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ZPO § 299; InsO § 4; EGGVG §§ 23 ff.

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OLG Celle, Beschluss vom 12.01.2004 - 2 W 95/03 *

Tatbestand: Die Ast. machte glaubhaft, Gläubigerin der X-Baugesellschaft mbH zu sein, gegen die am 12. 3. 2003 ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen durch das Finanzamt H. gestellt wurde. In dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Baugesellschaft hat das Insolvenzgericht unter anderem ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage, ob eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist, in Auftrag gegeben. Nachdem der gerichtlich bestellte Sachverständige am 4. 7. 2003 dem Insolvenzgericht sein Gutachten übersandt hatte, hat das Gericht mit Beschluss vom 11. 7. 2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Auf den Antrag der Gläubigerin vom 23. 6. 2003 ' ihr eine Kopie des Insolvenzantrags sowie eine Kopie des Gutachten, des vorläufigen Insolvenzverwalters zu übersenden, hat das Insolvenzgericht der Gläubigerin mit Verfügung vom 11. 7. 2003, mit der es den Abweisungsbeschluss an die Bet. übersandt hat, mitgeteilt, die Akten des Insolvenzverfahrens könnten gem. § 299 II ZPO auf der Geschäftsstelle eingesehen werden. Hierauf stellte die Gläubigerin mit Schreiben vom 30. 7. 2003 erneut den Antrag, ihr Kopien des Insolvenzantrags und des Gutachtens des vorläufigen Insolvenzverwalters zu übersenden. Diesen Antrag hat das Insolvenzgericht am 4. 8. 2003 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtete sich der am 19. 8. 2003 eingegangene Antrag der Gläubigerin auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 I EGGVG, die Erfolg hatte.



Entscheidungsgründe: II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Die Entscheidung des AG Hameln, dem Gläubiger keine Abschriften aus den Insolvenzakten zu erteilen, ist, da es sich um einen Fall des § 299 II ZPO handelt, nach den §§ 23 ff. EGGVG anfechtbar (s. auch OLG Brandenburg, NZI 2003, 36 = ZInsO 2002, 1085 = ZIP 2002, 2320; NZI 2002, 49 = InVo 2002, 20; OLG Celle, NZI 2002, 261 = ZIns0 2002, 73 = ZIP 2002, 446; OLG Dresden, ZIP 2003, 39; ZIns0 2003, 1148; OLG Hamburg, NJW-RR 2002, 408 = NZG 2002, 296 = NZI 2002, 99 = ZIns0 2002, 36 = ZIP 2002, 266; OLG Jena, ZVI 2002, 318; OLG Stuttgart, NZI 2002, 663 = ZVI 2002, 459). Die Entscheidung ist zwar durch den Abteilungsrichter erlassen worden, nach dem Inhalt des Beschlusses ist die Befugnis zur Entscheidung aber durch den Vorstand des Gerichts auf diesen delegiert worden. Die für die Antragstellung einzuhaltende Monatsfrist des § 26 1 EGGVG wurde gewahrt.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat auch insoweit Erfolg, als das Insolvenzgericht den Ast. neu zu bescheiden hat, weil es von dem ihm zustehenden Ermessen, zu entscheiden, in welcher Form es dem Gläubiger Akteneinsicht gewährt, keinen Gebrauch gemacht hat, sondern vielmehr davon ausgegangen ist, dass im Fall des § 299 II ZPO ausschließlich die Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts in Betracht kommt.

1. Das AG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass auf das Akteneinsichtsgesuch § 299 ZPO anzuwenden ist, weil die Insolvenzordnung keine Vorschrift enthält, die das Recht auf Einsicht in Insolvenzakten regelt. Auf Akteneinsichtsgesuche in Insolvenzverfahren ist deshalb über die Generalverweisung des § 4 InsO nach allgemeiner Auffassung § 299 ZPO entsprechend anzuwenden (s. Kirchhof, in: HK-Ins0, 3. Aufl., § 4 Rdnrn. 13 ff.; Pape, in: Kübler1Prütting, Ins0, § 20 Rdnrn. 16bff.; Ganter, in: MünchKommIns0, § 4 Rdnrn. 62ff.; Uhlenbruck, Ins0, 12. Aufl., § 4 Rdnrn. 25ff.; Schmerbach, in: Frankfurter Komm. z. Ins0, 3. Aufl., § 4 Rdnrn. 49 ff.).



2. Das Insolvenzgericht hat weiterhin zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 299 Il ZPO zu prüfen sind, nachdem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der schuldnerischen GmbH mangels Masse abgewiesen worden ist und die Akteneinsicht beantragende Gläubigerin nicht Antragstellerin in dem Insolvenzeröffnungsverfahren war, so dass sie als "Dritte" i. S. des § 299 II InsO anzusehen ist (dazu OLG Köln, NJW-RR 1999, 1561 = NZI 1999, 502 = ZIP 1999, 1449; dazu Pape, EWiR 1999, 973; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1800 [1804 f.]; Heeseler, ZIns0 2001, 873 [883]; Pape, ZIP 1997, 1367 [1368 f.]). Das AG hat ferner nicht verkannt, dass es für einen Anspruch auf Akteneinsicht nach § 299 II ZPO im Insolvenzverfahren nach einer Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse oder nach einer Einstellung mangels Masse ausreicht, dass der Ast. im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgläubiger gewesen wäre (Uhlenbruck, § 4 Rdnr. 32 m. w. Nachw.). Es ist insoweit mit Recht von einem Anspruch der Bf. auf Einsicht in die Insolvenzakten ausgegangen. Soweit zweifelhaft ist, ob ein Akteneinsichtsrecht auch dann besteht, wenn es dazu dient, Ansprüche gegen Dritte - etwa den Geschäftsführer einer insolvent gewordenen GmbH - durchzusetzen (dazu Pape, in: Kübler1Prütting, § 20 Rdnr. 17 a m. w. Nachw.; OLG Brandenburg, NZI 2003, 36 DZWir 2003, 166; OLG Hamburg, NJW-RR 2002, 408 NZI 2002, 99 = ZIP 2002, 266), kommt es auf diese Streitfrage hier nicht an, weil nicht erkennbar ist, dass es der Gläubigerin um eine Akteneinsicht zum Zwecke der Verfolgung von Ansprüchen gegen die Geschäftsführung der Schuldnerin persönlich geht. Vielmehr wird das Akteneinsichtsgesuch nur auf die potenzielle Insolvenzgläubigerstellung gestützt, so dass am Vorliegen eines geschützten Interesses i. S. des § 299 Il ZPO keine Zweifel bestehen (dazu bereits OLG Celle, NZI 2002, 261 = ZIP 2002,446).



3. Keinen Bestand haben kann aber die Entscheidung des AG, den Antrag auf Übersendung von Abschriften des Insolvenzantrags und des im Eröffnungsverfahren erstatteten Gutachtens mit der Begründung zurückzuweisen, im Fall des § 299 II ZPO komme ausschließlich die Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts in Betracht. Zwar besteht nach dem Gesetzeswortlaut ein Anspruch auf Erteilung von Abschriften nur im Fall des § 299 1 Ins0, in dem der Antrag von einer der Parteien des Rechtsstreits im laufenden Verfahren gestellt wird. Dies bedeutet für das noch laufende Insolvenzverfahren, in dem regelmäßig eine Übersendung der Akten nicht in Betracht kommt, weil diese auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts ständig greifbar sein müssen (s. Pape, ZIP 1997, 1367 [1368]; Ganter, in: MünchKomm-Ins0, § 4 Rdnr. 70), dass die Übersendung von Abschriften verlangt werden kann, es sei denn, das Insolvenzgericht kann konkret darlegen, durch Akteneinsichtsgesuche derart überlastet zu sein, dass ausschließlich die Einsicht auf der Geschäftsstelle in Betracht kommt (s. LG Göttingen, Rpfleger 2002, 478; AG Göttingen, NJOZ 2002, 1559 [unter http://www.beck-online.de kostenpflichtig abrufbarl = NdsRpfl. 2002, 194; Ganter, in: MünchKomm-Ins0, § 4 Rdnrn. 70 f.; Schmerbach, in. Frankfurter Komm. z. Ins0, § 4 Rdnr. 74; Pape, ZIP 1997, 1367 [13681 ).

Aus der fehlenden Erwähnung eines Anspruchs auf die Erteilung von Abschriften aus den Insolvenzakten in § 299 II InsO folgt aber für das Insolvenzverfahren nicht, dass die Akteneinsicht nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ausschließlich auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts gewährt werden kann. Vielmehr kommt in einem abgeschlossenen Insolvenzverfahren, in dem das Verfahrensinteresse auch einer Versendung der Akten nicht mehr entgegensteht, sowohl die Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle als auch die Versendung der Akten an den Gläubigervertreter zwecks Einsicht oder die Versendung der Akten an das AG, bei dem der Gläubigervertreter seinen Kanzleisitz hat, sowie die Erteilung von Abschriften aus den Insolvenzakten in Betracht (s. dazu AG Göttingen, NZI 2002, 266 = ZInsO 2002, 498; Ganter, in: MünchKommIns0, § 4 Rdnr. 74; Ublenbruck, § 4 Rdnr. 35; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 299 Rdnr. 25; Prütting, in: MünchKomm-ZPO, 4. Aufl., § 299 Rdnr. 25, wonach die Erteilung von Abschriften bei Dritten nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr "großzügig zu handhaben" ist).



Die Auffassung, Akteneinsicht könne im Fall des § 299 II Ins0 nur auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts gewährt werden, ist zu eng und kann ohne eine nähere Abwägung und Begründung keinen Bestand haben (§ 28 III EGGVG). Sie berücksichtigt nicht, dass der grundsätzlich gegebene Anspruch auf Akteneinsicht gerade in Insolvenzsachen, bei denen Gläubiger ihren Sitz häufig sehr weit vom Sitz des Insolvenzgerichts entfernt haben, möglicherweise dadurch unterlaufen werden kann, dass zwar formal Einsicht in die Insolvenzakten bewilligt wird, tatsächlich aber diese Einsicht dadurch unmöglich gemacht wird, dass der Gläubiger finanzielle Aufwendungen durch die Einsicht hat, die außer Verhältnis zu dem Nutzen einer solchen Einsicht stehen. So wäre es etwa einem in München ansässigen Gläubiger - auch unter Berücksichtigung des dem Gericht eingeräumten Ermessens - nicht zumutbar, Akteneinsicht bei einem in Norddeutschland ansässigen Insolvenzgericht nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durch Abweisung oder Einstellung mangels Masse ausschließlich dadurch zu nehmen, dass er auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts erscheint, um Einsicht in die Insolvenzakten zu nehmen. Eine solche Entscheidung würde letztlich auf eine Rechtsversagung hinauslaufen, weil ein wirtschaftlich denkender Gläubiger, der im Fall der Abweisung oder Einstellung mangels Masse ohnehin davon ausgehen muss, dass er seine Forderung kaum noch realisieren kann, verständlicherweise nicht bereit sein wird, erhebliche Fahrt- und Personalkosten aufzuwenden, um Akteneinsicht zu nehmen. Verglichen mit den Kosten der Anfertigung von Ablichtungen aus den Akten oder der Aktenversendung an den Sitz des Bevollmächtigten des Gläubigers wird man in einem solchen Fall davon ausgehen müssen, dass eine ausschließliche Gewährung von Einsicht am Sitz des Insolvenzgerichts unverhältnismäßig ist und eine derartige Entscheidung einen Missbrauch des dem Gericht eingeräumten Ermessens bezüglich der Art der Einsicht in die Insolvenzakten darstellt.



Anders kann sich die Situation dagegen dann darstellen, wenn zwischen der Versendung der Akten an ein benachbartes Gericht, bei dem der Bevollmächtigte des Gläubigers Einsicht nehmen kann, und der Gewährung von Akteneinsicht am Sitz des Insolvenzgerichts keine erheblichen Unterschiede bezüglich des Aufwands bestehen und deshalb auch die Beschränkung der Akteneinsicht auf das Insolvenzgericht selbst angebracht sein kann. Das Insolvenzgericht wird dabei allerdings auch zu berücksichtigen haben, ob die Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle tatsächlich einen geringeren Aufwand darstellt als die Versendung von Ablichtungen aus den Insolvenzakten, da auch mit der Gewährung von Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle oder der Belastung eines anderen Insolvenzgerichts mit der technischen Gewährung der Akteneinsicht ein erheblicher Personalaufwand verbunden ist, der möglicherweise nicht geringer sein kann als die Versendung von Ablichtungen.

Im Hinblick auf die vorstehend dargestellten Möglichkeiten der Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen der Anwendung des § 299 II ZPO sieht der Senat sich nicht veranlasst, dem Insolvenzgericht eine bestimmte Art und Weise der Gewährung der Akteneinsicht vorzuschreiben. Der Ast. hat allerdings einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, bei der das Insolvenzgericht sämtliche Möglichkeiten der Gewährung von Einsicht in Insolvenzakten mit einbezieht. Die Frage, welche Art und Weise der Gewährung von Einsicht in die Insolvenzakten das AG für sachdienlich hält, bleibt der Entscheidung des Insolvenzgerichts, auf das die Entscheidung über die Akteneinsicht durch den Vorstand des Gerichts übertragen ist, selbst überlassen (s. auch OLG Hamburg, NJW-RR 2002, 408 = NZI 2002, 99 = ZIP 2002, 266 [269]). Insoweit wird das Insolvi2nzgericht seine Ermessensentscheidung allerdings unter Berücksichtigung der von den Bevollmächtigten der Gläubigerin vorgetragenen Argumenten zu begründen haben, so dass die Ermessensentscheidung des AG auch nachvollziehbar ist.

Insoweit weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass Akteneinsicht auch in das im Insolvenzverfahren erstattete Gutachten zu gewähren ist. Bei diesem Gutachten handelt es sich um einen Teil der Insolvenzakten, der - wie die Akten im Übrigen auch - der vollen Einsicht des Ast. unterliegt (s. OLG Celle, NZI 2002, 261 = ZIP 2002, 446; Kirchhof, in: HK-Ins0, 3. Aufl», § 4 Rdnr. 13; Ganter, in: MünchKomm-Ins0, § 4 Rdnr. 73; Pape, in: Kübler/Prütting, § 20 Rdnr. 17; Ublenbruck, § 4 Rdnr. 33). Die teilweise noch vertretene Auffassung, im Eröffnungsverfahren erstattete Gutachten seien wie interne Entwürfe des Gerichts i. S. des § 299 II1 ZPO zu behandeln, kann nicht geteilt werden, weil den Bet. die wesentliche Entscheidungsgrundlage des Gerichts nicht vorenthalten werden darf.

Das Gericht wird außerdem zu beachten haben, dass dem Schuldner im Hinblick auf die nach § 299 II ZPO zu treffende Abwägung rechtliches Gehör zu gewähren ist.



* Quelle: NJW 2004, 863 ff