. Aus pädagogischen Gründen muss dem Kind ein grundsätzlich nicht kleinlich zu bernessendet Raum zu
selbstständigem und eigenverantwortlichem Handeln verbleiben, der grundsätzlich einer zu engen Reglementierung der
Lebensführung insbesondere älterer Kinder entgegensteht, soweit nicht zwingende Gründe Einschränkungen erfordern. Die
Aufsichtsmöglichkeiten umfassen abgestuft die Belehrung, die Überwachung, das Verbot, aber auch das Unmöglichmachen
schadensgeneigter Handlungen, wenn dies erforderlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes
sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist somit, was verständige
Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern (vgl. z. B.
BGH, VersR 1965, 385 [3861). Hohe bzw. besonders hohe Anforderungen sind an die Aufsichtspflicht zu stellen, wenn das Kind
für andere gefährlich ist oder sogar schon Straftaten begangen hat (BGH, VersR 1958, 563; BGH, NJW 1980, 1044 [10451; 1997,
2047 [2048]). Werden den Eltern nächtliche Streifereien und Straftaten ihres Kindes bekannt, kann von ihnen durchaus als auch
pädagogisch sinnvolle Maßnahme gefordert werden, ein nächtliches Verlassen der Wohnung durch das Kind durch geeignete
Absperrmaßnahmen zu verhindern (vgl. auch im Ansatz OLG Karlsruhe, VersR 1971, 509).
II. Entgegen der Auffassung des LG war den Bekl. zu 2 und 3 am 9. 8. 1996 bereits seit zwei Tagen bekannt, dass der Kl. kurz
zuvor nächtlich über den Balkon der im zweiten Hausgeschoss gelegenen Wohnung durch Übersteigen auf den Balkon der
Nachbarwohnung und Verlassen des Hauses durch diese Wohnung aus der elterlichen Wohnung gelangt war, einen Pkw gestohlen
und eine Reihe von Straftaten begangen hatte. Als der Bekl. zu 1 nach der im Anschluss an seine erste Tatserie erfolgten
polizeilichen Festnahme am 7. 8. 1998 wieder zu den Bekl. zu 2 und 3 gebracht worden war, bestand daher dringender
Handlungsbedarf. Zumindest bis zu der von der Bekl. zu 3 als ausstehend genannten Vater-Sohn-Aussprache zwischen den Bekl. zu
1 und 2 hätte sichergestellt werden müssen, dass der Bekl. zu 1 nachts die Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Dies wäre leicht
dadurch zu erreichen gewesen, dass nicht nur die Wohnungsausgangstür, sondern auch der Zugang zum Wohnzimmer, das an den
Balkon angrenzte, verschlossen gehalten worden wäre oder notfalls das Einzelzimmer des Bekl. zu 1, an das kein Balkon angrenzte.
Solche Maßnahmen wären bei Abwägung mit. der keineswegs ausgeräumten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durchaus
angemessen gewesen. Die weitere Entwicklung bestätigt das. Denn die vom Bekl. zu 1 fortgesetzten Straftaten mussten dann durch
den Vollzug der Untersuchungshaft wegen Wiederholungs- und Fluchtgefahr gestoppt werden. Das aber war für diesen und seine
Eltern eine weitaus einschneidendere Maßnahme als es die rechtzeitige Verhinderung eines nächtlichen Verlassens der elterlichen
Wohnung gewesen wäre. So berechtigt daher auch die Forderung der Kl. nach "ausbruchssicherem" Einschließen des Bekl. zu 1
jedenfalls für die Nachtzeit ist, so verkennt sie doch, dass im Streitfall den Bekl. zu 2 und 3 die tatsächlichen Möglichkeiten dazu
fehlten. Wie die Bekl. zu 3 vor dem Senat ausgeführt hat, habe der Bekl. zu 1 nac seiner Rückführung von der Polizei am 7. 8. 1996
bei ihne keine Wohnung mehr genommen. Dafür spricht, dass er sic vorher ohnehin schon von den Eltern hatte absetzen wolle und
dann bei seiner Vernehmung durch den Ermittlungsrichter am 9. 8. 1996 erklärt hat, er wohne nicht mehr bei seinen Eltern. Auch
wenn es nach verschiedenen anderen Angaben, auch der Bekl. zu 2 und 3, nicht auszuschließen ist, dass er in der Nacht vom 7. zum
8. 8. 1996 noch einmal in der elterlichen Wohnung geschlafen hat, so ist doch in dieser Nacht wohl noch nichts passiert. Wesentlich
ist, dass er vor der folgenden - entscheidenden Nacht vom 8. zum 9. 8. 1996 erst gar nicht mehr in die elterliche Wohnung
zurückgekehrt ist. Vielmehr ist er, nachdem er am 8. 8 ' 1996 in E in einem Kaufhaus bei einem Uhrendiebstahl ertappt und nach
polizeilicher Vernehmung gegen 17.30 Uhr entlassen worden war, gegen 20.00 Uhr bei seiner "Freundesclique" in A. erschienen,
von wo aus das weitere Geschehen seinen Lauf nahm.
Nur ein Zufall war es, dass der Bekl. zu 1 dann am 9. 8. 1996 in der elterlichen Wohnung auftauchte, um sich noch einige Sachen zu
holen. Die Forderung der Kl., jetzt hätten die Bekl. zu 2 und 3 notfalls mit körperlicher Gewalt und unter Herbeirufen der Polizei
ein Wiederentfernen des Bekl. zu 1 verhindern können, geht an der Realität vorbei. Der Vater des Bekl. zu 1, der Bekl. zu 2, war zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Wohnung, sondern auf dem Weg zur Arbeit. Er allein wäre nach dem persönlichen Eindruck des
Senats auf Grund seiner dominanten, auch durch körperliche Stärke unterlegten und früher bereits bestätigten Autorität in der Lage
gewesen zu verhindern, dass der Bekl. zu 1 die elterliche Wohnung wieder verließ. Auch wenn der Bekl. zu 1 gegenüber seiner
kleineren und körperlich schwächeren Mutter, der Bekl. zu 3, früher noch nicht eine gewaltsar;~ Auflehnung gezeigt hatte, wäre es
dieser allein selbst bei Ausschöpfung aller ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten nicht gelungen, den einmal zum Verlassen des
Elternhauses entschlossenen Sohn an der Wiederwegfahrt mit dem gestohlenen Pkw M zu hindern. Wie die Bekl. zu 3 erklärt hat,
habe sie zwar versucht, ihren Sohn am Arm festzuhalten. Dieser habe aber erklärt, sie solle ihn gehen lassen. Auch die nicht
ausgesprochene Androhung, im Falle eines Weggehens die Polizei zu rufen, hätte nach Überzeugung des Senats keinen Erfolg
gehabt. Vor diesem Hintergrund kann die klägerseits der Bekl. zu 3 angelastete Erklärung, "wenn er (Sohn) jetzt gehe, brauche er
nicht mehr zurückzukommen", nicht isoliert als eine Verletzung der elterlichen Pflicht zur Aufsicht und Verhinderung strafbarer
Handlungen gewertet werden, sondern lediglich als eine letzte hilflose Bemühung, den Sohn umzustimmen. Keinesfalls kann der
Bekl. zu 3 jegliches Verantwortungsgefühl abgesprochen werden. Dies belegt allein schon die Tatsache, dass sie kurz nach der
Wegfährt des Sohnes, ersichtlich in einer allgemeinen Ahnung kommenden Unheils, gegen 6.05 Uhr die Polizei angerufen und -
anknüpfend an deren zuvor erfolgten Besuch erklärt hat, ihr Sohn sei eben kurz in der Wohnung gewesen und dann mit einem
schwarzen Pkw M weggefahren. Dieser für eine Mutter sicher nicht einfache Anruf führte dann zur Fahndung nach dem Bekl. zu 1
und dessen späterer Festnahme.
* Quelle: NJW-RR 2002, 900 f