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BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 30.01.2002 - 1 BvR 2222/01 *
Tatbestand: Der Bf. ist verheiratet und hat zwei ehelich geborene Kinder. Darüber hinaus ist er Vater des aus einer außerehelichen
Beziehung hervorgegangenen Kindes F, das am 15. 2. 1999 geboren wurde. Mit Beschluss vom 6. 11. 2000 wies das AG den
Antrag der Kindesmutter, den Bf. zum Umgang mit F zu verpflichten, mit der Begründung ab, dass ein erzwungener Umgang dem
Kindeswohl nicht entsprechen dürfte. Das OLG beauftragte mit Beschluss vom 8. 3. 2001 einen Sachverständigen zur Erstellung
eines Gutachtens über die Frage, ob dem Kind F durch den Umgang mit dem Bf. ein nachhaltiger, tief greifender Schaden drohe.
Dieser stellte in seinem Gutachten fest, dass bei mehrmaligen Begegnungen ein nicht begleiteter Umgang, bei welchem der Bf. das
Kind entsprechend seiner Ankündigung ignorieren würde, eine gravierende Verunsicherung und Schädigung des Kindes zu erwarten
wäre. Bei begleitetem Umgang hingegen würde F Kontakt zu der weiteren Person aufnehmen, so dass er zumindest über eine
gewisse Zeit keinen Schaden davontragen würde. Über eine längere Zeit würde ihn allerdings die Ablehnung verunsichern, er würde
die Begegnung negativ besetzen, ablehnen und als Zwang erleben. In diesem Fall bestünde die Gefahr eines gravierenden Schadens.
Mit Beschluss vom 15. 11. 2001 verpflichtete das OLG den Bf. im Wege der vorläufigen Anordnung zum Umgang mit F am 1. 12.
2001, 5. 1. 2002, 2. 2. 2002 und 2. 3. 2002 jeweils von 11 Uhr bis 12 Uhr in den Räumen des Sachverständigen. Für jede
Zuwiderhandlung drohte das Gericht ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 10 000 DM an. Mit Beschluss vom 6. 12. 2001 hat das
OLG gegen den Bf. inzwischen ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 DM festgesetzt, weil dieser den festgesetzten Umgangstermin
vom 1. 12. 2001 nicht wahrgenommen habe und deshalb zu befürchten sei, dass er auch die künftig vorgesehenen Umgangstermine
nicht wahrnehmen werde. Der Bf. hat gegen den Beschluss des OLG vom 15. 11. 2001 soweit hier ein Zwangsgeld angedroht wird
- Verfassungsbeschwerde erhoben und die vorläufige Aufhebung der Zwangsgeldandrohung durch den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt. Der Antrag auf einstweilige Anordnung hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe: II. 1. Nach § 32 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung
vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen
Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen
Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von
vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (BVerfGE 88, 185 [1861 = NVwZ 1993, 767; st. Rspr.). Bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE 88, 185 [186] =
NVwZ 1993, 767; st. Rspr.).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
3. Die danach gebotene Abwägung ergibt Folgendes:
Erginge die einstweilige Anordnung, so würde die Wirkung der Zwangsgeldandrohung einstweilen ausgesetzt und es könnte kein
weiteres Zwangsgeld festgesetzt werden. Damit entfiele der von dieser Androhung ausgehende Druck auf den Bf., welcher somit
nicht mehr mit Zwangsmitteln zum Umgang angehalten werden könnte. Würde das BVerfG die Verfassungsbeschwerde später als
unbegründet zurückweisen, so wäre eine Verzögerung bei dem Unterfangen eingetreten, den Bf. mit Hilfe von Zwangsmitteln zum
Umgang mit seinem Kind, zu bewegen. Die gerichtlich avisierte Umgangsanbahnung könnte hierdurch gegebenenfalls erst zu einem
späteren Zeitpunkt stattfinden. Da der Bf. mit dem Kind allerdings bislang keinerlei Umgang hatte, träte für das Kind durch den
zeitlichen Aufschub keine Veränderung seiner bisherigen personellen Beziehungen ein, sondern es verzögerte sich lediglich seine
Option, mit seinem Vater erstmalig in Kontakt kommen zu können. Erginge die einstweilige Anordnung hingegen nicht, erwiese
sich die Verfassungsbeschwerde gegen den angegriffenen Beschluss aber als begründet, so könnten zwischenzeitlich weitere
Zwangsgeldfestsetzungen in Höhe von bis zu 10 000 DM erfolgen. Die Festsetzung sowie die drohende Eintreibung des
Zwangsgelds könnte zu einer erheblichen finanziellen Belastung des Bf. führen. Auch der durch die Zwangsgeldandrohung
hervorgerufene psychische Druck, unter dem der Bf. steht, weil er sich einer zwangsweisen Durchsetzung eines Treffens mit dem
Kind nicht gewachsen fühlt und seine Ehe dadurch in Gefahr sieht, könnte sich mit weiteren Zwangsgeldfestsetzungen noch weiter
verstärken und gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, wie dies sein behandelnder Psychologe auf Grund seines derzeitigen
Zustands nicht ausschließt. Im Übrigen könnte es zu erzwungenen Treffen des Bf. mit dem Kind kommen, die dann, sollte sich die
Verfassungsbeschwerde als begründet erweisen, nicht fortgesetzt würden. Das Kind würde hierdurch zunächst zum Vater in
Beziehung treten, kurz danach aber wieder einen Abbruch dieser Beziehung erfahren, was zu einer erheblichen psychischen
Belastung des Kindes führen könnte. Nach alledem wiegen die Nachteile, die bei Ablehnung des Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die nachteiligen Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird.
* Quelle: NJW 2002, 1863 f