BGB §§ 823, 254; StVO §§ 9, 41

© 1997 bis heute / KD Mainlaw - Rechtsanwalt Tronje Döhmer, Grünberger Straße 140 (Geb 606), 35394 Gießen
Tel. 06445-92310-43 oder 0171-6205362 / Fax: 06445-92310-45 / eMail / Impressum
Ä - A - B - C - D - E - F - G - H - I - J - K - L - M - N - Ö - O - P - Q - R - S - T - Ü - U - V - W - X - Y - Z

- Stand: 19. September 2003 - Volltextsuche - Datenschutz - Sicherheit - News and more! - Suchmaschinen - Google (Test 2/2003 - gut - 2,1)

LG Gießen, Urteil vom 10.07.2002 - 1 S 72/02 *

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.1.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gießen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.579,04 EUR nebst 4 % Zinsen aus 2.505,33 EUR seit dem 8.5.1998 und aus 1.073,71 e seit dem 5.8.1998 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für jeglichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden der Klägerin haften, der durch den Verkehrsunfall vom 8.5.1998 gegen 9.15 Uhr in Gießen, Neuenweg/Seltersweg/Kreuzplatz verursacht wurde, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e: Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat wegen des Verkehrsunfalls vom 8.5.1998 in der Fußgängerzone in Gießen gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 3.579,04 EUR = 7.000,00 DM (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB, 3 Nr. 1 und 2 PflVG) und den begehrten Anspruch auf Feststellung.

Der Schmerzensgeldanspruch- ist dem Grunde nach gegeben. Die Kammer folgt der Beweiswürdigung des Amtsgerichts, nach welcher der Beklagte zu 1) die Klägerin beim Rückwärtsfahren mit dem Pkw Opel Astra erfasste und sich die Klägerin verletzte. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist in der Berufungsinstanz nicht angegriffen worden.

Wegen der durch den Unfall verursachten Verletzungen wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Soweit die Klägerin behauptet, der Unfall habe auch eine Gehbehinderung verursacht, ist, ein Ursachenzusammenhang nicht dargelegt. Die Klägerin ist mehrfach auf die gesundheitlichen Folgen des Unfalls hin untersucht worden. Dabei wurde eine Gehbehinderung als Unfallfolge in keinem Fall festgestellt. Hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten psychischen Belastungen hat bereits die Sachverständige Dr. W. in ihrem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 19.3.2001 Stellung genommen und ausgeführt, dass die Klägerin das Unfallereignis und die Erfahrung körperlicher Unversehrtheit traumatisch erlebt habe und unter entsprechenden Alpträumen leide; eine vollausgebildete, eindeutige posttraumatische Belastungsstörung sei nicht zu diagnostizieren, wohl aber eine gewisse subdepressive Stimmungslage in Verbindung mit einer nicht gelungenen Krankheitsbewältigung, wobei jedoch auch primärpersönliche Faktoren anzunehmen seien (Bl. 181 d. A.).

Angesichts der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in physischer und psychischer Hinsicht erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe der von der Klägerin mindestens verlangten 7.000,00 DM angemessen. Dabei war neben den Verletzungen und den sich daraus ergebenden Behandlungen zu beachten-, dass die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert ist und der Unfall dazu führte, dass die Klägerin ihren Beruf als Busfahrerin nicht mehr ausüben kann. Soweit die Beklagten eine Ursächlichkeit verneinen, ist eine Kausalität aufgrund der Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 12.12.2000 (Bl. 98 ff. [155] d. A.) und des ärztlichen Gutachtens des Med. Dir. D. vom 18.6.1999, der die Verletzung des rechten Arms als Unfallfolge als im Vordergrund stehende Gesundheitsstörung ansieht (Bl. 9 f. d. A.), bewiesen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war ein Mitverschulden der Klägerin nicht zu berücksichtigen. Zwar müssen in Fußgängerzonen während des erlaubten Anliegerund Lieferverkehrs die Fußgänger auf den Fahrzeugverkehr, der im Schritt zu fahren hat, ohne dessen Vortritt Rücksicht nehmen (Hentschel, § 2 StVO, Rn 29b). Der Zurückfahrende muss aber darauf achten, dass der Gefahrraum hinter dem Kfz frei ist und von hinten wie von den Seiten frei bleibt, nur überblickbarer und freien Raum darf rückwärts befahren werden (Hentschel, § 9 StVO, Rn. 51). Gegen diese Verpflichtung hat der Beklagte zu 1) verstoßen, da es zu einer Kollision mit der Klägerin nicht hätte kommen können, wenn er den rückwärtigen Bereich beobachtet hätte, weil er dann nach der Lebenserfahrung auf die Klägerin als Hindernis reagiert hätte. Demgegenüber musste die Klägerin nicht mit einer Kollision mit dem rückwärtsfahrenden Pkw unter dem Gesichtspunkt rechnen, dass sie das Rückwärtsfahren und die Beladung des Pkw erkannt hatte. Mit Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer muss nur gerechnet werden, wenn sie erfahrungsgemäß oft vorkommen oder gerade jetzt vorkommen können (Hentschel, § 1 StVO, Rn. 20). Ein Rückwärtsfahren völlig ohne Beachtung des rückwärtigen Bereichs ist kein erfahrungsgemäß häufiger Vorgang. Mit einem Rückwärtsfahren ohne Beachtung des rückwärtigen Bereichs musste die Klägerin auch nicht wegen der Beladung des Pkw rechnen, weil eine Rückschau durch die seitlichen Rückspiegel möglich und geboten war.

Unter Abwägung der genannten Umstände erscheint das von der Klägerin als Mindestbetrag verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 DM angemessen, angesichts der des nur fahrlässigen Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1) aber auch ausreichend, um der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zu entsprechen. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB a. F. Ein vor dem 5.8.1998 liegen der Verzugseintritt ist nicht vorgetragen.

Der Feststellungsanspruch ist ebenfalls gegeben. Er scheitert nicht am fehlenden Feststellungsinteresse. Das Feststellungsinteresse setzt die Möglichkeit des künftigen Eintritts eines Schadens voraus, diese ist nur dann zu verneinen, wenn aus Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines solchen Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, NJW 2001, 1431 [1432]). Auch unter Beachtung der Beurteilung der Sachverständigen Dr. L. Nachuntersuchungen scheinen entbehrlich, es liege ein nicht besserungsfähiger Dauerzustand vor (Bl. 155 d. A.) , und Prof. B., alle festgestellten Verletzungsfolgen stellten endgültige Befunde dar, zukünftig sei mit einer Verbesserung oder Verschlechterung in wesentlichen Umfang nicht zu rechnen (Bl. 208 d. A.) , besteht aus Sicht der Klägerin ein Grund, mit einem zukünftigen Schaden zu rechnen. Die Klägerin hat eine fortdauernde Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten. Die Möglichkeit einer Verschlechterung dieser Beeinträchtigung ist jedenfalls nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Bernd nicht auszuschließen. Dass diese Verschlechterung in einem die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes begründenden Umfang eintreten kann, lässt sich nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Bernd, mit einer Verschlechterung in wesentlichem Umfang sei nicht zu rechnen, ebenfalls nicht ausschließen. Die Beurteilung, ob eine Verschlechterung für die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes relevant ist, wird letztlich der Beurteilung eines Gerichts obliegen.



* Quelle: eigene