Döhmer - Die Fiktionen des § 5a VVG
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LG Essen, 26.02.97, 2 S 139/96 (VersR 1997, 993)
Kommentierung der Entscheidung des LG Essen
LG Essen, Entscheidung vom 26.02.97, 2 S 139/96 (VersR 1997, 993)
1. Die Zweiwochenfrist zur Zahlung der Erstprämie läuft unabhängig von der Widerspruchsfrist nach § 5 a Abs. 1 VVG ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins.
2. Auch wenn der VN die Verbraucherinformationen erst mit dem Versicherungsschein erhält, kommt der Versicherungsvertrag als Rumpfvertrag (Vertrag ohne AVB) bereits mit Übersendung der Versicherungspolice wirksam zustande.
24.07.1995 Gewährung vorläufigen Versicherungsschutzes
Die Kl. gewährte der Bekl. für das am 24. 7. 1995 zum Straßenverkehr angemeldete Kfz vorläufigen Deckungsschutz.
11.08.1995 Erteilung des Versicherungsscheines
Auf den Versicherungsantrag erteilte sie ihr sodann den Versicherungsschein zur Kraftfahrtversicherung vom 11. 8. 1995. In dem Versicherungsschein wurde der vierteljährlich zu zahlende "Folgebeitrag" mit 320 DM angegeben. In einem gesonderten Abschnitt des Versicherungsscheins, zur oberen und unteren Passage durch Trennungsstriche abgetrennt, wurde die "Gesamtabrechnung" des Beitrags vorgenommen, der mit 276,30 DM ermittelt wurde. Hierzu hieß es wörtlich:
"Der zu zahlende Betrag ergibt sich aus der beigefügten Rechnung. Überweisen Sie diesen Betrag bitte mit den vorbereiteten Überweisungsträgern. Der Versicherungsschutz beginnt mit der Zahlung des Beitrags. Aufgrund einer vorläufigen Deckungszusage haben Sie nur vorläufigen Versicherungsschutz. Wenn Sie nicht spätestens innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins bzw. der Rechnung den Erstbeitrag zahlen und Sie die Verspätung zu vertreten haben, geht der Versicherungsschutz rückwirkend verloren. Sie müssen den Beitrag auch dann in dieser Frist zahlen, wenn inzwischen ein Schaden eingetreten ist, weil Sie sonst den Versicherungsschutz verlieren und für diesen Schaden selbst aufkommen müssen. Sollten Sie die Zahlungsfrist versäumt haben, so empfehlen wir Ihnen dringend, den Beitrag gleichwohl sofort zu zahlen, damit Sie wenigstens für die Zukunft Versicherungsschutz haben."
Der Versicherungsschein enthielt als letzte Passage eine Widerspruchsbelehrung folgenden Wortlauts:
"Sofern Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der vorgenannten Unterlagen schriftlich widersprechen, gilt der Vertrag als abgeschlossen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
04.09.1995 Verkehrsunfall
Am 4. 9. 1995 erlitt die Bekl. einen selbstverschuldeten Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug des Verkehrsteilnehmers R. zu Schaden kam. Die von diesem als Pflichtversicherer der Bekl. in Anspruch genommene Kl. regulierte seinen Schaden mit dem Betrag von 5467,91 DM.
05.0 9.1995 Zahlung der Erstprämie
Im Zeitpunkt des Unfalls war die der Bekl. im Versicherungsschein vom 11. 8. 1995 genannte Frist zur Einlösung des Erstbeitrags innerhalb von 14 Tagen nach
Erhalt des Versicherungsscheins abgelaufen. Zahlung erfolgte am 5. 9. 1995.
19.09.1995 Neuberechnung der Versicherungsprämie
Nach vorgenommener Versicherervoranfrage, die den von der Bekl. gegenüber der Kl. im Versicherungsantrag angegebenen Beitragssatz von 85 % nicht bestätigte, nahm die Kl. mit Nachtragsschein vom 19. 9. 1995 eine Neuberechnung des Folgebeitrags vor, den sie nunmehr unter Berücksichtigung eines Beitragssatzes von 100 % mit 376,50 DM ermittelte. Zugleich forderte sie auf den Erstbeitrag weitere 50,60 DM nach.
Die Kl. nahm die Bekl. wegen des von ihr regulierten Schadens in Höhe von 5476,91 DM in Regreß. Nachdem diese früheren Aufforderungen nicht nachgekommen war, setzte sie ihr mit Schreiben vom 5. 1. 1996 eine letzte Zahlungsfrist bis zum 26. 1. 1996.
Des AG hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Bekl. blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
Der Kl. steht gegen die Bekl. eine Rückgriffsforderung aus § 426 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 3 Nr. 9 S. 2, § 3 Nr. 4 PflVG in Höhe von 5476,91 DM, der Klagesumme, zu. Die Bekl. hat den gem. § 1 Abs. 2 AKB bestehenden vorläufigen Versicherungsschutz verloren, weil sie nicht rechtzeitig die sogenannte Erstprämie bezahlte (§ 1 Abs. 4 AKB). Die Zweiwochenfrist zur Zahlung der Erstprämie läuft unabhängig von der Widerspruchsfrist nach § 5 a VVG ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins. Da die Bekl. ihren Versicherungsschutz verloren hat, ist sie der Kl. zum Ausgleich der von ihr aufgrund des Schadensfalls vom 4. 9. 1995 gezahlten Schadenssumme an den Geschädigten im Innenverhältnis mit der Kl. verpflichtet. Trotz ordnungsgemäßer Belehrung über die Rechtsfolgen der nicht rechtzeitigen Zahlung der Erstprämie hat die Bekl. diese nicht fristgemäß geleistet und hat damit den vorläufigen Versicherungsschutz verloren.
Der Bekl. kann zunächst nicht darin gefolgt werden, der Versicherungsschein weise die Erstprämie als solche nicht deutlich genug aus, es werde lediglich eine
Folgeprämie verlangt. Insoweit ist den Ausführungen des Amtsrichters uneingeschränkt zu folgen. Der Versicherungsschein vom 11. 8. 1995 weist auf S. 1 die
Berechnung der Vierteljahresprämie von 320 DM aus, ebenso wie den ersten zu zahlenden Betrag für den Zeitraum 24. 7. bis 1. 10. 1995 mit 238,30 DM.
Sodann folgt auf S. 2 eine Berechnung des sogenannten Folgebetrags, dann wird der Erstbetrag nochmals aufgeführt, Versicherungssteuer und eine Gebühr
hinzugerechnet und die Prämie von 276,80 DM ausgeworfen. Unmittelbar danach folgt die Belehrung zum vorläufigen Versicherungsschutz und die
Verpflichtung zur Zahlung des Erstbeitrags. Auf die Berechnung dieser Erstprämie ist es auch ohne Einfluß, daß die Kl. später eine Neuberechnung dieser
Erstprämie vorgenommen hat; dies lag darin begründet, daß die Kl. aufgrund der Angaben der Bekl. zunächst von einem falschen Schadensfreiheitsrabatt
ausgegangen war und deshalb im nachhinein eine höhere Erstprämie berechnet werden mußte.
Auf den Lauf der Zweiwochenfrist zur Zahlung der Erstprämie nach § 1 AKB zur Aufrechterhaltung des vorläufigen Deckungsschutzes ist das Widerspruchsrecht des VN, das sich aus § 5 a VVG ergibt und dessen Voraussetzungen vorliegend unzweifelhaft gegeben sind, weil die Bekl. die Verbraucherinformationen pp. erst mit dem Versicherungsschein erhalten hat, ohne Einfluß.
Die dogmatische Einordnung dieses Widerspruchsrechts und seine Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag werden in der Literatur unterschiedlich bewertet; höchstrichterliche Rechtsprechung ist zu diesem Problemkreis bisher nicht veröffentlicht worden. Im wesentlichen werden hierzu zwei Meinungen vertreten, nämlich einmal, daß der Versicherungsvertrag mit Übersendung der Versicherungspolice zustande kommt (Rumpfvertrag), und zum anderen, daß der Vertrag rechtswirksam erst nach Ablauf der zweiwöchigen Widerspruchsfrist zustande kommt und bis dahin ein schwebend unwirksamer Vertrag besteht (vgl. zum Meinungsstand Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 16. Aufl. § 1 AKB Rdnr. 30 j bis p; Schirmer, Änderungen des VVG nach der Deregulierung mit den Schwerpunkten: Abschluß des Versicherungsvertrages und Einbeziehung von AVB VersR 96, 1045; Dörner, Der Abschluß von Versicherungsverträgen nach § 5 a VVG NJW 96, 153).
Nach Auffassung der Kammer kommt der Versicherungsvertrag bereits mit Übersendung der Versicherungspolice wirksam zustande. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes. In den Fällen, in denen der Gesetzgeber die Wirksamkeit eines Vertrags erst nach Ablauf einer Widerspruchs-/Widerrufsfrist eintreten lassen will, ist dies im Gesetzeswortlaut deutlich gemacht, wie z. B. § 7 VerbrKrG (" ... wird erst wirksam, wenn der Verbraucher sie nicht binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft") oder § 1 HWiG (" ... wird erst wirksam, wenn der Kunde sie nicht binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft"). Es hätte nahegelegen, daß der Gesetzgeber, wenn im VVG eine gleichartige Regelung gewollt gewesen wäre, dies entsprechend formuliert hätte.
Gegen die Annahme einer schwebenden Unwirksamkeit des Vertrags spricht weiter die Tatsache, daß § 5 a VVG für alle Versicherungszweige gilt. Lediglich im
Zusammenhang mit der Kfz-Haftpflichtversicherung ergeben sich Auslegungsprobleme in bezug auf die Regelung der vorläufigen Deckung in § 1 AKB, ein
Sonderproblem dieses Versicherungszweigs. Warum aber in allen anderen Versicherungsfällen zunächst von einem Schwebezustand während des Laufs der
Zweiwochenfrist ausgegangen werden sollte, ist nicht ersichtlich.
Da der Versicherungsvertrag damit nach dem Antrag der Bekl. mit Übersendung des Versicherungsscheins zustande gekommen ist und nicht erst mit Ablauf der Widerspruchsfrist, besteht kein Zweifel daran, daß die Erstprämie binnen zwei Wochen ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt. Hierüber ist die Bekl. zutreffend und ausdrücklich in wünschenswerter Klarheit belehrt worden. Der Wortlaut der Belehrung "innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins bzw. der Rechnung" ist eindeutig und stellt auf den problemlos festlegbaren Zeitpunkt des tatsächlichen Erhalts des Versicherungsscheins ab.
Diese Formulierung ist - gerade auch für den juristischen Laien - eindeutig. Sollte sich die Bekl. - wie vorgetragen wird - Gedanken über den Fristablauf im
Hinblick auf das Widerspruchsrecht gemacht haben, hat sie sich jedenfalls entgegen dieser eindeutigen und richtigen Belehrung verhalten, so daß die
Nichtzahlung der Prämie auch nicht als unvertretbar i. S. v. § 1 AKB anzusehen wäre.
Kommentierung der Entscheidung:
Nach Auffassung des Landgerichts Essen kommt der Versicherungsvertrag bereits mit der Übersendung der Versicherungspolice wirksam zustande. Dafür spreche bereits der Wortlaut des Gesetzes. Dieser Einschätzung ist beizutreten (siehe oben und Döhmer in ZfS 1997, 281 ff.).
Unrichtig ist die Entscheidung, weil die Beklagte den nach § 1 II AKB bestehenden vorläufigen Versicherungsschutz nicht verloren hatte. Von einer nicht rechtzeitigen Zahlung der so genannten Erstprämie (§ 1 IV AKB) kann nämlich nicht die Rede sein, wenn der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden hat. Davon muß nach der neuen Rechtslage ausgegangen werden. Siehe dazu das Thema „Prämienzahlungspflicht".
Auf § 5a III VVG ist besonders hinzuweisen: „Gewährt der Versicherer auf besonderen Antrag des Versicherungsnehmers sofortigen Versicherungsschutz, so kann der Verzicht auf Überlassung der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation bei Vertragsschluss vereinbart werden. Die Unterlagen sind dem Versicherungsnehmer auf Anforderung, spätestens mit dem Versicherungsschein zu überlassen. Wenn der Versicherungsvertrag sofortigen Versicherungsschutz gewährt, hat der Versicherungsnehmer insoweit kein Widerspruchsrecht nach Absatz 1."
Ein Verzicht in diesem Sinne ist nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht ausdrücklich vereinbart worden. Die in der Entscheidung zitierten Klauseln "Sofern Sie
nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der vorgenannten Unterlagen schriftlich widersprechen, gilt der Vertrag als abgeschlossen" und „Zur Wahrung der Frist
genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs" spricht gegen die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf die Überlassung der
Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation bei Vertragsschluss.