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LG Gießen, Urteil vom 10.07.2002 - 1 S 72/02 *
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.1.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gießen teilweise abgeändert und wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.579,04 EUR nebst 4 % Zinsen aus 2.505,33 EUR seit dem
8.5.1998 und aus 1.073,71 e seit dem 5.8.1998 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für jeglichen
zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden der Klägerin haften, der durch den Verkehrsunfall vom 8.5.1998 gegen 9.15 Uhr
in Gießen, Neuenweg/Seltersweg/Kreuzplatz verursacht wurde, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e: Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat wegen des Verkehrsunfalls vom 8.5.1998 in der
Fußgängerzone in Gießen gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 3.579,04 EUR =
7.000,00 DM (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB, 3 Nr. 1 und 2 PflVG) und den begehrten Anspruch auf Feststellung.
Der Schmerzensgeldanspruch- ist dem Grunde nach gegeben. Die Kammer folgt der Beweiswürdigung des Amtsgerichts, nach
welcher der Beklagte zu 1) die Klägerin beim Rückwärtsfahren mit dem Pkw Opel Astra erfasste und sich die Klägerin verletzte.
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist in der Berufungsinstanz nicht angegriffen worden.
Wegen der durch den Unfall verursachten Verletzungen wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug
genommen. Soweit die Klägerin behauptet, der Unfall habe auch eine Gehbehinderung verursacht, ist, ein Ursachenzusammenhang
nicht dargelegt. Die Klägerin ist mehrfach auf die gesundheitlichen Folgen des Unfalls hin untersucht worden. Dabei wurde eine
Gehbehinderung als Unfallfolge in keinem Fall festgestellt. Hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten psychischen Belastungen
hat bereits die Sachverständige Dr. W. in ihrem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 19.3.2001 Stellung genommen und
ausgeführt, dass die Klägerin das Unfallereignis und die Erfahrung körperlicher Unversehrtheit traumatisch erlebt habe und unter
entsprechenden Alpträumen leide; eine vollausgebildete, eindeutige posttraumatische Belastungsstörung sei nicht zu diagnostizieren,
wohl aber eine gewisse subdepressive Stimmungslage in Verbindung mit einer nicht gelungenen Krankheitsbewältigung, wobei
jedoch auch primärpersönliche Faktoren anzunehmen seien (Bl. 181 d. A.).
Angesichts der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in physischer und psychischer Hinsicht erscheint ein
Schmerzensgeld in Höhe der von der Klägerin mindestens verlangten 7.000,00 DM angemessen. Dabei war neben den Verletzungen
und den sich daraus ergebenden Behandlungen zu beachten-, dass die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert ist und der
Unfall dazu führte, dass die Klägerin ihren Beruf als Busfahrerin nicht mehr ausüben kann. Soweit die Beklagten eine Ursächlichkeit
verneinen, ist eine Kausalität aufgrund der Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 12.12.2000 (Bl. 98 ff. [155] d. A.) und des
ärztlichen Gutachtens des Med. Dir. D. vom 18.6.1999, der die Verletzung des rechten Arms als Unfallfolge als im Vordergrund
stehende Gesundheitsstörung ansieht (Bl. 9 f. d. A.), bewiesen.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war ein Mitverschulden der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Zwar müssen in
Fußgängerzonen während des erlaubten Anliegerund Lieferverkehrs die Fußgänger auf den Fahrzeugverkehr, der im Schritt zu
fahren hat, ohne dessen Vortritt Rücksicht nehmen (Hentschel, § 2 StVO, Rn 29b). Der Zurückfahrende muss aber darauf achten,
dass der Gefahrraum hinter dem Kfz frei ist und von hinten wie von den Seiten frei bleibt, nur überblickbarer und freien Raum darf
rückwärts befahren werden (Hentschel, § 9 StVO, Rn. 51). Gegen diese Verpflichtung hat der Beklagte zu 1) verstoßen, da es zu
einer Kollision mit der Klägerin nicht hätte kommen können, wenn er den rückwärtigen Bereich beobachtet hätte, weil er dann nach
der Lebenserfahrung auf die Klägerin als Hindernis reagiert hätte. Demgegenüber musste die Klägerin nicht mit einer Kollision mit
dem rückwärtsfahrenden Pkw unter dem Gesichtspunkt rechnen, dass sie das Rückwärtsfahren und die Beladung des Pkw erkannt
hatte. Mit Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer muss nur gerechnet werden, wenn sie erfahrungsgemäß oft vorkommen oder gerade
jetzt vorkommen können (Hentschel, § 1 StVO, Rn. 20). Ein Rückwärtsfahren völlig ohne Beachtung des rückwärtigen Bereichs ist
kein erfahrungsgemäß häufiger Vorgang. Mit einem Rückwärtsfahren ohne Beachtung des rückwärtigen Bereichs musste die
Klägerin auch nicht wegen der Beladung des Pkw rechnen, weil eine Rückschau durch die seitlichen Rückspiegel möglich und
geboten war.
Unter Abwägung der genannten Umstände erscheint das von der Klägerin als Mindestbetrag verlangte Schmerzensgeld in Höhe von
7.000,00 DM angemessen, angesichts der des nur fahrlässigen Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1) aber auch ausreichend, um
der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zu entsprechen. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB a.
F. Ein vor dem 5.8.1998 liegen der Verzugseintritt ist nicht vorgetragen.
Der Feststellungsanspruch ist ebenfalls gegeben. Er scheitert nicht am fehlenden Feststellungsinteresse. Das Feststellungsinteresse
setzt die Möglichkeit des künftigen Eintritts eines Schadens voraus, diese ist nur dann zu verneinen, wenn aus Sicht der Klägerin bei
verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines solchen Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, NJW 2001,
1431 [1432]). Auch unter Beachtung der Beurteilung der Sachverständigen Dr. L. Nachuntersuchungen scheinen entbehrlich, es
liege ein nicht besserungsfähiger Dauerzustand vor (Bl. 155 d. A.) , und Prof. B., alle festgestellten Verletzungsfolgen stellten
endgültige Befunde dar, zukünftig sei mit einer Verbesserung oder Verschlechterung in wesentlichen Umfang nicht zu rechnen (Bl.
208 d. A.) , besteht aus Sicht der Klägerin ein Grund, mit einem zukünftigen Schaden zu rechnen. Die Klägerin hat eine
fortdauernde Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten. Die Möglichkeit einer Verschlechterung dieser Beeinträchtigung ist jedenfalls
nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Bernd nicht auszuschließen. Dass diese Verschlechterung in einem die Zuerkennung
eines weiteren Schmerzensgeldes begründenden Umfang eintreten kann, lässt sich nach den Angaben des Sachverständigen Prof.
Bernd, mit einer Verschlechterung in wesentlichem Umfang sei nicht zu rechnen, ebenfalls nicht ausschließen. Die Beurteilung, ob
eine Verschlechterung für die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes relevant ist, wird letztlich der Beurteilung eines
Gerichts obliegen.
* Quelle: eigene