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Streikrecht - Grundlagen - KD Mainlaw - www.mainlaw.de
© 1997 bis heute / KD Mainlaw - Rechtsanwalt Tronje Döhmer, Grünberger Straße 140 (Geb 606), 35394 Gießen Tel. 06445-92310-43 oder 0171-6205362 / Fax: 06445-92310-45 / eMail / Impressum |
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Stand: 13. Dezember 2014
Grundlagen des Streikrechts in der BRD - Zusammen gestellt von Rechtsanwalt Tronje Döhmer, KD Mainlaw, Gießen
Nach der Vorlage des Antistreikgesetzes wird wieder einmal nachhaltig über das Streikrecht gestritten.
Siehe dazu http://kurzlink.de/Antistreikgesetz und Kommentar!
Dazu die Grundlagen:
I. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung vom 10.12.1948
Artikel 23
1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigen-de Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
3. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende
Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
4. Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.
***
II. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl. II S. 1054)
Art. 11 EMRK Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht,
zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.
(2) Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig
sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der
Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte für Angehörige der
Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen.
***
III. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534)
Artikel 22
(1) Jedermann hat das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen sowie zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten.
(2) Die Ausübung dieses Rechts darf keinen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen
Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit, der
öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel steht gesetzlichen Einschränkungen der Ausübung
dieses Rechts für Angehörige der Streitkräfte oder der Polizei nicht entgegen.
(3) Keine Bestimmung dieses Artikels ermächtigt die Vertragsstaaten des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1948 über die
Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts, gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen oder Gesetze so anzuwenden, daß die Garantien des oben
genannten Übereinkommens beeinträchtigt werden.
***
V. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte - abgeschlossen in New York am 16. Dezember 1966 - ratifiziert am
17.12.1973
Art. 8
(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, folgende Rechte zu gewährleisten:
a) das Recht eines jeden, zur Förderung und zum Schutz seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft
eigener Wahl allein nach Massgabe ihrer Vorschriften beizutreten. Die Aus übung dieses Rechts darf nur solchen Einschränkungen unterworfen werden, die
gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der
Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind;
b) das Recht der Gewerkschaften, nationale Vereinigungen oder Verbände zu gründen, sowie deren Recht, internationale Gewerkschaftsorganisationen zu
bilden oder solchen beizutreten;
c) das Recht der Gewerkschaften, sich frei zu betätigen, wobei nur solche Einschränkungen zulässig sind, die gesetzlich vorgesehen und in einer
demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten
anderererforderlich sind;
d) das Streikrecht, soweit es in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung ausgeübt wird.
(2) Dieser Artikel schliesst nicht aus, dass die Ausübung dieser Rechte durch Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der öffentlichen Verwaltung
rechtlichen Einschränkungen unterworfen wird.
(3) Keine Bestimmung dieses Artikels ermächtigt die Vertragsstaaten des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1948 über die
Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts, gesetzgeberische Massnahmen zu treffen oder Gesetze so anzuwenden, dass die Garantien des
oben genannten Übereinkommens beeinträchtigt werden.
***
VI. Charta der Grundrechte der Europäischen Union - verbindlich seit 01.12.2009
Artikel 28
Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre
jeweiligen Organisationen haben nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den
geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich
Streiks, zu ergreifen.
Dazu das Bundesverfassungsgericht:
„... Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta - EuGRCh) zum Recht auf Kollektivverhandlungen und
Kollektivmaßnahmen einschließlich des Streiks ist hier entgegen einer in den Stellungnahmen geäußerten Auffassung nicht anwendbar. Nach Art. 51 Abs. 1
EuGRCh bindet die Charta die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Die Charta findet keine Anwendung, wenn über
einen Sachverhalt zu entscheiden ist, für den der Union die Regelungskompetenz fehlt. Das Primärrecht schließt eine Zuständigkeit der Union für das
Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht in Art. 153 Abs. 5 AEUV ausdrücklich aus. ..." (BVerfG, Beschluss vom 26.03.2014 - 1 BvR 3185/09)
***
VII. Grundgesetz
Art 9
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den
Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe
gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen
nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Dazu das Bundesverfassungsgericht:
„... 1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen nicht die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers.
a) Das Doppelgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur Einzelne in ihrer Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben oder sie zu verlassen. Geschützt ist auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer
organisatorischen Ausgestaltung und in ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. Der Schutz ist nach
mittlerweile ständiger Rechtsprechung nicht etwa von vornherein auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle
koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (vgl. BVerfGE 93, 352 <358 f.>; zudem BVerfGE 94, 268 <283>; 100, 271 <282>; 103, 293 <304> m.w.N.). Er ist
auch nicht auf die traditionell anerkannten Formen des Streiks und der Aussperrung beschränkt, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass allein diese
Arbeitskampfmittel in ihrer historischen Ausprägung vom Verfassungsgeber als Ausdruck eines prästabilen Gleichgewichts angesehen worden wären (vgl.
BVerfGE 84, 212 <229 f.>). Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung der koalitionsspezifischen Zwecke für geeignet halten, überlässt Art. 9
Abs. 3 GG vielmehr grundsätzlich ihnen selbst. Dies folgt aus der Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht der Koalitionen und aus der Staatsferne
der Koalitionsfreiheit (vgl. BVerfGE 92, 365 <393> m.w.N.).
Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf allerdings der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern
widerstreitender Interessen zum Gegenstand hat (vgl. BVerfGE 84, 212 <228>; 88, 103 <115>; 92, 365 <394>). Beide Tarifvertragsparteien genießen den
Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG in gleicher Weise, stehen bei seiner Ausübung aber in Gegnerschaft zueinander. Sie sind auch insoweit vor staatlicher
Einflussnahme geschützt, als sie zum Austragen ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die
Allgemeinheit einsetzen (vgl. BVerfGE 88, 103 <115>; 92, 365 <394>).
Bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts besteht ein weiter Handlungsspielraum. Das Grundgesetz schreibt nicht vor, wie die gegensätzlichen
Grundrechtspositionen im Einzelnen abzugrenzen sind; es verlangt keine Optimierung der Kampfbedingungen (vgl. BVerfGE 92, 365 <394 ff.>). Umstrittene
Arbeitskampfmaßnahmen werden unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität überprüft; durch den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen soll kein
einseitiges Übergewicht bei Tarifverhandlungen entstehen (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 92, 365 <395>). Die Orientierung des Bundesarbeitsgerichts am
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insofern nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 92, 365 <395>; entsprechend BAG, Großer Senat,
Beschluss vom 21. April 1971 - GS 1/68 -, juris, sowie EGMR, Enerji Yapi-Yol Sen v. Türkei, Urteil vom 21. April 2009, Nr. 68959/01, - NZA 2010, S. 1423,
§§ 24, 32).
b) Ausgehend von diesen Maßstäben lässt sich eine Verletzung des Beschwerdeführers in seiner Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG durch die
angegriffenen Urteile nicht feststellen. Gewerkschaftlich getragene, auf Tarifverhandlungen bezogene sogenannte Flashmob-Aktionen der vorliegend zu
beurteilenden Art fallen in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG.
aa) Das Bundesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beurteilung, ob eine Betätigung koalitionsspezifisch ist, grundsätzlich nicht nach der Art des
von der Koalition gewählten Mittels, sondern nach dem von ihr damit verfolgten Ziel zu erfolgen hat. Es besteht kein Anlass, am koalitionsspezifischen Zweck
des Aufrufs zu einem Flashmob der vorliegend zu beurteilenden Art zu zweifeln, der streikbegleitend während der laufenden Tarifauseinandersetzung
erkennbar darauf ausgerichtet ist, rechtmäßige Arbeitskampfziele zu unterstützen.
Die Frage, ob strafbare Handlungen von vornherein aus dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ausgeschlossen sind, muss vorliegend nicht beantwortet
werden. Das Bundesarbeitsgericht, das allein darauf abstellt, dass Flashmob-Aktionen nicht generell unzulässig seien, geht in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise davon aus, dass es hier um Aufrufe zu streikbegleitenden Flashmob-Aktionen geht, die jedenfalls nicht typischerweise mit Straftaten wie
Hausfriedensbruch, Nötigung oder Sachbeschädigung einhergehen. Tatsächlich hatte die Gewerkschaft in ihrem Flugblatt, das für den Beschwerdeführer Anlass
war, die Unterlassung vergleichbarer Aufrufe zu fordern, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine Frischware in die Einkaufswagen gelegt werden solle,
also Sachbeschädigungen vermieden werden sollten, und sie hat auch nicht zum Hausfriedensbruch aufgefordert. Das Bundesarbeitsgericht hat den Antrag so
ausgelegt, dass ein Aufruf dazu, Wagen mit verderblicher Frischware zu beladen oder Waren einscannen zu lassen, sie aber sodann nicht zu bezahlen und den
gefüllten Wagen an der Kasse stehen zu lassen, nicht Verfahrensgegenstand war, weshalb es über die Rechtmäßigkeit eines derartigen Aufrufs nicht
entschieden hat. Es nimmt für seine Aussagen vielmehr eine Fallkonstellation zum Ausgangspunkt, in der - soweit ersichtlich - Straftaten nicht begangen wurden.
bb) Die vom Bundesarbeitsgericht herangezogenen Kriterien zur Beurteilung von Flashmob-Aktionen sind auch hinsichtlich der Grenzen der Koalitionsfreiheit
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere, dass sich durch die Teilnahme Dritter an Flashmob-Aktionen die Gefahr erhöhen kann, dass diese
außer Kontrolle geraten, weil das Verhalten Dritter weniger beeinflussbar ist. Es setzt der - im Ausgangsfall auch tatsächlich eingeschränkten - Teilnahme
Dritter daher auch rechtliche Grenzen. So muss der Flashmob als gewerkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, also deutlich
werden, dass es sich nicht um eine ‚wilde', nicht gewerkschaftlich getragene Aktion handelt, was auch für Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber bei
rechtswidrigen Aktionen von Bedeutung ist. In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt das Bundesarbeitsgericht auch, dass
Flashmob-Aktionen - anders als Streiks - kein Element unmittelbarer Selbstschädigung der Teilnehmenden in Form des Verlustes des Arbeitsentgelts
innewohnt, das einen (eigen-)verantwortlichen Umgang mit dem Arbeitskampfmittel fördern kann. Der Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG, der sowohl die
Gewerkschaft als auch die Arbeitgeberseite schützt, wird jedoch nicht verkannt, wenn das Bundesarbeitsgericht darauf abstellt, dass der Arbeitgeberseite
geeignete Verteidigungsmittel gegen die hier in Rede stehenden Aktionen zur Verfügung stünden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, eine
eigene Einschätzung zur praktischen Wirksamkeit von Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen,
solange diese nicht einer deutlichen Fehleinschätzung folgen. Eine solche ist hier nicht erkennbar, denn das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der Frage nach
wirksamen Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite gegen einen streikbegleitenden Flashmob intensiv auseinandergesetzt. Es berücksichtigt dabei insbesondere
auch die Interessen der Arbeitgeberseite. Danach ist ein Hausverbot ein Mittel zur Abwehr der hier streitigen Arbeitskampfmaßnahmen, soweit Teilnehmende
äußerlich als solche zu erkennen sind, zum Beispiel aufgrund von Kleidung oder Mitgliedszeichen der Gewerkschaft oder aufgrund eindeutigen Verhaltens; die
Befürchtung, dass Teilnehmende der Aufforderung, die Einzelhandelsfiliale zu verlassen, verbreitet keine Folge leisten würden, wird durch die Strafandrohung
des § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB relativiert. Auch die Annahme, eine suspendierende Betriebsstilllegung sei in Fällen der vorübergehenden Störung des
Betriebsablaufes durch einen Flashmob nicht wirkungslos, ist jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig; mit ihr verlören auch die Arbeitswilligen ihren
Lohnanspruch, was ein für die Gewerkschaft beachtlicher und die Kampfparität fördernder Effekt ist. Gegen diese fachgerichtliche Einschätzung, das Hausrecht
und die vorübergehende Betriebsstilllegung seien als wirksame Verteidigungsmittel anzusehen, ist verfassungsrechtlich daher nichts zu erinnern.
(2) Das Bundesarbeitsgericht verkennt den Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht mit Blick auf die vorübergehende Erschwerung des Zugangs zu den
Kassen durch beladene Einkaufswagen und durch den Einkauf von Cent-Artikeln, denn die an sich durchaus gewichtige Beeinträchtigung des Betriebs war
nicht umfassend und von vergleichsweise kurzer Dauer. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kassenbereich durch die hier konkret zu beurteilende Aktion
nachhaltig blockiert gewesen wäre.
2. Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta - EuGRCh) zum Recht auf Kollektivverhandlungen und
Kollektivmaßnahmen einschließlich des Streiks ist hier entgegen einer in den Stellungnahmen geäußerten Auffassung nicht anwendbar. Nach Art. 51
Abs. 1 EuGRCh bindet die Charta die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Die Charta findet keine Anwendung, wenn
über einen Sachverhalt zu entscheiden ist, für den der Union die Regelungskompetenz fehlt. Das Primärrecht schließt eine Zuständigkeit der Union
für das Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht in Art. 153 Abs. 5 AEUV ausdrücklich aus.
3. Die Rüge des Beschwerdeführers zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat keinen Erfolg. Der gesetzliche Richter ist nicht dadurch entzogen worden, dass der Erste
Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht an den Großen Senat vorgelegt hat.
a) Rechtsuchende können dem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass das Gericht der Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht nicht
nachkommt (vgl. BVerfGE 13, 132 <143>; 101, 331 <359>). Auch die unterlassene Vorlage an den Großen Senat eines obersten Bundesgerichts kann Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG verletzen (vgl. BVerfGE 19, 38 <43>; BVerfGK 2, 213 <220>). Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichtvorlage liegt
allerdings nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nicht nur fehlerhaft, sondern willkürlich ist (grundlegend BVerfGE 3, 359 <364 f.>).
b) Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass das Bundesarbeitsgericht die Vorlagepflicht aus § 45 ArbGG willkürlich verkannt hätte. Das gilt sowohl für die
Anforderungen an eine Divergenzvorlage als auch für jene an eine Grundsatzvorlage.
aa) Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat keinen Rechtssatz zum Arbeitskampfrecht aufgestellt, von dem die angegriffene Entscheidung abwiche.
Auch nach der Rechtsprechung des Großen Senats gibt es eine ‚Kampffreiheit' bei der Wahl der Mittel des Arbeitskampfes und es gilt der Grundsatz der
Waffengleichheit als Kampfparität (vgl. BAG, Beschluss vom 28. Januar 1955 - GS 1/54 -, juris, Rn. 65); maßgeblich ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
(vgl. BAG, Beschluss vom 21. April 1971 - GS 1/68 -, juris, Rn. 62 ff.), der auch die vorliegende Entscheidung trägt.
bb) Das Bundesarbeitsgericht hat auch eine Grundsatzvorlage nicht willkürlich unterlassen. Es kann dahinstehen, ob § 45 Abs. 4 ArbGG verfassungskonform
dahingehend auszulegen ist, dass bei grundsätzlicher Bedeutung zwingend vorzulegen ist oder ob ein Ermessen besteht. Jedenfalls ist dies im Rahmen des Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG nur anhand des Willkürmaßstabs zu überprüfen. Für Willkür spricht aber vorliegend nichts. Das Bundesarbeitsgericht hat die
Rechtsprechung zum Arbeitskampfrecht nicht in Frage gestellt, sondern für einen konkreten Sachverhalt weiterentwickelt.
4. Der Beschwerdeführer kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei in seinen Grundrechten aus Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2
und Abs. 3 GG verletzt, weil die angegriffenen Urteile die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung missachteten.
a) Die Gerichte sind nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, die Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit vorzunehmen, weil dies allein Sache des
Gesetzgebers wäre. Zwar ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Koalitionsfreiheit näher auszugestalten. Soweit es um das Verhältnis der Parteien des
Arbeitskampfes als gleichgeordnete Grundrechtsträger geht, muss diese Ausformung nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen erfolgen (vgl. BVerfGE 84,
212 <226 f.>; 88, 103 <115 f.> m.w.N.). Die Gerichte sind aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährleistungsanspruchs verpflichtet,
wirkungsvollen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 85, 337 <345>; 107, 395 <406 f.>). Sie müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben mit den
anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den bestehenden Rechtsgrundlagen ableiten, was im Einzelfall gilt (vgl. BVerfGE 84, 212 <226 f.>). Entschieden
die Gerichte für Arbeitssachen arbeitskampfrechtliche Streitigkeiten mit Hinweis auf fehlende gesetzliche Regelungen nicht, verhielten sie sich ihrerseits verfassungswidrig.
b) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genügt auch den Anforderungen, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip für die Bestimmtheit des Rechts
ergeben. Der Grundsatz der Bestimmtheit verlangt von der Gesetzgebung, Tatbestände so präzise zu formulieren, dass von einer Norm Adressierte ihr Handeln
kalkulieren können, weil die Folgen der Regelung für sie voraussehbar und berechenbar sind (vgl. BVerfGE 78, 205 <212>; 84, 133 <149>). Rechtsnormen
brauchen allerdings nur so bestimmt zu sein, wie dies nach der Eigenart der zu regelnden Sachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl.
BVerfGE 78, 205 <212>; 84, 133 <149>), weshalb auch unbestimmte Rechtsbegriffe oder auslegungsfähige Generalklauseln zulässig sind (vgl. BVerfGE 31,
255 <264>; 110, 33 <56 f.>). Diese bedürfen dann der Konkretisierung durch die Gerichte. Den Gerichten sind hierbei durch das Rechtsstaatsprinzip,
insbesondere durch die Grundsätze der Bestimmtheit und der Rechtssicherheit, Grenzen gesetzt. Angesichts seiner Weite ist bei der Ableitung konkreter
Begrenzungen jedoch behutsam vorzugehen (vgl. BVerfGE 111, 54 <82>).
Danach unterliegt es von Verfassung wegen keinen Bedenken, dass das Bundesarbeitsgericht die Flashmob-Aktionen auf der Grundlage des geltenden Rechts
nach Maßgabe näherer Ableitungen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht als generell unzulässig beurteilte. Der hierfür vom Bundesarbeitsgericht
maßgeblich herangezogene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zwar inhaltlich unbestimmt, aber dogmatisch detailliert durchformt. Das
Bundesarbeitsgericht präzisiert so die Anforderungen an einen Flashmob, nachdem die übrigen Voraussetzungen des Schutzes von Art. 9 Abs. 3 GG bejaht
worden sind. Die Verhältnismäßigkeit strukturiert die gerichtliche Überprüfung der Grenzen, die einer grundrechtlich geschützten Freiheit gesetzt sind. Dies
genügt den Anforderungen, die sich aus der Verfassung für die auf das Recht bezogene Handlungsorientierung der Arbeitskampfparteien stellen. ..." (BVerfG,
Beschluss vom 26.03.2014 - 1 BvR 3185/09)
***
„... I. Art. 9 Abs. 3 GG wird durch § 116 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AFG in der Fassung des Neutralitätsgesetzes nicht verletzt. Die Regelung beeinträchtigt zwar die
Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Sie wahrt aber die Grenzen, die der Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers dabei von Verfassungs wegen gezogen sind.
1. a) Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist in erster Linie ein Freiheitsrecht. Es gewährleistet den Einzelnen die Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen. Darüber sollen die Beteiligten grundsätzlich frei von staatlicher
Einflußnahme, selbst und eigenverantwortlich bestimmen können. Geschützt ist damit aber auch das Recht der Vereinigungen selbst, durch spezifisch
koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen (vgl. BVerfGE 50, 290 <367> m.w.N.). Die Wahl der Mittel, die die
Koalitionen zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, überläßt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst. Das Grundrecht schützt als
koalitionsmäßige Betätigung auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden jedenfalls insoweit von der
Koalitionsfreiheit erfaßt, als sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (vgl. BVerfGE 84, 212 <224 f.>). Dazu gehört auch
der Streik (vgl. BVerfGE 88, 103 <114>).
b) Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender
Interessen zum Gegenstand hat. Beide Tarifvertragsparteien genießen den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG in gleicher Weise, stehen bei seiner Ausübung aber in
Gegnerschaft zueinander. Sie sind auch insoweit vor staatlicher Einflußnahme geschützt, als sie zum Austragen ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit
beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die Allgemeinheit einsetzen. Dieser Schutz erfordert koordinierende Regelungen, die gewährleisten, daß die
aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können. Die Möglichkeit des Einsatzes von Kampfmitteln setzt
rechtliche Rahmenbedingungen voraus, die sichern, daß Sinn und Zweck dieses Freiheitsrechts sowie seine Einbettung in die verfassungsrechtliche Ordnung
gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 88, 103 <115>).
Bei dieser Ausgestaltung hat der Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum. Das Grundgesetz schreibt ihm nicht vor, wie die gegensätzlichen
Grundrechtspositionen im einzelnen abzugrenzen sind. Es verlangt auch keine Optimierung der Kampfbedingungen. Grundsätzlich ist es den
Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel den sich wandelnden Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und
ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen. Andererseits ist der Gesetzgeber aber auch nicht gehindert, die Rahmenbedingungen von Arbeitskämpfen zu ändern,
sei es aus Gründen des Gemeinwohls, sei es, um gestörte Paritäten wieder herzustellen (vgl. BVerfGE 84, 212 <228 f.>).
c) Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet seine Grenzen am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tarifautonomie muß als ein Bereich
gewahrt bleiben, in dem die Tarifvertragsparteien ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflußnahme regeln können
(vgl. BVerfGE 50, 290 <367>). Ihre Funktionsfähigkeit darf nicht gefährdet werden. Die Koalitionen müssen ihren verfassungsrechtlich anerkannten Zweck,
die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, insbesondere durch den Abschluß von Tarifverträgen erfüllen können. Das
Tarifvertragssystem ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives
Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Funktionsfähig ist die
Tarifautonomie folglich nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht - Parität - besteht (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>).
Unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG ist eine Regelung daher jedenfalls dann, wenn sie dazu führt, daß die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei
Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bleibt und ihre koalitionsmäßige
Betätigung weitergehend beschränkt wird, als es zum Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen erforderlich ist (vgl. BVerfGE 84, 212 <228 f.>).
Konkrete Maßstäbe, nach denen das Kräftegleichgewicht der Tarifvertragsparteien beurteilt werden könnte, lassen sich Art. 9 Abs. 3 GG nicht entnehmen. Die
Einzelheiten sind in der arbeitsrechtlichen Literatur stark umstritten. Das Bundesarbeitsgericht stellt in seiner Rechtsprechung zum Arbeitskampfrecht darauf
ab, wie sich die Verhandlungsstärke der Gegenspieler beim Aushandeln von Tarifverträgen auswirkt und wie sie durch Arbeitskampfmittel beeinflußt werden
kann (BAG, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Für diese Betrachtungsweise sprechen gute Gründe. Sie bietet einen angemessenen Maßstab für die
fachgerichtliche Überprüfung umstrittener Arbeitskampfmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität. Verfassungsrechtlich ist sie in diesem
Zusammenhang unbedenklich (BVerfGE 84, 212 <229 ff.>). Der Gesetzgeber ist allerdings bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit nicht daran gebunden.
Er kann auch andere Regeln aufstellen, die verhindern sollen, daß eine der Tarifvertragsparteien ein Übergewicht bei Tarifverhandlungen erhält.
Verfassungswidrig ist sein Ansatz erst dann, wenn er von vornherein ungeeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.
Der Gesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen einer Koalition
beruhen. Der Organisationsgrad einer Koalition, ihre Fähigkeit zur Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern und ähnliche Faktoren liegen außerhalb der
Verantwortung des Gesetzgebers. Er ist nicht gehalten, schwachen Verbänden Durchsetzungsfähigkeit bei Tarifverhandlungen zu verschaffen.
d) Bei der Beurteilung der Frage, ob die Regelung den Gewerkschaften die Fähigkeit nimmt, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, ist von der
Einschätzung durch den Gesetzgeber auszugehen. Die Kampfstärke einer Arbeitnehmerkoalition hängt von einer im einzelnen kaum überschaubaren Fülle von
Faktoren ab, die in ihren Wirkungen schwer abschätzbar sind. Nicht ohne weiteres erkennbar sind zudem die Möglichkeiten, die einer Gewerkschaft zu Gebote
stehen, sich durch besondere Arten der Kampfführung an veränderte Umstände anzupassen. In einer solchen Lage trifft den Gesetzgeber die politische
Verantwortung für eine zutreffende Erfassung und Bewertung der maßgebenden Faktoren. Das Bundesverfassungsgericht kann sich nicht durch eine eigene
Einschätzung an seine Stelle setzen. Die Grenze der Verfassungswidrigkeit ist daher erst dann überschritten, wenn sich deutlich erkennbar abzeichnet, daß eine
Fehleinschätzung vorgelegen hat oder die angegriffene Maßnahme von vornherein darauf hinauslief, ein vorhandenes Gleichgewicht der Kräfte zu stören oder
ein Ungleichgewicht zu verstärken.
e) Eine Einschätzung, von der der Gesetzgeber bei einer arbeitskampfrelevanten Regelung in zunächst unbedenklicher Weise ausgeht, kann sich im nachhinein
als unzutreffend erweisen. Ursprünglich plausible Annahmen können durch die nachfolgende Entwicklung widerlegt, wohlbegründete Erwartungen hinsichtlich
der komplexen Wirkungszusammenhänge enttäuscht werden. So kann sich trotz einer zunächst verfassungsrechtlich zulässigen Regelung eine nachhaltige
Störung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie einstellen. Eine solche Entwicklung ist in dem Maße korrekturbedürftig, in dem sich zeigt, daß strukturelle
Ungleichgewichte auftreten, die ein ausgewogenes Aushandeln der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht mehr zulassen und die in dem der
Rechtsprechung gezogenen Rahmen nicht ausgeglichen werden können. Der Gesetzgeber ist dann verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Koalitionsfreiheit
zu treffen (vgl. BVerfGE 25, 1 <13>; 49, 89 <130>; 50, 290 <335>).
2. An diesen Maßstäben gemessen hält die angegriffene Regelung der verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Das vom Gesetzgeber gewählte Regelungsprinzip ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar.
Er hat die Regelung getroffen, weil er meinte, durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld werde zugunsten der Gewerkschaften in Arbeitskämpfe eingegriffen und
damit deren Kampfkraft in unvertretbarer Weise erhöht; die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit werde durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld an
Arbeitnehmer außerhalb des umkämpften Bezirks verletzt, wenn diese aller Voraussicht nach an dem erstrebten Arbeitskampfergebnis teil hätten. Der
Neuregelung liegt das Prinzip zugrunde, daß das Lohnausfallrisiko bei Arbeitskämpfen von denjenigen nicht am Arbeitskampf selbst beteiligten Arbeitnehmern
mitgetragen werden soll, die in (annähernd) gleicher Weise am Erfolg der streikenden Arbeitnehmer interessiert sind wie diese selbst, weil er auch ihnen
voraussichtlich zugute kommt.
Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Partizipation ist ein einleuchtendes Kriterium für die Verlagerung des Lohnausfallrisikos von der
Arbeitslosenversicherung auf Arbeitnehmer, deren Interessen mit denen ihrer unmittelbar im Arbeitskampf stehenden Kollegen weitgehend übereinstimmen. Es
liegt nahe, diese Übereinstimmung als Anknüpfungspunkt für das Ruhen des Kurzarbeitergeldes zu nehmen.
b) In tatsächlicher Hinsicht ging der Gesetzgeber von der Annahme aus, daß es der Beschwerdeführerin infolge der hohen Produktionsverflechtung in der
Metallindustrie leicht möglich sei, durch Streiks in einem einzelnen Tarifbezirk weitgehende Produktionsstörungen in anderen Bezirken auszulösen. Diese
Annahme wird von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt und ist zudem durch den Arbeitskampf des Jahres 1984 belegt. Durch eine solche
Kampfführung wird ein starker Druck auf die Arbeitgeberseite ausgeübt. Die von den Fernwirkungen betroffenen Arbeitgeber und ihre regionalen Verbände
werden in dem Maße die unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber und deren Organisationen zum Einlenken zu bewegen versuchen, in dem sie den
wirtschaftlichen Belastungen durch Produktionsausfälle ausgesetzt sind. Hinreichend plausibel ist ebenso die Annahme, daß der auch von den ‚kalt
ausgesperrten' Arbeitnehmern ausgehende Binnendruck auf die Gewerkschaft durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld abgeschwächt würde.
c) Die bewertende Einschätzung des Gesetzgebers, daß durch die frühere Fassung des § 116 AFG in der Auslegung, die diese Bestimmung durch die
Rechtsprechung der Sozialgerichte auf der Grundlage der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Lohnrisiko gefunden hatte, eine Verschiebung der Parität
eingetreten sei, ist nicht zu beanstanden. Derartige Bewertungen komplexer Sachverhalte trifft der Gesetzgeber in seiner politischen Verantwortung für die
Wahrung des Gemeinwohls.
Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch die zur Prüfung stehende Regelung in einer Weise
beeinträchtigt wird, die die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführerin und der Antragsteller rechtfertigt.
aa) Eine solche Beeinträchtigung müßte sich am ehesten an der Kampffähigkeit der Beschwerdeführerin erweisen, die, wie allgemein anerkannt wird, von der
Regelung am stärksten betroffen ist. Sie führt Tarifauseinandersetzungen seit jeher in einzelnen Bezirken und ist nach ihren insoweit unwidersprochen
gebliebenen Darlegungen auf eine solche Kampfführung auch angewiesen. Der hohe Grad an Verflechtungen in der Metallbranche führt dazu, daß
Arbeitskampfmaßnahmen besonders häufig Produktionsstörungen außerhalb des umkämpften Bezirks auslösen.
Deutlich geworden ist allerdings, daß die Beschwerdeführerin es nicht in der Hand hat, ein Ruhen des Kurzarbeitergeldes in anderen Bezirken dadurch zu
vermeiden, daß sie dort eine Hauptforderung aufstellt, die von der des umkämpften Bezirks wesentlich abweicht. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß
es in einem wirtschaftlich insgesamt recht homogenen Gebiet wie der Bundesrepublik Deutschland kaum möglich ist, in einzelnen Tarifgebieten wesentlich
voneinander abweichende Forderungen hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der Arbeitszeit zu stellen, wird durch die von ihr vorgelegten Forderungskataloge
anschaulich belegt.
Erkennbar ist schließlich auch, daß die Beschwerdeführerin durch die Neuregelung beim Einsatz ihrer Arbeitskampfmittel eingeschränkt worden ist. Das hat
sich vor allem bei der Tarifauseinandersetzung des Jahres 1994/95 in Bayern gezeigt. Die Beschwerdeführerin hat dabei gezielt solche Betriebe bestreikt, die
Endprodukte herstellen und infolgedessen in relativ geringem Umfang mit anderen Betrieben technisch verflochten sind. Es spricht viel dafür und wird von den
Arbeitgebern auch nicht in Frage gestellt, daß sich die Beschwerdeführerin zu dieser Taktik genötigt sah, um den Konsequenzen der Regelung zu entgehen und
den sonst zu erwartenden Binnendruck aus anderen Bezirken zu vermeiden. Es liegt auf der Hand, daß Arbeitnehmer einen längeren Arbeitskampf ohne jede
Unterstützung nicht durchstehen können, weil sie auf regelmäßiges Einkommen existentiell angewiesen sind. Offensichtlich ist auch, daß es die
Beschwerdeführerin erheblich belasten würde, wenn sie allen mittelbar betroffenen Mitgliedern bundesweit Streikunterstützung gewähren müßte.
Insgesamt ist daher nicht zu übersehen, daß die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Regelung in ihrer Kampffähigkeit beeinträchtigt wird. Sie ist nicht
nur an einer Kampfstrategie gehindert, die darauf angelegt ist, Produktionsausfälle in anderen Bezirken gezielt herbeizuführen, um auch dort Druck auf die
Arbeitgeberseite auszuüben. Vielmehr muß sie es umgekehrt darauf anlegen, die Arbeitskampffolgen auf den umkämpften Bezirk zu beschränken, weil sonst
die Arbeitnehmer in anderen Bezirken den vollen Druck der Fernwirkungen zu spüren bekämen, den sie ohne Kurzarbeitergeld nicht lange durchstehen
könnten. Insofern geht die Wirkung der Regelung über das erklärte Ziel, einen sogenannten Stellvertreterstreik zu verhindern, hinaus: Die Gewerkschaft
unterliegt bei Arbeitskampfmaßnahmen auch dann weitgehenden Einschränkungen, wenn sie sich darum bemüht, den Arbeitskampf auf das umkämpfte Gebiet
zu beschränken. Betriebe, deren Produktion mit Betrieben derselben Branche in anderen Tarifbezirken stark verflochten ist, kann sie praktisch nicht mehr bestreiken.
bb) Ungeachtet dieser Beeinträchtigungen der Kampffähigkeit der Beschwerdeführerin läßt sich eine verfassungswidrige Störung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie (noch) nicht feststellen.
Die seit dem Inkrafttreten des Neutralitätsgesetzes in der Metallindustrie geführten Tarifauseinandersetzungen lassen eine so weitgehende Einschränkung der
Kampfkraft der Beschwerdeführerin nicht erkennen. Ihre Durchsetzungsfähigkeit erscheint nicht durchgreifend geschwächt. Die Tarifauseinandersetzungen
haben ganz überwiegend zu Abschlüssen geführt, ohne daß es zu Arbeitskampfmaßnahmen gekommen ist. Die Beschwerdeführerin selbst macht nicht geltend,
daß sie sich dabei mangels ausreichender Kampffähigkeit den Forderungen der Arbeitgeberseite hätte unterwerfen müssen. Dafür ist auch nichts ersichtlich.
Auch soweit Arbeitskämpfe stattgefunden haben, hat sich die Beschwerdeführerin nicht als ungleiche Partnerin erwiesen. Insbesondere die
Tarifauseinandersetzung des Jahres 1994/95 in Bayern hat gezeigt, daß sie in der Lage ist, auch unter der Geltung der angegriffenen Regelung ihre Positionen
gleichgewichtig zu vertreten. Sie verfügt unwidersprochen über hinreichende Informationen, um solche Betriebe für Streikmaßnahmen auszuwählen, die mit
Betrieben derselben Branche in anderen Tarifbezirken nicht so stark vernetzt sind, daß diese als Folge des Arbeitskampfes stillgelegt werden müssen. Daß die
Zahl der Betriebe, die diese Voraussetzungen erfüllen, im Zuge fortschreitender Vernetzung oder durch Verbandsaustritte weiter abnimmt, bis schließlich für
wirksame Arbeitskampfmaßnahmen kein hinreichender Handlungsspielraum mehr verbleibt, ist eine zur Zeit nicht belegbare Prognose. Bislang hat der von den
bestreikten Betrieben ausgehende Druck noch ausgereicht, um die Arbeitgeber insgesamt zum Einlenken zu veranlassen. Das Ergebnis gerade dieses
Arbeitskampfes wird allgemein als Erfolg der Gewerkschaft angesehen.
cc) Andererseits hat dieser Arbeitskampf auch weitere Risiken für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erkennen lassen. Wäre es zu Aussperrungen der
Arbeitgeberseite gekommen, so hätten dadurch Beschäftigungsausfälle in anderen Bezirken in einem Umfang auftreten können, der die Kampfkraft der
Beschwerdeführerin erheblich geschwächt hätte. Die Beschwerdeführerin trägt dazu vor, daß dies nahezu unvermeidlich gewesen wäre, weil die von ihr nicht
bestreikten Betriebe, die allein für eine Aussperrung noch in Betracht gekommen wären, in hohem Maße mit Betrieben der Metallindustrie in anderen Bezirken
verflochten seien. Jedenfalls hätten die Arbeitgeber die Möglichkeit gehabt, ihrerseits durch Aussperrungen in ausgewählten Betrieben gezielt Fernwirkungen in
anderen Bezirken auszulösen. Die Regelung hätte bei einer solchen Kampfführung der Arbeitgeber in der Tat zu einer Paritätsstörung führen können, wenn man
davon ausgeht, daß sie auch in diesem Fall zu einem Ruhen des Kurzarbeitergeldes für die betroffenen Arbeitnehmer geführt hätte.
Diese Risiken stellen die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelung allerdings ebenfalls (noch) nicht in Frage. Einmal läßt sich derzeit nicht erkennen,
ob die Arbeitgeber von einer gezielt auf Fernwirkungen hin angelegten Aussperrungstaktik in einem Arbeitskampf tatsächlich in einer Weise Gebrauch machen
können, die zu einem strukturellen Ungleichgewicht der Tarifvertragsparteien führt. Auch sie setzen sich einem Binnendruck aus, wenn sie Produktionsausfälle
in anderen Bezirken in größerem Maße auslösen. Die ohnehin schwächere Solidarität ihrer Mitglieder, die untereinander im Wettbewerb stehen, kann damit
überfordert werden. Außerdem sind die rechtlichen Fragen, die eine solche Kampfführung aufwirft, ungeklärt. Der Vertreter von Gesamtmetall und der
Bundesarbeitsminister haben dazu auf die Arbeitskampfrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Abwehraussperrungen
hingewiesen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht bisher in diesem Zusammenhang allein auf den Aussperrungsbeschluss abgestellt und damit die mittelbar
betroffenen Arbeitnehmer außer Betracht gelassen (vgl. BAG, AP Nr. 64 und 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber auf
Arbeitskämpfe, die noch unter der früheren Fassung des § 116 AFG geführt wurden. Das Bundesarbeitsgericht ging damals erkennbar davon aus, daß in nicht
umkämpften Bezirken regelmäßig Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Seine Ausgangsüberlegungen, daß Abwehraussperrungen die Kampfkraft der Arbeitnehmer
nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen dürfen, können aber auch unter der Geltung der Neuregelung zu einer wirksamen Begrenzung der
mittelbaren Folgen solcher Kampfmaßnahmen führen. Es kommt hinzu, daß auch das Bundessozialgericht noch keine Gelegenheit hatte, sich mit der
Anwendbarkeit des § 116 Abs. 3 AFG auf Arbeitnehmer zu befassen, die infolge der Fernwirkungen von Aussperrungen nicht beschäftigt werden. Zwar
unterscheidet die angegriffene Regelung ihrem Wortlaut nach nicht zwischen den mittelbaren Folgen von Streiks einerseits und Aussperrungen andererseits,
doch ist eine Auslegung im Sinne einer solchen Differenzierung nicht ausgeschlossen. Sie könnte zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie
geboten sein, wenn sonst ein strukturelles Übergewicht der Arbeitgeber bei Arbeitskämpfen eintreten würde.
Danach ist insgesamt sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht unsicher, ob die angegriffene Regelung bei künftigen Arbeitskämpfen zu einer
solchen Ungleichheit der Kampfstärke der Tarifvertragsparteien führt, daß Verhandlungen auf einer annähernd ausgeglichenen Basis nicht mehr möglich sind.
Sollte dies eintreten, wäre der Gesetzgeber aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zur Wahrung der Tarifautonomie zu treffen. Solange dies nicht geschieht,
bleibt es die Aufgabe der Gerichte, die geltenden Regeln im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auszulegen und anzuwenden.
II. Mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist nach Maßgabe der folgenden Ausführungen auch § 116 Abs. 3 Satz 2 zweite Alternative AFG, wonach eine Forderung
auch dann als erhoben gilt, wenn sie aufgrund des Verhaltens der Tarifvertragspartei im Zusammenhang mit dem angestrebten Tarifabschluß als beschlossen
anzusehen ist.
1. Die Koalitionsfreiheit schützt auch die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und
die Führung der Geschäfte (BVerfGE 50, 290 <373 f.>). Der Staat muß, um diesen Schutz zu gewährleisten, den Koalitionen geeignete Rechtsformen zur
Verfügung stellen, die eine hinreichende rechtliche Handlungsmöglichkeit gewährleisten. Das gilt für ihre Binnenstruktur ebenso wie für ihre Wirksamkeit nach
außen. Darüber hinaus darf er dem Selbstbestimmungsrecht der Koalitionen nur solche Schranken setzen, die zum Schutz anderer Grundrechte oder
verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter geboten sind.
2. Die Regelung greift nicht in das Selbstbestimmungsrecht ein, soweit sie mißbräuchliches Zurückhalten einer Forderung im Sinne von § 116 Abs. 3 Satz 1
AFG zu unterbinden sucht. Mißbräuchliches Verhalten ist nicht schutzwürdig.
Eine darüber hinausgehende Auslegung des § 116 Abs. 3 Satz 2 AFG würde dagegen in verfassungswidriger Weise in das Selbstbestimmungsrecht der
Koalitionen eingreifen.
a) Wäre die Vorschrift dahin zu verstehen, daß aus dem Verhalten der Tarifvertragspartei bereits dann eine Forderung abgeleitet werden darf, wenn die
satzungsgemäße Willensbildung durch die zuständigen Organe noch nicht abgeschlossen ist, so würde dadurch deren Willensbildungsprozeß selbst
beeinträchtigt. Die Tarifvertragspartei wäre nicht mehr Herrin des Verfahrens, das nach ihrer Satzung dazu bestimmt ist, die Beteiligung der Mitglieder an
wesentlichen Entscheidungen zu gewährleisten und die Verantwortlichkeit ihrer Organe festzulegen.
Weder grundrechtlich geschützte Gemeinwohlbelange noch der Schutz von Grundrechten Dritter vermöchten einen solchen Eingriff zu rechtfertigen. Die
Regelung dient erklärtermaßen dazu, die Arbeitgeber vor einer paritätsgefährdenden Streikführung durch die Gewerkschaften (‚Stellvertreterstreik') zu
schützen, indem sie eine Umgehungsmöglichkeit unterbindet. Dieses Ziel, das von der Sache her allein als rechtfertigender Grund für den Eingriff in Betracht
kommt, ist legitim. Vorkehrungen gegen mögliche Umgehungen einer Norm darf der Gesetzgeber treffen.
Der Eingriff wäre aber unverhältnismäßig. Die Gewerkschaft könnte sich bei der Meinungsbildung über Tarifforderungen nicht mehr unbefangen verhalten.
Schon bei Diskussionen unter Mitgliedern und in Unterorganisationen müßte bedacht werden, daß sich aus ihnen Anhaltspunkte für eine Interpretation des
Verhaltens im Sinne von § 116 Abs. 3 Satz 2 AFG ergeben können. Entscheidungen, die der abschließenden Willensbildung vorgelagert sind, wären mit der
Verantwortung belastet, als Grundlage für die gesetzliche Forderungsfiktion genommen zu werden. Die Zuständigkeit des Organs, das die abschließende
Entscheidung zu treffen und vor den Mitgliedern zu verantworten hat, würde überspielt. Insgesamt würde die Rücksichtnahme auf unbeabsichtigte Folgen
freimütiger Beiträge zur endgültigen Meinungsbildung diese selbst auch sachlich beeinflussen.
Schon die bisherige Entwicklung gibt keinen Anlaß, zum Schutz einer ausgewogenen Kampfstärke der Arbeitgeberseite in so schwerwiegender Weise in die
Tarifautonomie der Gewerkschaften einzugreifen. Daß die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit aus taktischen Gründen Forderungen zurückgehalten hätte,
um das Gesetz zu umgehen, ist nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar. Auch das frühere Recht hätte dazu Anlaß bieten können; denn nach der
Neutralitätsanordnung kam es ebenfalls auf die Unterschiede zwischen den Tarifforderungen in den verschiedenen Tarifbezirken an. Daß die
Beschwerdeführerin gleichwohl ihre Forderungen stets offengelegt hat, beruht erkennbar auf den Sachgesetzlichkeiten, denen sie bei den von ihr geführten
Tarifauseinandersetzungen unterliegt. Nach § 1 der Schlichtungs- und Schiedsvereinbarung für die Metallindustrie vom 14. Dezember 1979 ist die
Gewerkschaft verpflichtet, ihre Forderungen für den Neuabschluß des Tarifvertrages dem Arbeitgeberverband spätestens vier Wochen vor Ablauf des
Tarifvertrages zu übermitteln. Geschieht das nicht, verlängert sich nach § 3 Abs. 2 der Vereinbarung die Friedenspflicht. Die Sorge, daß sie in Zukunft ihre
internen Willensbildungsprozesse hinsichtlich von Tarifforderungen in nicht umkämpften Bezirken mit dem Ziel einer Umgehung des § 116 Abs. 3 Satz 1 AFG
manipulieren könnte, erscheint deshalb wenig begründet. Die Vertreter der Arbeitgeberseite haben dazu auch nichts Näheres vorgetragen. Soweit danach
überhaupt ein Schutzbedürfnis der Arbeitgeber besteht, ist es jedenfalls nicht so schwerwiegend, daß dadurch der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der
Gewerkschaften gerechtfertigt wäre.
b) Aus denselben Gründen ist auch die von den Arbeitgeberverbänden vorgetragene Auslegung des § 116 Abs. 3 Satz 2 AFG mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht
vereinbar. Danach soll die Gleichheit der Hauptforderungen nur der Feststellung dienen, daß das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in den nicht
umkämpften Bezirken übernommen wird; dem Verhalten der Gewerkschaft komme in diesem Zusammenhang Indizwirkung zu (vgl. Löwisch, in: Festschrift
für Stahlhacke, 1995, S. 332 ff.). Wie weit diese Auslegung noch mit Wortlaut und Sinn des Gesetzes im Einklang steht, braucht nicht erörtert zu werden.
Jedenfalls wäre aber der Eingriff in die Tarifautonomie der Gewerkschaften, der sich bei dieser Auslegung ergibt, nicht geringer als bei der zuvor erörterten.
Auch nach dieser Auffassung würde das Ergebnis eines nicht abgeschlossenen Willensbildungsprozesses vorweggenommen.
III. Die Neuregelung des § 116 Abs. 3 Satz 1 AFG verletzt Art. 14 Abs. 1 GG nicht. Soweit sie in eigentumsrechtlich geschützte Positionen eingreifen sollte,
wäre der Eingriff gerechtfertigt.
1. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG umfaßt auch sozialversicherungsrechtliche Positionen, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem
Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind; diese genießen Eigentumsschutz, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und
der Sicherung seiner Existenz dienen (vgl. BVerfGE 53, 257 <289 ff.>; 72, 9 <18 f.>; 74, 9 <25>; 74, 203 <213>). Darunter fallen Ansprüche auf
Arbeitslosengeld jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer durch Zahlung von Beiträgen während der gesetzlichen Wartefrist die volle Anwartschaft darauf
erworben hat (BVerfGE 72, 9 <18 f.>).
Ob darüber hinausgehende Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung in den Schutzbereich der Eigentumsgewährleistung fallen, ist fraglich und in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärt. Zweifelhaft ist vor allem, ob das Kurzarbeitergeld, um das es im Anwendungsbereich des §
116 Abs. 3 Satz 1 AFG hauptsächlich geht, dem Versicherten privatnützig zugeordnet ist. Es beruht zwar ebenfalls auf Eigenleistungen der Versicherten und
dient ihrer Existenzsicherung bei Lohnausfall wegen Kurzarbeit. Anders als beim Arbeitslosengeld ist aber die Erfüllung einer Wartezeit nicht erforderlich.
Außerdem soll die Zahlung von Kurzarbeitergeld vor allem auch den von Kurzarbeit betroffenen Betrieben die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten. Der
Anspruch auf Kurzarbeitergeld entsteht daher nicht automatisch bei absehbar kurzfristiger Beschäftigungslosigkeit. Vielmehr ist er an eine Anzeige des
Arbeitsausfalles geknüpft, die nicht durch den Arbeitnehmer, sondern nur durch den Arbeitgeber oder die Betriebsvertretung erstattet werden kann (§ 72 Abs. 1
AFG). Obwohl beitragsfinanziert, ist das Kurzarbeitergeld eine Arbeitgeber und Arbeitnehmer begünstigende Leistung des Solidarausgleichs.
2. Die Frage, inwieweit Ansprüche auf Kurzarbeitergeld dennoch eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositionen sein können, braucht hier nicht abschließend
entschieden zu werden. Selbst wenn man dies annimmt, greift die angegriffene Regelung nicht in verfassungswidriger Weise in diese Position ein.
Ob das Gesetz die frühere Rechtslage zu Lasten der Versicherten verschlechtert und damit möglicherweise in den geschützten Bestand versicherungsrechtlicher
Positionen eingreift oder nur klarstellt, was bereits die Fassung des Gesetzes von 1969 bewirken sollte, braucht ebenfalls nicht entschieden zu werden. Denn die
von den Antragstellern geltend gemachte Minderung der Versichertenrechte ist durch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel gerechtfertigt.
§ 116 Abs. 3 Satz 1 AFG soll der Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen dienen. Dieses Ziel ist legitim. Die tatsächlichen
Annahmen, auf denen die Besorgnis des Gesetzgebers beruht, die Neutralität sei bei Zahlung von Kurzarbeitergeld nicht mehr gewahrt, sind
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit kann auf die Ausführungen zu Art. 9 Abs. 3 GG verwiesen werden.
Die Regelung ist auch geeignet, die Neutralität der Bundesanstalt bei Arbeitskämpfen mit Fernwirkungen zu gewährleisten. Der Partizipationsgedanke
ermöglicht eine Abgrenzung der Leistungsempfänger nach Kriterien, die an diesem Ziel ausgerichtet sind. Ein gleich wirksames Mittel, das weniger weitgehend
in die versicherungsrechtlichen Positionen der Arbeitnehmer eingreift, ist nicht ersichtlich.
Der Eingriff wäre auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Zum einen ist die Position, in die eingegriffen würde, den Versicherten allenfalls in
geringfügigem Umfang als privatnützig zugeordnet. Außerdem bewirkt die Regelung in der Praxis, daß die Gewerkschaften - und möglicherweise auch die
Arbeitgeber - bestrebt sind, bei Arbeitskämpfen so vorzugehen, daß Kurzarbeit in anderen Bezirken vermieden wird. Überdies würde nur in Rechtspositionen
solcher Arbeitnehmer eingegriffen, bei denen erwartet werden kann, daß sie am Erfolg des Arbeitskampfes teilhaben werden.
Auf der anderen Seite ist die Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit ein wichtiges Anliegen, dem der Gesetzgeber gegenüber diesen
Rechtspositionen den Vorrang einräumen durfte.
IV. Die Regelung verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Sie führt zwar bei streikbedingten Arbeitsausfällen zu einer
Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer aus nicht umkämpften Bezirken derselben Branche gegenüber den Arbeitnehmern in anderen Branchen. Doch ist diese
Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt.
1. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den
Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Der unterschiedlichen Weite des
gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung (vgl. BVerfGE 88, 87 <96 ff.>).
Danach gilt hier ein relativ strenger Maßstab. Die angegriffene Regelung führt zu einer erheblichen Ungleichbehandlung von Personengruppen, deren
Mitglieder die ungleichen Rechtsfolgen faktisch nicht vermeiden können.
2. Die Begrenzung der Ruhensregelung auf Arbeitnehmer derselben Branche ist hiernach sachgerecht. Sie beruht auf der auch im Regierungsentwurf zum
Ausdruck gekommenen unbestrittenen Annahme, daß außerhalb der Fachbereichsgrenze andere Tarifvertragsparteien eigenständige Tarifziele verfolgen. Der
Gesetzgeber konnte mit guten Gründen davon ausgehen, daß Arbeitskämpfe weder mit dem Ziel noch mit dem absehbaren Ergebnis geführt werden, daß der
Abschluß auf die Arbeitnehmer anderer Fachbereiche übertragen wird. Zutreffend wird dazu im Regierungsentwurf ausgeführt, daß nur im Rahmen desselben
Fachbereichs durch Gewährung von Leistungen überhaupt in den Arbeitskampf eingegriffen werden kann (BTDrucks. 10/4989).
Die Abgrenzung nach Fachbereichen oder Branchen entspricht einem überkommenen Ordnungsprinzip der Koalitionen. Deren Tarifzuständigkeit richtet sich
nach Satzungen, die regelmäßig auf Branchen abstellen (Industrieverbandsprinzip). Praktisch alle Tarifverträge unterscheiden nach persönlichem und
fachlichem Geltungsbereich. Die Arbeitsrechtsordnung knüpft vielfach an den Geltungsbereich von Tarifverträgen an, so zum Beispiel in § 622 Abs. 4 Satz 2
BGB oder in § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG.
Die zur Prüfung gestellte Regelung dient dazu, den Einfluß von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung auf Arbeitskämpfe im Interesse einer Erhaltung
der Parität der Tarifvertragspartner zu neutralisieren. Sie orientiert sich dabei am Partizipationsgedanken. Daß dieses Prinzip ein sachgerechtes
Zuordnungskriterium im vorliegenden Zusammenhang darstellt, ist bereits dargelegt worden. An den Ergebnissen des Arbeitskampfes in einem anderen Bezirk
partizipieren vor allem die Angehörigen derselben Branche. Einmal verhandeln bei Tarifauseinandersetzungen in den unterschiedlichen Bezirken derselben
Branche praktisch dieselben Partner. Außerdem sind die Rahmenbedingungen für das Aushandeln von Löhnen in aller Regel und von anderen
Arbeitsbedingungen weitgehend gleich. Durch einheitliche Abschlüsse werden auch regionale Wettbewerbsverzerrungen vermieden, was im Interesse beider
Tarifvertragsparteien liegt.
Zwischen den verschiedenen Branchen gibt es hingegen sehr viel weniger Übereinstimmungen. Nur von der allgemeinen Konjunkturlage werden meist alle
Branchen in annähernd gleicher Weise betroffen. Daher kommt bestimmten Tarifabschlüssen am Beginn einer Periode von Tarifauseinandersetzungen häufig
eine gewisse Pilotfunktion zu. Ein solches branchenübergreifendes Signal, das von einem Tarifabschluß ausgeht, ist aber schwächer als ein Pilotabschluß in
derselben Branche und in seinen Auswirkungen rechtlich kaum faßbar.
3. § 116 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AFG verstößt auch in anderer Hinsicht nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Es ist nicht zu beanstanden, daß die mittelbar von einem Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmer außerhalb des umkämpften Bezirks belastet werden, obwohl
sie am Ergebnis des Arbeitskampfes nicht mit Sicherheit teilhaben. Voraussetzung für das Ruhen der Versicherungsansprüche ist, daß das
Arbeitskampfergebnis den betroffenen Arbeitnehmern aller Voraussicht nach zugute kommt. Diese Prognose wird von dem Neutralitätsausschuß getroffen, der
aus Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sowie dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit zusammengesetzt ist (§ 206 a Abs. 1 AFG). Sie ist
zudem gerichtlich überprüfbar. Damit hat der Gesetzgeber hinreichend dafür vorgesorgt, daß am Arbeitskampf nicht beteiligte Arbeitnehmer nur dann
nachteilig betroffen werden, wenn ihnen die Vorteile der Tarifauseinandersetzung zugute kommen.
V. Die Regelung steht auch mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) im Einklang. Sie ist weder unklar noch bürdet sie der Bundesanstalt für Arbeit
wertende Entscheidungen in einem mit diesem Prinzip nicht mehr zu vereinbarenden Umfang auf. Zwar ist sie auslegungsbedürftig; sie läßt aber in Verbindung
mit den Gesetzesmaterialien hinreichend deutlich erkennen, was gemeint ist und woran die anwendende Stelle sich zu orientieren hat. Das wird durch die
inzwischen ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 4. Oktober 1994 (NZA 1995, S. 320) bestätigt.
VI. Die Regelung der Klagebefugnis in § 116 Abs. 6 AFG verstößt nicht gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Bindungswirkung gegenüber Dritten beigemessen wird, läßt eine Verletzung dieser Garantie von vornherein nicht erkennen. Rechtsschutzmöglichkeiten
Dritter könnten allenfalls dann eingeschränkt sein, wenn eine Bindungswirkung ihnen gegenüber bestünde. Soweit sie nicht an die Entscheidung des
Bundessozialgerichts gebunden sind, bleibt es ihnen unbenommen, die Entscheidung des Neutralitätsausschusses inzident mit den gesetzlich gegebenen
Klagemöglichkeiten überprüfen zu lassen.
2. Ebensowenig wird Art. 19 Abs. 4 GG dadurch verletzt, daß gegen die Entscheidung des Neutralitätsausschusses nur das Bundessozialgericht in erster und
letzter Instanz angerufen werden kann.
a) Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip gewährleisten einen Instanzenzug (BVerfGE 87, 48 <61> m.w.N.; st. Rspr.). Den
obersten Gerichtshöfen des Bundes können in begrenztem Umfang erstinstanzliche Zuständigkeiten übertragen werden. Aus Art. 95 Abs. 1 GG folgt zwar, daß
sie grundsätzlich als höchste Rechtsmittelgerichte innerhalb eines Gerichtszweiges gedacht sind. Der Gesetzgeber darf ihnen aber die alleinige Kompetenz zur
Überprüfung von Verwaltungsakten oberster Bundesbehörden übertragen, die von überregionaler oder allgemeiner grundsätzlicher Bedeutung sind oder einer
raschen endgültigen Klärung bedürfen (vgl. BVerfGE 8, 174 <177, 181>).
b) Daran gemessen ist die Rüge unbegründet. Für den Neutralitätsausschuß kann nichts anderes gelten als für oberste Bundesbehörden. Er ist die allein
zuständige Verwaltungsinstanz für die Entscheidungen nach § 116 Abs. 3 AFG. Seine Beschlüsse unterliegen keiner Überprüfung im Verwaltungsverfahren.
Sie sind von überregionaler und allgemeiner Bedeutung und betreffen Fragen, die wegen des laufenden Arbeitskampfes einer besonders raschen Klärung bedürfen.
3. Es ist auch nicht erkennbar, daß die Regelung die Arbeitgeber bevorzugt, soweit diese nur regional organisiert sind. Der Begriff Fachspitzenverbände braucht
nicht technisch in dem Sinne ausgelegt zu werden, den ihm die Beschwerdeführerin beimißt. Von der Sache her liegt es zudem nahe, auch Dachverbände
einzubeziehen, soweit es bundesweit organisierte Fachverbände im engeren Sinne nicht gibt. In diesem Sinne hat das Bundessozialgericht die Vorschrift im
übrigen inzwischen ausgelegt (NZA 1995, S. 320 <323>). ..." (BVerfG, Urteil vom 04.07.1995 - 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87,
1 BvR 1421/86)
***
„... 1. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Er schützt
auch die Koalitionen selbst in ihrem Bestand, ihrer Organisation und ihrer Tätigkeit, soweit diese gerade in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen besteht. Hierzu gehört insbesondere der Abschluß von Tarifverträgen. Die Koalitionen sollen beim Abschluß von Tarifverträgen frei
sein und die Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, selbst wählen können. Zu den geschützten Mitteln zählen jedenfalls die
Arbeitskampfmaßnahmen, die erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (BVerfGE 84, 212 <225>). Ein solches Mittel ist
auch der Streik. ..." (BVerfG, Beschluss vom 02.03.1993 - 1 BvR 1213/85).
***
VIII. Verfassung des Landes Hessen Vom 1. Dezember 1946
Artikel 29
(1) Für alle Angestellten, Arbeiter und Beamten ist ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen.
(2) Im Rahmen dieses Arbeitsrechts können Gesamtvereinbarungen nur zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmungen oder ihren Vertretungen
abgeschlossen werden. Sie schaffen verbindliches Recht, das grundsätzlich nur zugunsten der Arbeitnehmer abbedungen werden kann.
(3) Das Schlichtungswesen wird gesetzlich geregelt.
(4) Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären.
(5) Die Aussperrung ist rechtswidrig.
***
Kommentar
Die Gewerkschaften scheinen ihre Lage und ihre Aussichten vor den Gerichten der BRD fahrlässig zu rosig einzuschätzen. Die BRD ist nicht der Staat der
Arbeiter und Angestellten sowie ihrer Koalitionen. Fürchten müssen Grundrechtsträger der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nicht nur die einseitige
Wahrnehmung der Arbeitgeberinteressen durch die im Bundestag mehrheitlich vertretenen Parteien, vor allem die SPD und Die Grünen. Grob fahrlässig ist es
zu verkennen, wie die Richter des Bundesverfassungsgerichts bestellt werden (§§ 5 ff BVerfGG). Allein die in diesem Dokument zu den Grundlagen des
Streikrechts zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verdeutlichen, dass vor allem von den Richtern dieses Gerichts aus politischen Gründen
die größten Gefahren für die Rechte der Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften ausgehen. Seit Jahrzehnten macht dieses Bundesverfassungsgericht nichts
anderes, als das Grundgesetz so zu verbiegen, dass es den Vorstellungen der allein unter politischen Gesichtspunkten ausgewählten Richterschaft am
Bundesverfassungsgericht von der ideologisch gewünschten Verfassungswirklichkeit entspricht. Solche Richter scheuen von Haus aus - ebenso wie die
Bundesarbeitsministerin Frau Andrea Nahles (SPD) - das Streikrecht der Arbeitnehmer wie der Teufel das Weihwasser. Sie haben außerdem den Vorteil, dass
sie von der rechten Journaille der Mainstream-Medien jubelnd unterstützt werden.