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BESCHLUSS: Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat am 5. April 2000 ohne mündliche Verhandlung
unter Mitwirkung ... beschlossen:
In Prozessen mit Vertretungszwang können bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer
Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden.
Gründe: I. 1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid erwirkt, den das Landgericht nach Einspruch der
Beklagten aufrechterhalten hat. Die Begründung der dagegen gerichteten Berufung wurde am letzten Tag der Frist durch
sogenanntes Computerfax mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt. Eine inhaltsgleiche
vom Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung ging am nächsten Tage ein. Er hat hierzu erklärt:
Der Schriftsatz sei am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist ausgedruckt, von ihm unterzeichnet und zur Post gegeben
worden. Da das zentrale Fax-Gerät an diesem Tage überlastet oder gestört gewesen sei, habe er sein Einverständnis erklärt, zur
Wahrung der Frist den Schriftsatz nicht - wie vorgesehen - durch Telefax, sondern per Computerfax mit eingescannter Unterschrift
dem Gericht zu übermitteln.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NJW 1998, 1650 f. abgedruckt ist, hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.
Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Rechtsmittel sei nicht rechtzeitig begründet worden. Die durch Computerfax übermittelte
Begründung sei wegen fehlender Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten unwirksam. Der am nächsten Tag übermittelte
Schriftsatz sei nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen.
2. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und möchte deshalb die nach § 547
ZPO unbeschränkt zulässige Revision zurückweisen. Er sieht sich an einer solchen Entscheidung gehindert, weil er damit von der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts abweichen würde.
3. a) Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 19. Dezember 1994 - 5 B 79/94, NJW 1995, 2121
entschieden, dass die Zulässigkeit einer im Wege der "Btx-Mitteilung" erhobenen Klage nicht notwendig daran scheitert, dass es bei
Inanspruchnahme dieses Übermittlungsweges technisch nicht möglich ist, die eigenhändige Unterschrift des Urhebers des
Klageschriftsatzes zu übermitteln, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die
Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Der Senat hat sich damit der
Auffassung des 9. Senatsdes Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 6. Dezember 1988 BVerwG 9 C 40/87, BVerwGE 81, 32, 40)
angeschlossen.
b) Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat sich in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1996 - 14 BEg 9/96, MDR 1997, 374 der
Meinung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Fall angeschlossen, in dem eine Berufungsschrift auf dem häuslichen PC der
Klägerin erstellt und mittels PC-Modem an das Telefax-Empfangsgerät des Landessozialgerichts übermittelt worden war
(Computer-Fax). Der dort entstandene Ausdruck endete mit dem Namen und der Anschrift der Klägerin sowie dem Hinweis "Dieser
Brief wurde maschinell erstellt, wird nicht eigenhändig unterschrieben."
c) Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat unter Hinweis auf die vorgenannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
und des Bundessozialgerichts mit Beschluss vom 11. November 1997 - VII B 108/97, BFH/NV 1998, 604 - die Rücknahme einer
Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers für wirksam erachtet, die dem Bundesfinanzhof durch
ein Computerfax übermittelt worden war, das am Ende nur den Namen des Prozessbevollmächtigten in Maschinenschrift mit dem
Zusatz enthielt "Dieses Fax wurde durch elektronische Medien übermittelt und trägt deshalb keine Unterschrift." Der Xl. Zivilsenat
des Bundesgerichtshofs hat diese Entscheidung in seinem Vorlagebeschluss noch nicht berücksichtigt.
4. Die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit sich zur Sache zu äußern. Sie haben auf eine mündliche Verhandlung
vor dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes übereinstimmend verzichtet.
II. Die Vorlage ist zulässig (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe
des Bundes - RsprEinhG vorn 19. Juni 1968 - BGBI. 1 S.661). Die vom vorlegenden Senat angenommene Divergenzlage ist nicht
zu verneinen, da es sich um vergleichbare, in ihren rechtlichen Voraussetzungen übereinstimmende Vorgänge handelt, die im
Interesse der Rechtssicherheit einheitlich beantwortet werden müssen (vgl. Beschl. des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, NJW 1980, 172, 173). Regelungsgegenstand ist das
Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze (vgl. dazu BGHZ 75, 340, 343). Die unterschiedliche Auslegung dieses
Grundsatzes erfordert die Entscheidung des Gemeinsamen Senats.
III. Der Gemeinsame Senat beantwortet die ihm vorgelegte Rechtfrage dahin, dass in Prozessen mit Vertretungszwang
bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des
Prozessbevollmächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden können.
1. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass
Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sind. Auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten,
sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht
behindern. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes bisher das Schriftlichkeitserfordernis,
soweit es durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird, ausgelegt: Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus
dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig
entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt,
sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschl. des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 75, 340, 348 f.). Zwar hät die Rechtsprechung bisher grundsätzlich für bestimmende
fristwahrende Schriftsätze, soweit sie nicht von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder von Behörden
eingereicht wurden, zur Sicherstellung dieser prozessrechtlichen Anforderungen die handschriftliche Unterschriftsleistung des
Berechtigten verlangt. Jedoch sind unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses im Rahmen des
Prozessrechts insoweit schon in erheblichem Umfang Ausnahmen zugelassen worden.
2. So haben schon das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift und anderer
bestimmenden Schriftsätze durch ein Telegramm für zulässig erachtet. Diese Ausnahme hat sich auf allen Rechtsgebieten
durchgesetzt (vgl. z. B. für den Zivilprozess: RGZ 139, 45; 151, 82, 86; RG, Beschl. vom 25. Juni 1937 - II B 6/37, WarnRspr
1937 Nr. 122; BGHZ 24, 297, 299; 75, 340, 349; BGH, Urteile 29. Mai 1962 - 1 ZR 137/61, NJW 1962,1505,1507, vom 22.123.
Juni 1965 - III ZR 251/63, VersR 1965, 852, vom 28. Januar 1971 - IX ZR 50/70, MDR 1971, 576, vom 18. Dezember 1975 - VIII
ZR 123/75, NJW 1976, 966, 967, und vom 25.September 1979 - VI ZR 79/79, NJW 1980, 172; für das arbeitsgerichtliche
Verfahren: RAGE 3, 252; BAGE 3, 55; 13,121,123; 22,156,158; BAG, Urteile vom 1. Juli 1971 - 5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190,
vom 26. Januar 1976 - 2 AZR 506/74, NJW 1976,1285, vom 14. Februar 1978 - 1 AZR 154/76, NJW 1979, 233, 234, vom 1. Juni
1983 - 5 AZR 468/80, NJW 1984,199 f. und vom 24. September 1986-7 AZR 669/84, DB 1987,183; für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren: BVerwGE 1,103; 2,190,192, 3, 56; BVerwG, Beschl. vom 27. Oktober 1961 - BVerwG 2,
7/61, NJW 1962, 555; BVerwG, Urteil vom 22. November 1963 - BVerwG IV C 76/63, NJW 1964, 831, 832; für das
sozialgerichtliche Verfahren: BSGE 1, 243, 245; 5, 3, 4; 7, 16,17; für das finanzgerichtliche Verfahren: BFHE 92, 438; BFH,
Urteile vom 3. Dezember 1953-IV 256/53 U, BStBI. III 1954, 27 und vom 24. Juli 1973 - IV R 204/69, BB 1973, 1517; jetzt
ausdrücklich § 357I 3 AO; für die freiwillige Gerichtsbarkeit; BGH, Beschl. vom 23. September 1952 - V BLw 3/52, JZ 1953, 179;
fürdie Verfassungsbeschwerde: BVerfGE 4, 7,12; 32, 365, 368). Danach wird das Telegramm heute allgemein als rechtswirksamer
bestimmender Schriftsatz anerkannt, auch wenn es aus technischen Gründen vom Erklärenden nicht - eigenhändig und
handschriftlich - unterzeichnet werden kann. Diese Übung ist nach der Rechtsprechung zum Gewohnheitsrecht erstarkt (RGZ 139,
45, 48; BSGE 1, 243, 245; BAG, Urteil vom 1. Juli 1971 - 5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190, 2191; BGHZ 79, 314, 316; 87, 63, 64;
BGHSt 31, 7, 8). Maßgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte
Telegrammurkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer "Urschrift" beruht, die am Absendeort aufgenommen und
vom Erkärenden unterzeichnet worden ist. Auch eine telefonische Telegrammaufgabe wird deshalb allgemein zugelassen (RAGE 3,
252, 254; RGZ 139, 45, 48; 151, 82, 86; BGHZ 79, 314, 316; BGHSt 8, 174,176 f.; 14, 233, 235).
Dieselben Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung, wenn der bestimmende Schriftsatz nicht durch Telegramm, sondern mittels
Fernschreiben übermittelt worden ist (BGHZ 79, 314, 316; 87, 65). Auch hier veranlasst der Absender im Wege der
elektrotechnischen Nachrichtenübermittlung, dass die maßgebliche Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich
niedergelegt wird. Vorausgesetzt wird allerdings, dass das Fernschreiben unmittelbar von der Fernschreibstelle des Gerichts
aufgenommen wird (vgl. BGHZ 79, 314, 318), dass es seinem Inhalt nach den Anforderungen entspricht, die die Prozessordnung an
bestimmende Schriftsätze, z.B. an eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbegründung, stellt, und dass es abschließend - als Ersatz der an
sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen Unterschrift - den Namen des Erklärenden anführt (BGH, Beschlüsse vom 28.
Oktober 1965 - I a ZB 11/65, NJW 1966, 1077 und vom 27. April 1967 - I a ZB 19/66, NJW 1967, 2114; BFHE 136, 38; BAG,
Urteile vom 1. Juni 1983 - 5 AZR 468/80, NJW 1984, 199 und vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84; DB 1987,183).
Dementsprechend ist die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig,
ein Verfahren, das sich von der Übermittlung im Telefaxdienst der Bundespost nicht wesentlich unterscheidet (vgl. BverfG - 2.
Kammer des Ersten Senats-, NJW 1996, 2857; BGH, Beschlüsse vom 20. September 1993-II ZB 10/93, NJW 1993, 3141, vom 27.
November 1996 - VIII ZB 38/96, VersR 1997, 853 und vom 8. Oktober 1997 - XII ZB 124/97, NJW 1998, 762; BAG, Urteil vom
27. März 1996 - 5 AZR 576/94, NJW 1996, 3164 f.; Hoppmann, VersR 1992,1068 m. w. Nachw.).
3. Es entspricht der langjährigen Entwicklung dieser Rechtsprechung, die dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der
Telekommunikation Rechnung trägt, die Übermittlung bestimmender Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer
Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts zuzulassen.
Die Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform, zu der grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift gehört, ist solchen
bestimmenden Schriftsätzen nicht deshalb abzusprechen, weil sie durch moderne elektronische Medien - wie das im Streitfall zu
beurteilende Computerfax - übermittelt werden und mangels Vorhandenseins eines körperlichen Originalschriftstücks beim
Absender eine eigenhändige Unterzeichnung nicht möglich ist. Auch bei der von der Rechtsprechung zu Recht gebilligten und zum
Gewohnheitsrecht erstarkten Übung der telefonischen Telegrammaufgabe existiert keine vom Absender unterschriebene Urschrift.
Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten Schriftsatzes ist nicht eine etwa beim Absender
vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am
Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde. Der alleinige Zweck der Schriftform, die Rechtssicherheit und insbesondere
die Verlässlichkeit der Eingabe zu gewährleisten, kann auch im Falle einer derartigen elektronischen Übermittlung gewahrt werden.
Entspricht ein bestimmender Schriftsatz - wie im Ausgangsverfahren die Berufungsbegründung - inhaltlich den prozessualen
Anforderungen, so ist die Person des Erklärenden in der Regel dadurch eindeutig bestimmt, dass seine Unterschrift eingescannt oder
der Hinweis angebracht ist, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen kann. Auch der
Wille, einen solchen Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, kann in aller Regel nicht ernsthaft bezweifelt werden.